Eigentlich sind sich Eva Blimlinger, Wissenschaftssprecherin der Grünen im Nationalrat, und Adrijana Novaković, ÖH-Vorsitzende der Gras, in puncto Studiengebühren einig: Gänzlich abgeschafft gehören diese – und zwar für alle. Trotzdem sind sie im ersten türkis-grünen Regierungsprogramm weiterhin vorgesehen und sollen zudem valorisiert werden. Dass die Grünen auf dem Weg in die Koalition in puncto Bildung zu viele Kompromisse eingegangen sind, findet Blimlinger aber trotzdem nicht.

Die Grünen-Bildungssprecherin Eva Blimlinger (links) und Adrijana Novaković (rechts), ÖH-Vorsitzende (Gras), sprechen im Interview über die Pläne der türkis-grünen Regierung, die Hochschulen und das Leben der Studierenden mehr oder weniger zu reformieren.
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STANDARD: Frau Blimlinger, Sie waren Rektorin der Akademie der bildenden Künste. Wie viele Künstler braucht der Arbeitsmarkt?

Blimlinger: Zu sagen, der Arbeitsmarkt braucht x Psychologinnen und Psychologen oder x Lehrerinnen und Lehrer, die Philosophie und Psychologie unterrichten, kann ich nicht nachvollziehen. Als ich 1979 zu studieren begonnen habe, haben alle gesagt: Mit Lehramt Deutsch und Geschichte würde ich nie einen Job finden. Ich habe 22 Semester studiert und nachher einige Jobs gefunden; als Lehrerin habe ich es gar nicht versucht.

STANDARD: Die Uni Wien lässt trotzdem vorerst keine neuen Studierenden für das Lehramt Philosophie und Psychologie zu. Ist das sinnvoll?

Blimlinger: Nein. Aber es liegt in der Autonomie der Unis. Es ist verfehlt, sich darauf zu verengen, was der Arbeitsmarkt braucht. Das kann man historisch sehen: Anfang der 2000er-Jahre war es das Lehramt, nun gehen viele in Pension – es gibt einen Lehrermangel. Vor einigen Jahren waren es die Orchideenfächer wie Sinologie. Orchideen sind schöne Blumen, die genauso eine Berechtigung haben wie Tulpen und Primeln.

Adrijana Novaković: "Ja, man muss Kompromisse bei Regierungsverhandlungen eingehen, aber für uns war das zu wenig."
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STANDARD: Wo sehen Sie eine grüne Handschrift im Bereich der Wissenschaften im Regierungspapier?

Novaković: Der Bereich Klima und Umwelt trägt sie ganz deutlich. Mit dem verbilligten Öffi-Ticket wurde eine langjährige Forderung der ÖH umgesetzt. Auch die Thematisierung der Klimakrise in Lehre und Forschung ist wichtig und dass man Studierende sensibilisiert. Wir werden als Interessenvertretung aber Forderungen stellen. Ja, man muss Kompromisse bei Regierungsverhandlungen eingehen, aber für uns war das zu wenig. Da wäre mehr drin gewesen. Die Valorisierung von Studiengebühren etwa schürt Ängste.

STANDARD: Waren die Grünen zu kompromissbereit?

Blimlinger: Nein, im Bereich der Wissenschaft und Forschung sicher nicht. Es gibt in bestimmten Bereichen grundlegende Unterschiede zwischen uns und der ÖVP. Etwa beim Dauerbrenner Studiengebühren. Wir wollten keine, weder für Drittstaatsangehörige noch für jene, die zwei Semester über der Regelstudienzeit sind. Die ÖVP wollte nachgelagerte Studiengebühren und dass jede Uni selbst bestimmen kann, wie hoch diese sind. Das Thema wird leider immer auf der Agenda stehen.

STANDARD: Vorgesehen ist, dass die Gebühren valorisiert werden. Wäre das bisher geschehen, stünden wir aktuell bei rund 500 Euro pro Semester. Wann werden die Gebühren erhöht und um wie viel?

