Wikileaks-Gründer Julian Assange droht in den USA ein Prozess – und die Höchststrafe von 175 Jahren.

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Der Wikileaks-Gründer Julian Assange hat am Dienstag in britischer Haft Besuch von prominenten Parlamentariern erhalten. Durch ihre Geste der Solidarität wollten die beiden Politiker aus Assanges Heimatland Australien sowie Labours finanzpolitischer Sprecher John McDonnell gegen die mögliche Abschiebung des 48-Jährigen in die USA protestieren. Dort wird ein Prozess wegen Computerhackings und Spionage vorbereitet, die Höchststrafe beträgt 175 Jahre. Das Auslieferungsverfahren vor dem Londoner Magistratsgericht soll am Montag beginnen und könnte mehrere Jahre dauern.

Auch als Podcast: Alles, was man zum Fall Julian Assange wissen muss.

Frage: Wo befindet sich Assange? Warum ist er in Haft?

Antwort: Weit im Osten Londons, eingekeilt von Themse-Wiesen, einer vierspurigen Ausfallstraße und heruntergekommenen Lagerschuppen, liegt Großbritanniens Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das eigens für die Aufnahme von Terrorismusverdächtigen ausgerüstet ist. Sechs Meter hohe Betonwände umgeben den Gebäudekomplex, die Dächer sind mit Stacheldraht gegen Helikopter geschützt, zum nahen Krongericht führt ein eigener Tunnel. Neben dem Terrortrakt hat Belmarsh aber auch einen zweiten Gefängnisflügel, in dem "gewöhnliche" Strafgefangene sowie Auslieferungshäftlinge untergebracht sind. Assange sitzt seit April vergangenen Jahres dort ein. Zuvor lebte er als Schutzbefohlener Ecuadors im selbstgewählten, fast sieben Jahre währenden Hausarrest in der kleinen Botschaft des südamerikanischen Landes in der Nähe des Nobelkaufhauses Harrods. Weil er sich durch die Flucht in die Botschaft der Auslieferung nach Schweden entzogen und gegen gerichtliche Auflagen verstoßen hatte, wurde Assange zu 50 Wochen Freiheitsstrafe verurteilt. Diese ist seit dem Herbst verbüßt. Nun gehen die Behörden auf Nummer sicher, weshalb sich der Journalist und Datenhändler seither in Auslieferungshaft befindet.

Frage: Welche Vorwürfe liegen dem amerikanischen Auslieferungsbegehren zugrunde?

Antwort: Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie New York Times, Guardian und Spiegel, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Dadurch kamen Kriegsverbrechen amerikanischer Streitkräfte in Afghanistan und im Irak ans Licht. Den Behörden zufolge soll Assange die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben, Wikileaks bestreitet dies. Die Härte der Strafverfolgung gegen den "Hightech-Terrorismus", von der damals der frühere US-Vizepräsident Joe Biden sprach, wurde auf beiden Seiten des Atlantiks stets mit der "Gefährdung der Sicherheit" britischer und amerikanischer Staatsbürger in brisanten Ländern wie Iran, Irak, Pakistan und Afghanistan begründet. Allerdings blieben amerikanische wie britische Behörden den Beweis dafür schuldig, dass die Veröffentlichung – wie behauptet – "Menschenleben gefährdet", worauf am Dienstag Wikileaks-Chef Kristinn Hrafnsson hinwies.

Frage: Was ist dran an den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Julian Assange?

Antwort: Juristisch nicht allzu viel. Die schwedischen Behörden stellten im Jahr 2010 mehrmals auf dieser Verdachtsbasis Haftanträge aus, doch Assange, der zeitweilig in London festgenommen worden war, kam nach wenigen Tagen wieder frei. Ein juristisches Tauziehen begann. Im Frühjahr 2012 flüchtete der Wikileaks-Gründer in die ecuadorianische Botschaft. Damals lag gegen ihn ein europäischer Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen in zwei Fällen in Schweden vor. Die Ermittlungen wurden aber inzwischen eingestellt, weil sich die Anschuldigungen als weitgehend haltlos oder unbeweisbar erwiesen und polizeiliche Unterlagen inkorrekt geführt worden sein sollen.

Frage: Was sind die Vorwürfe von Nils Melzer, und wie ist der Zustand von Assange?

Antwort: Während seiner Zeit in der Botschaft klagte Assange über Rückenschmerzen und mangelnde Bewegung. Im Gerichtsverfahren wirkte der Australier stark gealtert und schien an Konzentrationsschwäche zu leiden. Nach einem Besuch im Mai sprach Nils Melzer, der Uno-Sonderberichterstatter für Folter, von "unmenschlichen" Haftbedingungen und "Psychofolter". Melzer erhob schwere Vorwürfe gegen Großbritannien, Schweden und die USA: "Ich habe noch nie erlebt, dass eine Gruppe von Demokratien sich gegen ein Individuum verbünden und diesen Menschen absichtlich isolieren, dämonisieren und misshandeln. "Am Dienstag berichtete Assanges Anwältin Jennifer Robinson, die Haftbedingungen ihres Mandanten hätten sich zuletzt etwas gebessert.

Frage: Wer unterstützt Assange?

Antwort: Viele frühere Verbündete in den Medien haben sich von dem als schwierig geltenden Journalisten abgewandt, nicht zuletzt wegen der gezielten Leaks im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016. Assange werde von den USA nur verfolgt, "weil er Fehlleistungen der amerikanischen Regierung und ihrer Behörden offengelegt hat", glaubt Labours innenpolitische Sprecherin Diane Abbott. Finanzsprecher John McDonnell leitete zu Monatsbeginn eine kleine Demonstration für Assange vor dem Unterhaus. Am Dienstag wurde McDonnell von den beiden Co-Vorsitzenden der Assange gewidmeten Parlamentariergruppe im australischen Parlament begleitet. Während Andrew Wilkie durch seine Kritik am Irakkrieg prominent wurde, fühlt sich der konservative Vertreter der Nationalliberalen Partei, George Christiansen, auf der Rechten zu Hause. Im Fall Assange gehe es aber um die Meinungsfreiheit. (Sebastian Borger aus London, 19.2.2020)