Sonderzüge bringen Patienten von Straßburg in Spitäler in ganz Frankreich.
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Im Elsass, dem Corona-Epizentrum Frankreichs, kommt mittlerweile die Armee zum Einsatz. In Mulhouse betreuen Militärärzte in einem auf einem Parkplatz errichteten Feldlazarett 30 Patienten. Ein TGV-Zug der französischen Bahn evakuiert zudem seit Donnerstag Covid-19-Patienten in westfranzösische Krankenhäuser; andere werden von der Armee mit einem Sanitäts-Airbus nach Südfrankreich ausgeflogen.

Doch all diese Entlastungsversuche sind ungenügend. Fast alle Spitalbetten der ostfranzösischen Region Grand Est (Elsass, Lothringen, Champagne und Ardennen) sind mit akuten Corona-Fällen belegt. Und die Zahl der Infizierten nimmt täglich zu. In den Krankenhäusern von Mulhouse, Colmar und Straßburg herrschen dramatische Verhältnisse.

Panik vermeiden

Die französischen Behörden berichten nur ausweichend, um Panikreaktionen zu vermeiden. Anders das Deutsche Institut für Katastrophenmedizin (DIK) in Tübingen: Es besuchte am Montag die Universitätsklinik von Straßburg, um der baden-württembergischen Landesregierung Bericht zu erstatten. Ihm zufolge nimmt die Klinik jede Stunde einen neuen Corona-Kranken zur Beatmung auf. Auf der Intensivstation stehen aber nur 90 Beatmungsbetten zur Verfügung. Die makabre Rechnung ist schnell gemacht: Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von mehr als vier Tagen fehlt es schlicht an Beatmungsgeräten.

Laut den deutschen Katastrophenmedizinern sind die Straßburger zur Auswahl gezwungen. Das Kriterium sei das Alter, halten sie fest: Wer über 80 Jahre alt sei, werde nicht mehr unbedingt beatmet. Dafür erhielten sie eine "Sterbebegleitung mit Opiaten und Schlafmitteln".

Die deutschen Mediziner halten fest, dieses Vorgehen sei von der französischen Ethikkommission abgesegnet. Sie richten keinerlei Kritik an ihre Straßburger Kollegen; im Gegenteil heben sie hervor, dass viele selber infiziert seien und ihre Arbeit trotzdem weiterführten, um den Patienten so weit wie möglich zu helfen.

"Greifbare Gefahr"

Das Unispital von Straßburg stellt in einer Aussendung in Abrede, dass infizierte Angestellte weiter arbeiten würden. Es bestreitet auch, dass das Alterskriterium das "einzige Kriterium für die Aufnahme der Patienten in das Beatmungsverfahren" sei. Dass es eines von mehreren Kriterien sein könnte, wird damit nicht dementiert.

Das deutsche Institut bleibt bei seiner Darstellung. "Der Sachbericht ist umfassend und bedarf keiner weiteren Kommentare", ließ es offiziell verlauten. Er enthält auch die Vermutung, dass in elsässischen Altersheimen eine ähnliche Selektion vorgenommen werde. Diese Woche war es in einem Altersheim in Cornimont (Vogesen) zu mehreren, vermutlich Coronavirus-bedingten Todesfällen gekommen; ein genauer Überblick über die Lage in den nichtmedizinischen Alters- und Pflegeheimen der Region ist allerdings nicht erhältlich.

An die Behörden des eigenen Landes richtet das DIK den Hinweis, dass auf der elsässischen Rheinseite eine "greifbare Gefahr" von "allerhöchster Dringlichkeit" bestehe. Die deutschen Stellen müssten entsprechend reagieren. In der französischen Region Grand Est sind in den letzten Tagen über 600 Menschen an den Folgen des Virus gestorben. Der Grenzübergang vom Elsass nach Deutschland und in die Schweiz ist seit Tagen eingeschränkt, wenn auch nicht unterbunden. Beide Länder haben mehrere schwerkranke Patienten aus dem nahen Frankreich in ihren Intensivstationen aufgenommen. (Stefan Brändle aus Paris, 27.3.2020)