Das Handy liefert Daten. Viele Daten.

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Noch vor wenigen Tagen wäre die Maßnahme undenkbar gewesen. Laut einer Meldung der "Kronen Zeitung" stellt A1, das größte Telekomunternehmen des Landes, der Regierung die Bewegungsprofile aller Handynutzer österreichweit zur Verfügung. Das Unternehmen hat dies aus eigenem Antrieb heraus gemacht und die Kunden nicht darüber informiert. Verglichen wurden dabei aktuelle Bewegungsströme mit jenen vor dem Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkung.

Die Daten sollen dem Krisenstab zeigen, wie und ob die sozialen Kontakte, die für die Verbreitung der neuen Lungenkrankheit verantwortlich sind, abnahmen oder nicht. A1-Sprecher Michael Höfler bestätigte dem STANDARD, dass sein Unternehmen die Bewegungsprofile sammelt, auswertet und der Regierung liefert.

A1 betonte, dass sich anhand der Daten keinerlei Rückschlüsse auf den einzelnen Handy-Benutzer ziehen lassen. Jedes Handy bekomme eine für das Tracking automatisch zufällig generierte Nummer zugewiesen. All diese Nummern werden alle 24 Stunden frisch vergeben (also erneut anonymisiert). Damit ist es nicht einmal möglich, nachzuvollziehen, wohin sich die anonymisierte User über längere Zeiträume hinbewegen. "Man kann in keinster Art schauen, wo sich der Einzelne aufhält", versicherte die Sprecherin.

Es gehe ausschließlich darum, festzustellen, um wie viel die Bewegungen im öffentlichen Raum insgesamt abgenommen haben. Auch werden die Daten in "20er"-Schritten geliefert. Das heißt, ablesbar ist nur, ob sich "bis zu" 20 User bewegen (ab 21 Personen "bis zu 40", usw.). Damit kann aber nicht ausgesagt werden, dass etwa drei Personen "von A nach B gehen", so A1. Das Unternehmen bietet die Bewegungsanalysen gemeinsam mit Invenium, einem Spin Off der TU Graz, an.

Rechtlich sieht man bei A1 keinerlei Probleme, die Methode sei DSGVO-konform. Auch wird betont, dass die Weitergabe der Profile helfen soll, die "Pandemie einzudämmen".

Keine Rechtsgrundlage

Laut dem Datenschutzrechtler Christof Tschohl des Research Institute – Digital Human Rights Center gebe es für den Zugriff auf historische Daten keine Rechtsgrundlage. "Da müsste man diese schon konstruieren." Vorstellbar sei, dass mit extremen Begrenzungen nach Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung eine kurzfristige Anonymisierung erfolge. "Das heißt, dass aus dem Live-System des Anbieters gleichzeitig mit der Löschung oder Anonymisierung von Daten nach Ende der Verbindung Informationen ‚herausgezogen‘ werden, die tatsächlich nur anonymisiert sind." Eine echte Anonymisierung sei allerdings vor allem bei Bewegungsdaten eine riesige Herausforderung, wie sich bei sorgfältigen Datenschutz-Folgenabschätzungen immer zeige. "Hier geht es aber offenbar um den Zugriff auf vorliegende, historische Standortdaten."

Weder aus dem Telekomgesetz noch aus dem Epidemiegesetz ließe sich eine solche Vorgehensweise ableiten. "Aus menschlicher Sicht kann man das schon verstehen. Aber: Der Rechtsstaat verlangt sonst aus guten Gründen Präzision, der Verfassungsgerichtshof zeigt ja, dass das auch streng eingehalten wird", sagt Tschohl im STANDARD-Gespräch.

"Dass das über Bord geworfen wird, da es schnell gehen muss, finde ich schwer problematisch." Aus seiner Sicht brauche es eine Sondermaßnahme. "Als Grundrechtler bestehe ich darauf, nur für diesen Anlassfall eine Regelung zu schaffen – die dann aber auch mit einer Klausel außer Kraft tritt." Das könne auch ganz schnell gehen, "wenn die Experten aus dem Ministerium und das Parlament nur wollen".