Blimlinger: Das ist ein Unsinn. Die Valorisierung soll ab jetzt gerechnet werden. Wir müssen uns erst ausmachen, ob wir schon im kommenden Studienjahr starten oder im folgenden. Von mir aus kann es auch erst das übernächste sein.

STANDARD: Der ÖH-Beitrag steigt auch jährlich. Warum habt ihr bei den Gebühren ein Problem damit?

Novaković: Weil sie viele Leute abschrecken. Für manche ist es nicht viel. Andere aus sozial schwächeren Familien können das nicht immer zahlen. Drittstaatsstudierende müssen den doppelten Beitrag leisten: über 700 Euro, das ist weit mehr. Bildung sollte kein Privileg für einige wenige sein. Das derzeitige System ist nicht optimal.

STANDARD: Wie sollen Studienförderung und Familienbeihilfe ausgebaut werden?

Blimlinger: Derzeit wird die Familienbeihilfe nach dem 18. Lebensjahr an die Eltern ausgezahlt. Es ist absurd, dass Erwachsene von der Gunst der Eltern abhängig sind. Dieses widersinnige System führt immer wieder dazu, dass die Beihilfe als Druckmittel eingesetzt wird, wenn das Kind statt Kunst Medizin oder was anderes studieren soll, von dem man sich bessere Jobchancen verspricht. Uns schwebt vor, das Geld direkt an die Studierenden auszuzahlen. Auch bei der Studienförderung müssen wir uns ansehen, wie sehr die Bemessung anhand des Elterneinkommens das Erwachsenwerden seltsam macht.

STANDARD: Reicht das der ÖH?

Novaković: Es freut uns, das zu hören, aber es braucht mehr. Minimum wäre, die Beihilfen an die Inflation anzupassen. Die Lebenserhaltungskosten steigen. Es braucht die Erhöhung der Altersgrenze und die Direktauszahlung.

STANDARD: Die Studieneingangsphase soll flexibler gestaltet werden. Wie soll das aussehen?

Blimlinger: Es wird notwendiger, die achte Klasse und das erste Studienjahr besser zu verschränken. Die Matura ist zwar eine Voraussetzung, aber bei einigen Studien nicht das Kriterium, um studieren zu können.

Novaković: Die Phase müsste weiter aufgefächert werden. Man soll nicht nur Vorlesungen machen können, sondern auch Seminare und Übungen. Etwa, dass man 30 ECTS absolviert, die man als freies Wahlfach anrechnen kann. Viele wissen anfangs nicht, was sie genau machen wollen, und brechen später ab. Dem kann man vorbeugen – damit Studierende nicht, wie Wissenschaftsminister Heinz Faßmann gemeint hat, so viele Fächer gleichzeitig inskribieren. Im Durchschnitt sind es übrigens nur 1,17 Studien.

Eva Blimlinger: "Natürlich gibt es ein paar Narrische, die 15 Fächer studieren. Aber eine gesetzliche Regelung sollte sich nach dem Mainstream richten."
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STANDARD: Wissenschaftsminister Faßmann aber auch Sabine Seidler, Ihre Nachfolgerin als Uniko-Chefin und TU-Wien-Rektorin, findet, dass ein Fach genügt. Wie viele sollte man parallel studieren?

Blimlinger: Das ist an sich schon falsch. Wer Lehramt macht, studiert zwei Fächer. Alle Lehramtsstudierenden könnten sich dann brausen gehen, vor allem, wenn sie noch ein drittes Fach haben. Also bei Lehramt drei bis vier mindestens. Natürlich gibt es Narrische, die 15 Fächer inskribieren. Abereine gesetzliche Regelung sollte sich nach dem Mainstream richten und nicht nach den Ausreißern. Kann man maximal fünf Studien belegen, wird man das wohl ausreichend finden. Wer mehr machen will, macht sie halt im Anschluss. Wenn man prüfungsinaktiv ist, verursacht man ja auch kaum Kosten.

Novaković: Eben, was soll man da beschränken? Das ist ein bisschen Showpolitik und auch ein populistisches Mittel, um Druck auf die Studierenden auszuüben.

Blimlinger: Das Studienrecht gehört reformiert. Schade ist, dass die Diskussion am Unwichtigsten festgemacht wird: an der Zahl der inskribierten Studien und den Prüfungswiederholungen.

