Die großen Fischchen aus der Atacama-Wüste müssen ohne Dämpfe aus Küche und Dusche auskommen – und das gelingt ihnen offenbar prächtig.
Foto: Alvaro Zúñiga-Reinoso

Silberfischchen mögen es bekanntlich feucht, darum treffen wir die trotz ihrer Harmlosigkeit wenig beliebten Insekten in unseren Wohnungen am häufigsten in Badezimmern und Küchen an. Verwandte dieser Tiere haben Forscher nun aber ausgerechnet an einem der trockensten Orte der Erde entdeckt – nämlich im Kerngebiet der chilenischen Atacama-Wüste, wie die Universität Köln berichtet.

Und diese Verwandten sind – vergleichsweise – riesig. Während es ein ausgewachsenes Silberfischen höchstens auf einen Zentimeter Länge bringt, sind es bei den nun im Fachjournal "Global and Planetary Change" vorgestellten Arten bis zu sieben. (Was übrigens noch keinen Weltrekord darstellt: Unter den knapp 500 bekannten Arten aus der Ordnung der Fischchen bringt es die Spezies Squamatinia algharbica inklusive Fühlern auf zehn Zentimeter; sie wurde in Höhlensystemen in Portugal entdeckt.)

"Die Wüstentiere schlechthin"

Der Kölner Forscher Reinhard Predel und sein Kollege Alvaro Zúñiga-Reinoso haben die Tiere aus der Fischchengattung Maindronia in einer Umgebung aufgespürt, die sie als "Mars-ähnlich" beschreiben. Die Mehrzahl der Wüsten sei zwar durchaus artenreich, kritisch werde es aber dort, wo überhaupt keine Pflanzen mehr vorkommen und der Wind auch keine Pflanzenreste aus benachbarten Gebieten hereinweht. Und genau das ist am Fundort der Fall. "Wir haben die Tiere daher eher unerwartet und zufällig entdeckt", sagt Predel.

Mindestens fünf neue Arten von Maindronia haben die Forscher in der Atacama bereits ausfindig gemacht. Ihnen ähnliche Arten aus dieser Gattung waren zuvor bereits im arabischen Raum entdeckt worden, ebenfalls in Wüstengebieten. Allerdings grenzten diese unmittelbar ans Meer, weshalb Forscher die Tiere weiterhin als feuchtigkeitsliebend eingestuft hatten. "Offensichtlich ist keiner auf die Idee gekommen, tiefer in die Wüste zu laufen und dort zu suchen. Nachdem wir die ersten Tiere in der Atacama entdeckt hatten, gab es allerdings kein Halten mehr. Es sind scheinbar die Wüstentiere schlechthin", sagt Predel.

Unerwarteter Lebensraum wirft Fragen auf

Die Entdeckungen in so weit voneinander entfernten Weltregionen führen die Forscher vom Kleinen zum Großen und in eine ferne Vergangenheit zurück: Sie vermuten, dass dieser Zweig der Insekten schon seiner heutigen Lebensweise nachging, als die betreffenden Landmassen noch im Superkontinent Gondwana vereint waren. Dessen Zerbrechen setzte vor etwa 150 Millionen Jahren ein.

Weitergedacht würde das auch bedeuten, dass sowohl in Südamerika als auch im nordafrikanisch-arabischen Raum seit mehr als 100 Millionen Jahren immer irgendwo extrem trockene Lebensräume vorhanden waren, die Maindronia das Überleben sicherten. "Solche lebenden Fossilien verraten uns also auch etwas über die Entwicklung unserer Erde", so Predel.

Die Wüstenbewohner sind mit beeindruckenden Tastorganen ausgestattet. Wie alle Fischchen haben sie solche sowohl am vorderen als auch am hinteren Körperende.
Foto: Alvaro Zúñiga-Reinoso

Und apropos Leben: Zur Lebensweise der neuentdeckten Arten ist vieles noch zu erforschen. Ihre Entdecker beschreiben sie als "extrem agil", zudem weisen die Fischchen eine Sensorik auf, die an die von Höhlentieren erinnert – bei beidem ist noch unklar, warum das so ist. Auch die Frage, wovon sie sich ernähren, ist noch offen. Möglicherweise weiden sie einen mit bloßem Auge unsichtbaren Biofilm aus Mikroorganismen ab, aber das ist bislang nur eine Vermutung. Weitere Forschungen sollen den Steckbrief dieser "lebenden Fossilien" mit mehr Details versehen. (red, 25.3.2020)