Scharfe Kritik der Opposition

Die Oppositionsparteien haben das Vorgehen der Bundesregierung, mittels Handydaten des Telekomunternehmens A1 Rückschlüsse auf die Bewegung der Österreicher während der Corona-Krise zu ziehen, kritisiert. Die SPÖ sprach von einem "massiven Grundrechtseingriff", die FPÖ warnte davor, auf Bürger- und Freiheitsrechte zu vergessen. Die Neos kündigte unterdessen an, parlamentarische Anfragen zu stellen. "Die Regierung hat in den letzten Tagen sehr viel Macht bekommen, indem sie die Freiheit der Österreicherinnen aus nachvollziehbaren Gründen auf ein Minimum beschränkt hat. Dennoch muss sie nun verdammt verantwortungsvoll damit umgehen", sagt Niki Scherak, stellvertretender Klubobmann der Partei. "Was keinesfalls passieren darf, ist ein Ausreizen dieser Befugnisse bis hin zu einem möglichen Missbrauch der Macht. Hier wird massiv in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen."

"Eine solche Vorgangsweise ist selbst in so einer außergewöhnlichen Situation nicht zu akzeptieren", sagte der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende und Verfassungssprecher Jörg Leichtfried am Dienstag in einer Aussendung.

Auch Vize-FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner kritisierte das Vorgehen: "Auch wenn wir derzeit eine Krise erleben, in der wir alles dafür tun müssen, um die Verbreitung des Virus möglichst effizient einzudämmen, dürfen wir nicht auf die Bürger- und Freiheitsrechte vergessen."

China

Derartige Überwachung kommt auch in China im Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus zum Einsatz. Da die Regierung in Peking einen "Volkskrieg" gegen das Virus fordert, haben Technologieriesen wie Alibaba und Tencent Handy-Apps auf den Markt gebracht, die die Bewegungen eines Reisenden bis zu einem Monat zurückverfolgen können. Die Benutzer werden als grün, gelb oder rot eingestuft, je nachdem, wie nah sie einer Hochrisikozone kamen. In einigen Städten ist es nun Pflicht, dem Sicherheitspersonal seinen Farbcode zu zeigen, um öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. In Wenzhou fragen Taxifahrer, Hotels und andere Unternehmen nach dem Code, bevor sie Kunden passieren lassen.

Kritik

Im chinesischen Internet kritisierten deshalb viele Bürger, dass die großen Technologiefirmen Überwachungsmaßnahmen für die Kommunistische Partei übernehmen. Die meisten Beschwerden gab es jedoch darüber, dass grüne Einstufungen aus unerklärlichen Gründen rot werden, was zu einer Zwangsquarantäne von 14 Tagen führen kann.

Für IT-Konzerne, die sich auf Überwachungstechnologien spezialisieren, ist die Pandemie ein positiver Wirtschaftsfaktor: Denn während die meisten Unternehmen ihre Pforten schließen müssen und wirtschaftliche Rückschläge einstecken, sind es die großen IT-Firmen, die von der Lage profitieren – ihre Software und Dienstleistungen sind nämlich gerade auf dem Höhepunkt der Ausbreitung besonders gefragt.

Israel überwacht Nutzer

Das israelische Kabinett hat am frühen Dienstagmorgen die Überwachung von Coronavirus-Infizierten und -Verdachtsfällen beschlossen. Ihre Smartphones sollen überwacht werden, doch auch Nutzer, die sich in der Nähe befunden haben, sollen notifiziert werden. Demnach ist eine Massenüberwachung via Geotracking vorgesehen. Kritik gab es, da das Justizministerium die Maßnahmen zunächst durch das Parlament bringen wollte, dieses aber schlussendlich umgangen wurde.

Auch in Italien und Belgien wird aktuell über ähnliche Maßnahmen diskutiert. In Südkorea nutzt die Regierung nebst Smartphone-Tracking auch Daten wie Kreditkartentransaktionen von Infizierten und Aufnahmen von Überwachungskameras. (Markus Sulzbacher, Muzayen Al-Youssef, 17.3.2020)