STANDARD: Wie oft man eine Prüfung wiederholen darf, ist aber schon relevant für Studierende ...

Blimlinger: Es wird immer so getan, als würden Studierende so oft antreten. Das ist kein Massenphänomen, sondern betrifft ganz wenige Fächer.Wir wissen, dass es sehr oft nicht an den Studierenden oder am Stoff liegt, wenn beim ersten Termin 90 Prozent durchfliegen. Es hat auch mit den Lehrenden zu tun, dass jemand fünfmal antritt. Mein Vorschlag: Es gibt drei Antritte, und jeder hat zwei Lose, wenn er oder sie mehr braucht. Was in dieser Diskussion aber vergessen wird, sind andere Lehr- und Lernformen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Blimlinger: Dass man nicht für jede einstündige Vorlesung eine Prüfung macht. Dieses Bulimie-Lernen ist deppert, didaktisch verfehlt und nicht zeitgemäß. Das weiß jeder in der Pädagogik. Es geht darum, zu verstehen und nicht das gelernte Wissen bei Tests auszukotzen. Wäre ich in einem Senat und könnte Studienpläne mitgestalten, würde ich solche Prüfungen verbieten.

Novaković: Die Überprüfung des Stoffs kann viele Formen haben. Es können ja auch Hausarbeiten sein. Kürzt man nur die Prüfungsantritte, wären einige Studierende ganz schnell weg. Dadurch entsteht auch ein größerer Druck.

STANDARD: Wie soll das Studienrecht künftig gestaltet werden?

Blimlinger: So, dass Studierende bestmöglich in ihren Lebensumständen unterstützt werden. Das heißt nicht, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Fachidioten auszubilden, vollgestopft mit Wissen, die aber nicht in der Lage sind, sich dieses selbstständig und kritisch anzueignen.

STANDARD: Wie frei soll ein Studium denn sein – derzeit wird ja vieles in ein Korsett gepackt?

Novaković: Ein Studium muss frei gestaltet sein, jeder soll sich nach seinem Fokus entfalten können. Ich habe mich anfangs im Studium eingeengt gefühlt. Es ist der Anspruch an die Unis und Studierenden, dass sie qualitativ lernen, lehren und forschen und die Expertise in die Gesellschaft tragen. Zugleich ist der Druck da, rasch abzuschließen und Massenware für den Arbeitsmarkt zu produzieren. Unis sind keine Ausbildungsstätten, sondern Orte der Bildung. Es soll kein Wettbewerb sein.

Uneins in der Frage nach der Verbindlichkeit: die grüne Wissenschaftssprecherin Eva Blimlinger (links) ist gegen verpflichtende Kurse zur Klimakrise. "Lernen ist letztlich etwas Freiwilliges", sagt Blimlinger. ÖH-Chefin Adrijana Novaković will die Studierenden hingegen dazu zwingen.
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STANDARD: Wie sollen sich Unis am Klimaschutz beteiligen?

Novaković: Etwa, indem sie klimaneutral werden, Plastik reduzieren, Müll vermeiden oder ökologisches vegetarisches und veganes Mensa-Essen anbieten. Die Mobilität sollte ausgebaut werden – wie oft bin ich mit dem Rad zur Uni gefahren und habe keinen Stellplatz gefunden. Auch verpflichtende fächerübergreifende Lehrveranstaltungen sind denkbar.

Blimlinger: Es gibt die Allianz nachhaltiger Unis, die viel macht. Die Unis verschreiben sich auch nachhaltige Neubauten. Verpflichtende Kurse finde ich problematisch. Lernen ist letztlich etwas Freiwilliges. Man muss das Angebot drastisch erhöhen, dann geht es eh von allein.

STANDARD: Ist die ÖH zu brav?

Blimlinger: Ich finde, es dürfen sich alle mehr trauen. Aber das müssen sie schon selber machen. Ich freue mich immer, wenn die ÖH sehr aktiv ist und sich nicht nur im engeren Sinn für die Studierenden einsetzt, sondern auch im weiteren politischen Sinn. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, 5.3.2020)