Die Last in der Paketzustellung ist oft ungleich verteilt. Vor allem an der Bezahlung hapert es häufig.

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Sie arbeiten bis zu 16 Stunden am Stück an sechs Tagen die Woche. Netto schauen dabei monatlich selten mehr als 1.600 bis 1.700 Euro Lohn heraus. Viele stammen aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien. Eine Familie haben sie in Österreich nicht. Gelebt wird in kleinen Gemeinschaftsunterkünften, vielfach zu viert oder zu fünft. Freizeit lässt der enge Arbeitstakt ohnehin kaum zu. Paketzusteller sind das letzte und schwächste Glied in einer Logistikkette, die von widrigen Arbeitsbedingungen und Preisdumping geprägt ist.

Internetkonzerne wie Amazon, aber auch andere österreichische Handelsketten nutzen dieses System lukrativ für ihre Zwecke, ohne dafür geradestehen zu müssen, sagt ein Wiener Kleintransporteur und erzählt im Gespräch mit dem STANDARD aus seiner Praxis. "Die Logistikbetriebe, mit denen Amazon zusammenarbeitet, werden rechtlich stets sauber und unantastbar bleiben."

Subunternehmen im Einsatz

Wie das Modell in der Regel funktioniert? Partner der Handelsriesen bedienten sich bei ihrer Zustellung Subunternehmern. Diese wiederum meldeten ihre Fahrer meist für zehn Wochenstunden bei der Krankenkasse an. Tatsächlich gearbeitet werde freilich das Zigfache, was den Zustellern überwiegend schwarz ausbezahlt werde. "Es sind Hungerlöhne. Dennoch gibt es und wird es wohl auch künftig immer genug Leute geben, die das machen", schildert der Transporteur das System.

Boom der Scheinfirmen

Ihre Auftraggeber heuerten gern Scheinfirmen an. Gegründet würden sie von Partnern, die oft knapp über der Grenze lebten. Diese kämen monatlich für ein paar Stunden nach Wien, erhielten einen neuen Anzug und erledigten darin die Bank- und Behördenwege. Dafür würden sie mit 500 Euro entschädigt und hätten mit dem Rest des Geschäfts nichts mehr zu tun. Die neu geschaffene Scheinfirma stelle die Rechnungen aus. Das Risiko, dass der Betrug auffliege, sei aufgrund des enormen Aufwands der Kontrollen gering.

Die Razzien bei Amazon in Niederösterreich haben viel Staub aufgewirbelt. Zwei Tage nach der Großrazzia hat die Regierung angekündigt, den Prüf- und Kontrollplan der Finanzpolizei für das erste Halbjahr anzupassen.
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Prüfer des Finanzamts müssten sich den Zustellern bei ihren täglichen Touren laufend an die Fersen heften, um der unzähligen schwarzen Schafe seiner Branche habhaft zu werden, sagt der Logistiker, der anonym bleiben will.

Gefordert sieht er auch Polizei und Asfinag, die Laster, die oft überladen sind, schärfer ins Visier nehmen müssten. Und der Handel als Auftraggeber? Dieser müsste von seinen Logistikern regelmäßig in Monatsabständen Belege darüber einfordern, dass sie ihre Leute anmelden, dass sie sie korrekt bezahlen, dass sie die Arbeitszeitregeln einhalten. Vor allem aber dürfe es keine Dumpingpreise für deren Dienstleistungen geben. "Einige Unternehmen in Österreich leben das sehr wohl vor."

Druck der Konsumenten?

Auf Konsumenten als Hebel für mehr Fairness in der Logistik baut er nicht. "Jeder ist glücklich, wenn er für Transporte 20 statt 40 Euro zahlt." Und Amazon selbst? "Die großen Konzerne als Auftraggeber wissen um die Missstände in der Branche – sie tun aber nichts dagegen." Er selber habe stets Achselzucken geerntet, wenn er es gewagt habe, darauf hinzuweisen.

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Jeff Bezos sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt.
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Der Gewerkschaftsbund-Präsident Wolfgang Katzian fordert im Zuge der jüngsten Razzia bei Amazon-Zustellern, bei der auch das Verteilzentrum des Onlinekonzerns in Großebersdorf bei Wien gefilzt wurde, eine gesetzliche Auftraggeberhaftung ein. Es werde immer klarer, worauf sich das System Amazon begründe: Es gehe um Subfirmen, versteckte Dienstverhältnisse und viel Leiharbeit.

