Im Gastkommentar thematisiert Birgit Schatz, Kinderrechtsbeauftragte der SOS-Kinderdörfer, den Spagat, den Eltern derzeit leisten müssen, und spricht sich für eine Betreuungskarenz aus.

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Die Schule ist geschlossen, Eltern im Homeoffice sehen sich in die Lehrerrolle gedrängt.
Foto: AP / Hans Punz

Viele Kindergärten und Schulen sind geschlossen, weil kaum mehr Kinder in die Ersatzbetreuung kommen. Gut so! Eltern in Österreich handeln verantwortungsbewusst. Sie verstehen, wie wichtig es ist, soziale Kontakte zu reduzieren. Sie tun das für die Kinder, sich selbst, aber vor allem für die eigenen Eltern, Großeltern, Tanten, Onkeln und Nachbarn.

Doch zu welchem Preis? Berufstätige Eltern haben aktuell kaum eine gute Möglichkeit, ihre Kinder in dieser angespannten Situation zu betreuen. Zumindest mit einem reinen Gewissen dem Arbeitgeber gegenüber. Denn einen Rechtsanspruch auf Betreuungszeiten in der jetzigen Situation gibt es schlicht nicht. Auch nicht für die unter 14-Jährigen, also auch zwei-, fünf- oder sechsjährige Kinder, die umfassende Aufmerksamkeit, Zuwendung und Unterhaltung im Laufe eines Tages brauchen.

Mehr Hilfe

Kinder und ihre Eltern sind in ihrer spezifischen Sondersituation keine Zielgruppe der Hilfsmaßnahmen der Regierung. Schon gar nicht armutsbetroffene Familien mit nochmals schwierigeren Herausforderungen. Kinder zu haben scheint reine Privatsache zu sein. Sie gut durch die Krise zu bringen, gesund und fröhlich, und außerdem noch selbst zu unterrichten ist ausschließlich eine Aufgabe der Eltern – egal ob sie dazu in der Lage sind oder nicht. Etwas mehr Hilfe wäre angebracht.

Etwa die Einführung einer Betreuungskarenz. Eltern betreuen mit der Zustimmung ihrer Arbeitgeber die Kinder zu Hause, und der Staat finanziert das mit Beihilfen in der Höhe des Arbeitslosengeldes. Der Arbeitgeber ist von den Lohnkosten entlastet, das existenzsichernde Einkommen der Eltern ist garantiert. Nach der Krise und der Karenz, wenn der Normalbetrieb wieder anfährt und die Schulen und Kindergärten wieder den regulären Betrieb aufnehmen, kann jeder und jede in den Job zurückkehren.

Betreuungskarenz einführen

Statt dieser so wichtigen Betreuungskarenz hat die Regierung einen Sonderurlaub bei Betreuungsbedarf von bis zu drei Wochen erfunden. Eh gut, aber um ihn zu bekommen, braucht es die Zustimmung des Arbeitgebers. Und genau da liegt das Problem: Im Unterschied zu dem oben beschriebenen Modell der Betreuungskarenz bleibt der Arbeitgeber beim Sonderurlaub auf 70 Prozent der Lohnkosten sitzen, obwohl die Eltern drei Wochen ausfallen. Er wird sich also dreimal überlegen, ob er dem Antrag zustimmt.

So erzählt mir eine Schuhverkäuferin, dass ihr Arbeitgeber trotz Geschäftsschließung nicht bereit ist, den Sonderurlaub zur Betreuung ihrer Kinder zu gewähren. Sie muss im Lager arbeiten. Die Kinderbetreuung ist eine tägliche Improvisation. Gemeinsames Lernen nach 18 Uhr in der 60-Quadratmeter-Wohnung zu viert funktioniert nicht. Trotzdem will sie die zwei Volksschüler nicht in die Schule schicken – aus Sorge und, ja, auch aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft. Verantwortungsbewusstsein – davon hat ihr Chef eher wenig. Doch sie kann nichts dagegen tun.

Viele Mogelpakete

Für Papa und Mama bleiben nur Mogelpakete zur Wahl. Scheinbares Homeoffice, Krankenstand, Pflegeurlaub oder alles in Kombination. Viele Unternehmen scheuen auch nicht davor zurück, jenen Eltern, die unter Druck stehen, nahezulegen, Urlaub abzubauen. Wie dann die neunwöchigen Sommerferien noch bewältigt werden sollen, wenn jetzt schon drei oder vier Wochen Urlaubsanspruch verbraucht werden, darum kümmert sich niemand. Nicht das Unternehmen, aber leider auch nicht der Staat.

Statt Kündigungen Kurzarbeit einzuführen gilt als wichtige arbeitsmarktpolitische Überbrückungshilfe. Doch auch dafür gilt, dass vorher meist Alturlaube aufzubrauchen sind. Eltern teilen sich ihren Urlaub sehr, sehr genau ein. Anders sind 13 Wochen Schulferien in einem Jahr nicht zu stemmen. Heuer werden aus den 13 Wochen Schulferien in Summe mindestens 17 Wochen schulfreier Zeit. Da ist jeder Urlaubstag wichtig. Eltern haben nichts zu verschenken!

Utopie Homeoffice

Wo es irgendwie geht, werden die Menschen ins Homeoffice geschickt. Über die psychologischen Herausforderungen dieser Sozialexperimente im Familienverband wurde und wird viel geschrieben. Doch wie schaut die Unterstützung für diese so geforderten Familien aus? Jede Mutter, jeder Vater und auch jeder andere Mensch, der mit Kindern zu tun hat, weiß, dass Homeoffice und die Betreuung von kleinen Kindern eine Utopie ist. Selbst super getaktete und organisierte Haushalte stoßen an ihre Grenzen. Kinder sind nicht mit einem digitalen Präsenzarbeitsmodell vereinbar.

Natürlich trifft Corona jeden in unserer Gesellschaft hart. Neben den medizinischen Herausforderungen, den Ängsten vor der Krankheit und der Sorge um die Lieben haben Unternehmen Umsatzausfälle, und Menschen verlieren ihre Jobs. Deshalb gibt es Sondermaßnahmen der Regierung, die gut und wichtig sind. Kredite für Unternehmen, Aufstockung der Kurzarbeitsmittel, einen Hilfsfond für Kulturschaffende und so weiter.

Ein Spagat

Doch was ist mit den Kindern? Da scheint die Regierung davon auszugehen, dass Familien das mit der Betreuung schon irgendwie schaffen werden – auch ohne Großeltern.

Kinder und ihre Versorgung und Betreuung sind nicht nur Privatsache! Die Regierung hat sich dazu bekannt, ganztätige Betreuungsangebote weiter auszubauen, damit Eltern als Vollzeitarbeitskräfte zur Verfügung stehen. Jetzt sind diese Betreuungsmöglichkeiten geschlossen oder sollen zumindest aus gesundheitspolitischen und solidarischen Motiven nicht beansprucht werden. Eltern sind aber gleichzeitig verpflichtet zu arbeiten – oder haben einfach nicht die Fähigkeit, mit ihren Kindern laufend zu lernen. Sorry, das ist zu viel an Spagat. Das geht sich nicht aus! (Birgit Schatz, 30.3.2020)