In Moskau gehen Menschen mit Gesichtsmasken spazieren.

Foto: AFP/DIMITAR DILKOFF

"Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen", wussten die ostdeutschen Kommunisten schon vor mehr als 30 Jahren. Und so ahmten die Genossen in Berlin brav ihren Moskauer Kollegen alles nach. Zum Sieg im Klassenkampf hat es bekanntlich nicht gereicht. Und so wurde nach dem Untergang des Roten Reichs aus der Imitation Ignoranz gegenüber allem, was aus dem Osten kam.

Doch bislang zumindest kommt das vom Westen unterschätzte Russland – wenn man den offiziellen Berichten glauben darf – mit der Corona-Krise besser klar als die anderen europäischen Regierungen. Am Freitag gab es landesweit 253 bestätigte Corona-Infektionen. Nur muss man das mit Blick vor allem auf Italien, aber auch auf Deutschland, Frankreich oder Österreich sagen.

Eine Corona-Patientin ist gestorben, wobei die Behörden später dementierten, dass das Coronavirus die Todesursache für das Ableben der 79-jährigen Moskauerin, einer Uni-Professorin, gewesen ist. Vielmehr soll laut Obduktion eine Thrombose dafür verantwortlich sein. Das mögen Spielchen zur Verschönerung der Statistik sein, doch die Zahl der Corona-Kranken ist um ein Vielfaches geringer als in Westeuropa.

Entschiedener gehandelt

Die Ursachen sind vielfältig. Zunächst einmal haben die russischen Sicherheitskräfte entschiedener gehandelt als die EU-Behörden: Ende Jänner wurde die 6.000 Kilometer lange Landgrenze zu China geschlossen und der Bahnverkehr eingestellt. Bereits am 1. Februar wurde auch der Flugverkehr drastisch eingeschränkt. Seither ist der Moskauer Flughafen Scheremetjewo das einzige Nadelöhr für Flugreisende aus China. Seit dem 20. Februar ist Chinesen die Einreise nach Russland vollständig untersagt. Das Einreiseverbot wurde später auf andere Länder, in denen der Coronavirus wütet, ausgeweitet. Seit Mitte dieser Woche gilt es für alle Ausländer, die nicht Diplomaten und Fernfahrer sind oder eine Aufenthaltserlaubnis in Russland besitzen.

Natürlich hat Moskau in der Anfangsphase auch Glück gehabt. So sind den Russen bis zur Schließung der Grenzen offenbar nur zwei kranke Chinesen durchgerutscht. Beide Fälle wurden Anfang Februar in Sibirien getrennt voneinander bekannt. Eine chinesische Studentin und ein Geschäftsmann mit Familie in Russland. Beide sollen keine weiteren Personen angesteckt haben, obwohl ersten Medienberichten zufolge auch die Tochter des Chinesen krank war. Dass es keine weiteren Ansteckungen gab, ist erstaunlich.

Getrennte Abfertigung von Chinesen nur theoretisch

Und auch die anschließende Lenkung aller China-Reisenden über Scheremetjewo lief nicht reibungslos. So funktionierte die getrennte Abfertigung von Chinesen gegenüber anderen Flugreisenden zunächst nur theoretisch. Wegen fehlender Ausschilderung und Informierung kam es mitunter zu einer Vermischung von Warteschlangen. Trotzdem war die Abgrenzung konsequenter als in der EU.

So hat Russland nun einen wertvollen Zeitvorsprung. Und den nutzen die Behörden, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin hat vor Wochen bereits alle Reisenden, die aus Corona-Krisengebieten zurückkehren, aufgefordert, auch ohne Krankheitssymptome 14 Tage zu Hause zu bleiben. Die Quarantäne wird scharf überwacht, unter anderem nutzt Moskau dafür das elektronische Gesichtserkennungssystem, um diejenigen zu bestrafen, die gegen das Gebot verstoßen. Bei Verdacht auf Corona sollen Kranke nicht die Poliklinik aufsuchen, sondern den Notarzt rufen – auf diese Weise wird das Virus nicht über die Krankenhausflure weiterverbreitet.

Verdienst des Seuchenamts

Dass die Früherkennung und Eindämmung der Krankheit so gut funktioniere, ist laut der Direktorin des Instituts für Gesundheitswirtschaft an der Moskauer Higher School of Economics, Larissa Popowitsch, auch ein Verdienst des Seuchenamts. Die zentralisierte Behörde funktioniere wie ein Uhrwerk, lobte sie. Eigens entwickelte Tests seien bereits nach wenigen Stunden verfügbar. Popowitsch verwies zudem auf den historischen Erfahrungsschatz der Gesundheitsbehörde bei der Ausrottung vieler Infektionskrankheiten.

Tatsächlich haben sowjetische Ärzte Erfahrungen im Kampf mit komplizierten Lungenkrankheiten gesammelt. Gerade im Kampf gegen Tuberkulose konnten sie dabei große Erfolge erzielen und Ausbreitung und Sterblichkeit auf ein Minimum senken. Daneben wurde der Seuchendienst auch mit anderen Epidemien wie Cholera oder der "Russischen Grippe" konfrontiert.

Popowitsch ist daher optimistisch, dass Russland besser für das Coronavirus gewappnet sei als viele andere Länder. Tatsächlich haben die Behörden zumindest bei der Vorbeugung gute Arbeit geleistet, wenn die bisherigen Daten stimmen. Ob auch das Gesundheitswesen mit der unausweichlichen Steigerung der Krankenzahlen fertig wird, muss sich noch zeigen. Denn die jahrelange Unterfinanzierung hat natürlich Spuren hinterlassen. Laut dem Gewerkschaftsvertreter Andrej Konowal fehlt es nicht nur an Geräten und Betten auf den Infektionsstationen, sondern auch schlicht vielfach an Personal. Die größte Hoffnung besteht daher nach wie vor darin, dass die Behörden rechtzeitig die Ansteckungswege absperren, indem Infizierte so schnell wie möglich isoliert werden. (André Ballin aus Moskau, 21.3.2020)