"Mir fehlen die Worte"

Amazons Verantwortung rund um den Verdacht auf gewerbsmäßige Schwarzarbeit in der Zustellung der Pakete dürfe nicht länger runtergespielt werden: Der Konzern sei es, der die Vorgaben mache, zu denen geliefert werde und die sich anders kaum erfüllen ließen, sagt Katzian. Nun von Kooperation mit den Behörden zu sprechen und den Skandal nur bei Subfirmen zu sehen, hält der ÖGB-Präsident für unhaltbar. Dass sich Amazon-Chef Jeff Bezos nun hinstelle und ankündige, zehn Milliarden Dollar in den Kampf gegen den Klimawandel zu investieren – "mir fehlen dazu schlicht die Worte".

Waffe gegen Sozialdumping

Ein anderes Schwert gegen den Sozialmissbrauch, wie er im Zuge der Finanzrazzia bei Amazon-Zustellpartnern attestiert wurde, will Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein schärfen: die vom EuGH gekippte Kumulierung von Strafen. "Der Fall Amazon zeigt, wie dringend notwendig es ist, das Lohn- und Sozialdumpinggesetz wieder voll fit zu machen", sagte Klein dem STANDARD.

Die Arbeitsbedingungen bei Amazon werden immer wieder kritisiert.
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Der EuGH habe das Vervielfache von Geldstrafen entsprechend der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht generell als Beschränkung ausländischer Arbeitgeber ausgehebelt, sondern dies als unverhältnismäßig und überbordend bei geringen Verstößen qualifiziert.

"Nicht aus der Portokassa"

"Das Kumulationsprinzip sichert aber, dass Riesen à la Amazon die Strafe nicht aus der Portokasse zahlen und weiterdumpen." Der AK-Direktor appelliert an Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP), rasch Gespräche mit den Sozialpartnern über die Reparatur des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes aufzunehmen. Gemeint ist eine Minderungsklausel, die es erlaube, mindere Vergehen milder zu sanktionieren. Bei massenhaften und systematischen Verstößen mit vielen betroffenen Beschäftigten sei aber eine multiplizierte Strafe notwendig, insistiert Klein und verweist auf eine Sozialpartner-Einigung aus dem Jahr 2017, die eine solche Minderungsklausel vorsah. Diese wurde allerdings nie implementiert, weil die Regierung platzte und die nach der Wahl gebildete ÖVP-FPÖ-Regierung die Novellierung des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes nicht mehr verfolgte.

Zudem war das Sozialpartner-Verhältnis im Wahlkampf schwer belastet worden, weil SPÖ und Gewerkschaft den im Paket mitverhandelten Mindestlohn von 1.500 Euro noch vor der Wahl im Nationalrat durchboxten – ohne das ebenfalls im Paket mitgeschnürte Arbeitszeitgesetz. Die Retourkutsche der Wirtschaftskammer folgte auf den Fuß, denn Türkis-Blau beschloss das neue Arbeitszeitgesetz mit dem Zwölfstundentag.

Mehr Kontrollen gefordert

Entsprechend reserviert die Reaktion in der Wirtschaftskammer auf den AK-Vorstoß. Die Unternehmenslobbyisten wollen das verhasste Lohn- und Sozialdumpinggesetz am liebsten gar nicht mehr angreifen.

Von Arbeitsministerin Aschbacher war am Mittwoch keine Stellungnahme zum Lohn- und Sozialdumpinggesetz zu erhalten. Ein Sprecher verwies auf eine gemeinsame Pressekonferenz mit Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) am Donnerstag.

Dem Bundessekretär des Fachbereichs Straße in der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida, Karl Delfs, reicht eine Versenderhaftung für Onlinehändler nicht. Er fordert darüber hinaus eine personelle Aufstockung der Finanz- und Kontrollbehörden sowie eine gesetzliche Aufzeichnungspflicht der Arbeits- und Ruhezeiten für Kleintransport-Lkws unter 3,5 Tonnen. Es gehe jetzt nicht mehr um Einzelfälle. Er will auch das Zentrale Arbeitsinspektorat anspitzen, um österreichweite Kontrollen von Transporten im Onlinehandel zu erwirken. (Verena Kainrath, Luise Ungerboeck, 20.2.2020)