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Auch in Mexiko wurde gegen Femizide demonstriert.

Foto: REUTERS/Pascal Rossignol

34 Frauen wurden 2019 in Österreich ermordet, 2018 waren es sogar 41. Mit der Gruppe Ni una menos (Nicht eine weniger) kämpft die Anwältin Lupe Rodríguez Siu aus Peru gegen die zunehmende tödliche Gewalt gegen Frauen auch hierzulande an.

STANDARD: Sie engagieren sich als Aktivistin, Anwältin und Forscherin gegen Frauenmorde, sogenannte Femizide. Was ist Ihnen zum Weltfrauentag besonders wichtig?

Rodríguez Siu: Für uns ist der 8. März jedes Jahr kein Tag zum Feiern, sondern zum Kämpfen. Leider gibt es immer noch keine Gleichberechtigung für Frauen, weder in Lateinamerika noch in Österreich. Femizide sind nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Gewalt gegen Frauen ist tief in der Gesellschaft verankert. Sie kann sich in psychischer, sexueller oder körperlicher Gewalt oder in wirtschaftlicher Abhängigkeit ausdrücken.

STANDARD: Was genau versteht man unter Femizid?

Rodríguez Siu: Femizid ist ein Delikt, bei dem Frauen aufgrund ihres Geschlechts von Männern ermordet werden. In den 90er-Jahren haben Frauenbewegungen in Lateinamerika begonnen, systematische Frauenmorde sichtbar zu machen. Sie haben sich organisiert und darauf gedrängt, dass Regierungen, Polizei und Justiz etwas gegen die vielen Morde tun. Nach und nach, über viele Jahre, haben sie den Begriff Femizid aufgebaut und etabliert. 2001 starteten lateinamerikanische Feministinnen die Kampagne Ni una menos, um die Gewalt und deren Straflosigkeit sichtbar zu machen.

STANDARD: Sie haben in Peru daran mitgearbeitet?

Rodríguez Siu: In den Nullerjahren gab es noch keine Statistiken zu Femiziden. Wir haben mit der NGO Demus in Archiven und Zeitungsberichten zu Gerichtsverfahren recherchiert, Fall für Fall eine Liste erstellt und Gesetzesvorschläge erarbeitet. Die Statistik ist eine gute Freundin von uns. Sie legt Probleme offen.

STANDARD: Was hat sich seitdem getan?

Rodríguez Siu: Die Menschen sprechen heute im Alltag darüber – auch diejenigen, die vorher nichts mit Feminismus zu tun hatten. 2009 fiel ein wichtiges Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegen Mexiko, in einem Fall, der als Campo Algodonero bekannt wurde. Zahlreiche Frauen waren misshandelt und getötet worden. Das Urteil machte grundlegend die Pflichten des Staates bei der Prävention deutlich. Die meisten Länder in Lateinamerika erkennen Femizid inzwischen als Straftatbestand an.

STANDARD: Was können Sie durch Ihren Aktivismus verändern?

Rodríguez Siu: Ein Weg, gegen Frauenmorde zu kämpfen, ist, das Gesetz zu ändern. Aber das reicht nicht. Auch in Lateinamerika gibt es solche Gesetze und trotzdem hunderte Femizide. Es ist wie eine chronische Krankheit der Gesellschaft. Der öffentliche Diskurs muss sich ändern. Deswegen machen wir immer wieder darauf aufmerksam. In den letzten Jahren hat sich die Situation verändert – auch durch die sozialen Medien. Frauen kommen leichter an Informationen. Trotzdem können sie in Europa ihre Rechte oft eher genießen als in Lateinamerika.

STANDARD: Warum ist das so?

Rodríguez Siu: Machismus und das Überlegenheitsdenken von Männern sind in Lateinamerika leider besonders tief in der Gesellschaft verankert. Aber auch in Österreich gibt es Ungleichheit. Männer dominieren, werden häufig bevorzugt, verdienen mehr Geld. Weltweit sind mehr Männer Mordopfer als Frauen, allerdings sind ihre Mörder meist Männer, genau wie in den Mordfällen, bei denen Frauen getötet werden. (Milena Pieper, 8.3.2020)