Heute ist Yeha im nördlichen Hochland Äthiopiens in der Provinz Tigray ein kleines ländliches Dorf, umgeben von Bergen aus vulkanischen Gestein und fruchtbaren Ebenen. In der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung bildete der Ort jedoch das politische und religiöse Zentrum einer der bedeutendsten komplexen Gesellschaften südlich der Sahelzone, einer Kultur, die auf das Reich der sagenumwobenen Königin von Saba zurückgeht.

Bis heute erhaltene Tempelruinen – die ältesten baulichen Strukturen in ganz Äthiopien – werden dem Reich Da'amot (Diamat) zugeordnet, das bis zur Entstehung des Reiches von Aksum vor rund 2.000 Jahren bestanden haben dürfte. Wissenschafter vermuten, dass es sich um die früheste komplexe Kultur Afrikas abseits von Ägypten und Sudan handelte. Nun haben Archäologen dort die Reste eines weiteren Monumentalbaus freigelegt.

Blick in die Grabung im November 2019.
Foto: Irmgard Wagner, Deutsches Archäologisches Institut

Einwanderer aus dem Reich von Saba

Die Entstehung dieser Kultur hängt unmittelbar mit der Migration sabäischer Bevölkerungsgruppen aus dem heutigen Jemen zum nördlichen Horn von Afrika zusammen. Ein äthiopisch-deutsches Kooperationsprojekt untersucht die kulturellen Kontakte zwischen den eingewanderten Sabäern und der ansässigen Bevölkerung.

Im Vordergrund steht die Erforschung des Prozesses der Interaktion dieser beiden Kulturen. So fallen neben indigenen Merkmalen insbesondere die südarabischen Einflüsse auf, die sich in der Kunst, der Repräsentationsarchitektur aber auch in Schrift, Sprache, Religion und der gesellschaftlicher Organisation widerspiegeln.

Monumentale Bauwerke

Die monumentalen öffentlichen Bauwerke konzentrieren sich in der unbefestigten Siedlung Yeha auf das heutige Kirchengelände und seine unmittelbare Umgebung. Neben dem "Großen Tempel", einem in den letzten Jahren erforschten und restaurierten Heiligtum des höchsten sabäischen Gottes Almaqah, zählen zu diesen Monumentalbauten außerdem ein etwa 60 Mal 60 Meter großer mehrgeschossiger Palast sowie mehrere bisher nur in Ansätzen untersuchte Repräsentationsbauten.

Der Große Tempel von Yeha.
Foto: A.Savin

Mit den jüngsten Ausgrabungen durch ein Team des Team des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) kann nun ein weiterer Tempel mit 1,40 Meter starken Außenmauern sowie einer Pfeilerhalle im Inneren des Gebäudes rekonstruiert werden, auch wenn bislang nur wenige Reste freigelegt wurden. Typisch für eine südarabische Bauweise sind die gestufte Anordnung der Quaderlagen der Außenmauer sowie der mörtel- und dübellose Versatz der Steine.

Tempel aus dem 7. Jahrhundert vor unserer Zeit

Identisch mit der südarabischen Steinmetztechnik ist zudem die Gestaltung der Quadersichtflächen mit geglättetem Rand und aufgerauter Mittelfläche. Anhand dieser Details lässt sich das Gebäude in das 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datierten und entstand damit etwa zeitgleich mit dem Großen Tempel.

Die Luftaufnahme zeigt das moderne Klosterareal mit dem antiken "Großen Tempel" rechts.
Foto: Deutsches Archäologisches Institut

Pfeilerhallen, die die mehrschiffigen Innenräume der Tempel gliedern, sind für südarabische Sakralbauten im heutigen Jemen bekannt. Mit den sabäischen Einwanderern fand dieser Bautyp Eingang in die architektonische Gestaltung der Heiligtümer von Yeha. Der neue Sakralbau unterstreicht die herausragende religiöse Bedeutung, die der Fundplatz Yeha in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends vor unserer Zeit in dieser Region besaß. (red, 19.2.2020)