Die Anrede "Frau" oder "Herr" soll an der Uni Wien wegfallen. Gesprochen soll man eine Pause machen, den Genderstern (Asterisk), Unterstrich, Apostroph soll man also hören.

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Weiblich, männlich oder divers: Wer sich im Jahr 2020 für ein Studium an der Universität Wien einschreibt, kann bei der Inskription gegen Vorlage einer Bestätigung auch ein Geschlecht wählen, das weder weiblich noch männlich ist.

Damit reagiert die größte Uni des Landes auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Dieses hält fest, dass Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist, ein Recht auf eine entsprechende Eintragung im Personenstandsregister und in Urkunden haben.

Der Senat der Universität Wien hat im Dezember des Vorjahres deshalb für die Administration eine Leitlinie zur genderinklusiven Sprache vorgegeben. In der Kommunikation der Uni sollen also Formulierungen gewählt werden, "die respektieren, dass manche Menschen weder ,weiblich‘ noch ,männlich‘ sind, und die die Gleichstellung sprachlich zum Ausdruck bringen".

Die Anrede "Frau" oder "Herr" soll daher wegfallen. Auch Formulierungen wie "Studentinnen und Studenten" sprächen nur von zwei Geschlechtern. Und auch gesprochen soll man eine Pause machen, den Genderstern (Asterisk), Unterstrich, Apostroph soll man also hören. Empfohlen wird auch, geschlechtsneutrale Formen wie etwa Studierende zu verwenden.

Welche Form genommen werden soll, ist nicht vorgeschrieben. Dennoch empfiehlt die Uni in der Leitlinie den Genderstern, "um die Realität geschlechtlicher Vielfalt sprachlich sichtbar zu machen." Die wissenschaftlichen Arbeiten der Studierenden seien davon nicht betroffen, heißt es vonseiten der Universität. Auch nicht die Forschenden. Sondern lediglich das administrative Unipersonal. Und: Die persönliche Kommunikation ist im Leitfaden ausgenommen. Titel könnten zudem aus rechtlichen Gründen nicht angepasst werden.

Sprache formt Wahrnehmung

Der Hintergrund: "Es steht außer Frage, dass die Sprache die Wahrnehmung formt und dazu in einem Wechselverhältnis steht", sagt Maria Mesner auf die Frage, weshalb Gendern wichtig ist. Sie lehrt an der Uni Wien Zeitgeschichte und Gender-Studies und leitet das Institut für Genderforschung. Sie hält die Leitlinie für eine "positive Sache": "In einer demokratischen Gesellschaft, an der möglichst alle Menschen teilnehmen können sollen, ist es notwendig, alle Menschen, so wie sie sind, richtig anzusprechen."Dennoch machte eine Gruppe geisteswissenschaftlicher Studierender mit "Gendern? Nein, danke!"-Stickern, die sie unter anderem auf die Türen des Rektorats klebte, und in Medienberichten auf die Gender-Leitlinien aufmerksam. Darunter ist Herbert, der Translationswissenschaften im Bachelor studiert. In der Gruppe seien Studierende unterschiedlicher Sprachen, auch der Germanistik, Geschichte und Politik, sagt Herbert, der lieber anonym bleiben will, um seinen Studienfortgang nicht zu gefährden.

Aus seiner Sicht sei das eine Ideologisierung, von oben aufgezwungen. Er sieht darin keine Empfehlung, sondern Vorschriften. "Wir finden das vollkommen übertrieben. Jeder Eingriff in die Redefreiheit, wie jemand sich schriftlich oder mündlich ausdrücken soll, ist aus unserer Sicht ein Schritt zu viel", sagt Herbert.

"Die Freiheit der Wissenschaft und die Redefreiheit sind in keinster Weise gefährdet", kontert eine Sprecherin der Uni Wien diesen Vorwurf, Wissenschafterinnen und Wissenschafter könnten selbst entscheiden, "ob der Genderstern zum Einsatz kommt oder nicht". Auch Mesner sagt: "Wissenschaftsfreiheit bezieht sich ja nicht darauf, dass man die Sprache falsch verwendet." Und: "Warum man darauf besteht, ein Recht zu haben, eine Person mit einer falschen Bezeichnung anzusprechen, verstehe ich nicht. Ich möchte auch nicht mit ‚sehr geehrter Herr‘ angesprochen werden."

Kein politisches Ziel

Das Ziel der Gruppe sei kein politisches, wiederholt Herbert. "Wir wollten nicht dogmatisch oder hetzerisch auftreten. Wir stehen keiner Partei nahe, und wir finden es auch falsch, Sprache zu einem Spielball der Politik werden zu lassen."

In ihrer Position haben die Studierenden Unterstützung einer ÖH-Fraktion: Der FPÖ-nahe Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) prangert im ÖH-Wahlkampf traditionell das Gendern an.

Es sei ein Problem, dass die Gruppe auch mit ihrer neuen Website potenziell Personen aus dem rechten Eck anlocken könnte, sagt Herbert: "Davon distanzieren wir uns und achten sehr genau darauf, wer sich bei uns meldet und mit wem wir zusammenarbeiten." Das Anliegen der Gruppe sei vielmehr "eine politisch neutrale Mitte zu schaffen, dass man beides ablehnen kann".

Mittels der Sticker-Aktion und der Website, die zur Anlaufstelle für Studierende werden soll, die "genötigt werden, zu gendern, deren Noten möglicherweise darunter leiden", wolle man sich mit Gleichgesinnten austauschen, anderen helfen. Denn: Sie fühlten sich von der Österreichischen Hochschüler_innenschaft, die sich selbst mit Unterstrich schreibt, "nicht gerade vertreten, die trägt die Genderbeschlüsse grundsätzlich mit".

Gendern schafft "unfreie Atmosphäre"

Laut Herbert und seinen Mitstreitenden gehe es nämlich sehr wohl um die Studierenden: "Obwohl sie nicht offiziell mitgemeint sind, sorgt es für eine unfreie Atmosphäre", erzählt der Translationswissenschaftsstudent. Gerade in seinem Fach gäbe es "verbohrte Profs, die Studenten nötigen, in ihren Arbeiten zu gendern. Tut man das nicht, bekommt man den Schein am Ende nicht." Er kenne aber auch Geschichten aus anderen Fächern. "Studenten wollen einfach nicht gesagt bekommen, wie sie zu schreiben haben." Auch er sei unter diesen. "Wenn man gendern will, kann man die Doppelform verwenden."

Aus Sicht der Uni Wien habe sich "im Vergleich zu den Zeiten des Binnen-I nichts geändert". Auch nicht, dass Studierende, die nicht genderten, schlechter benotet würden, wie es Herbert schildert. "Das hört man immer wieder, aber ich kenne keine solchen Fälle", berichtet auch Mesner aus ihrer Lehrtätigkeit. Überhaupt könne sie nicht nachvollziehen, wieso man dagegen ist, dass in Lehrveranstaltungen von Studierenden erwartet werde, "sich in einer realitätsadäquaten Sprache zu bewegen". Zahlreiche Studien zeigen, dass Probanden bei einer Berufsbezeichnung in männlicher Form, beispielsweise "Arzt", eher an einen Mann denken oder an eine Gruppe Männer – und damit nicht die Realität abgebildet wird. Im Sommer 2019 legte eine US-Studie nahe, dass geschlechtsneutrale Sprache solche Verzerrungen reduziere und die Toleranz gegenüber queeren Menschen fördere. Die beiden Forschenden hatten dazu 3393 Schwedinnen und Schweden, getestet; in ihrem Land gibt es nämlich seit 2015 das ungeschlechtliche Personalpronomen "hen".

Leitlinien umstritten

Doch nicht nur die Gruppe positioniert sich gegen das Gendern und die entsprechenden Leitlinien. 2018 hat der Rat für deutsche Rechtschreibung bewusst auf Anleitungen zu diesem Thema verzichtet. Die bisherigen Beobachtungen des Schreibgebrauchs würden noch nicht ausreichen, Empfehlungen für bestimmte Varianten wie das Gendersternchen zu geben.

Laut der Sprecherin der Uni Wien hätte man "durchaus auch sehr positive Rückmeldungen" erhalten. Vielleicht haben sich viele Studierende also ans Gendern gewohnt. Das nimmt auch Mesner so wahr, immerhin seien einige eine "treibende Kraft des Genderns".

Am Ende blieb von der Sticker-Aktion recht wenig. Die Aufkleber seien schon bald von der Rektoratstür entfernt worden. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, 7.3.2020)