Boris Johnson sprach von Bleiberecht, die Praxis ist anders.

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Ende des Jahres, also am Ende der Übergangsfrist, ist es so weit: Mit dem Austritt aus dem Binnenmarkt endet die Personenfreizügigkeit, EU-Bürger verlieren das automatische Recht auf Niederlassung im Vereinigten Königreich. Wie aber sieht die Zukunft der mindestens 3,6 Millionen Bürger anderer EU-Staaten aus, die schon bisher auf der Insel residieren? Diese Frage gehört zu den zahlreichen Ungewissheiten im künftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU.

Die als übermäßig empfundene Immigration gehörte zu den Hauptfaktoren für die Brexit-Entscheidung im Juni 2016. Seither haben die konservativen Regierungen von Theresa May und ihrem Nachfolger Boris Johnson stets das Bleiberecht der Betroffenen betont. Allerdings passen Worte und Taten nicht zusammen. Ausdrücklich lehnte die Regierung im Gesetzgebungsverfahren über den Austrittsvertrag eine Initiative des Oberhauses ab, die EU-Bürgern dauerhaftes Bleiberecht und ein entsprechendes Dokument zugesichert hätte.

Bewerbungen per App

Stattdessen befinden sich zugewanderte Ärztinnen aus Finnland und deutsche Krankenpfleger, Klempner aus Polen und italienische Journalistinnen im Status von Bittstellern. Eine App des Innenministeriums ermöglicht all jenen, die mindestens fünf Jahre im Land sind, den kostenlosen Antrag auf Dauerstatus (settled status). Wer nur kürzere Verweildauer nachweisen kann, darf sich um eine vorläufige Genehmigung (pre-settled status) bewerben. Die ursprünglich vorgesehene Gebühr von 65 Pfund wurde nach lautstarkem Protest alsbald abgeschafft. Dafür gibt es eine Frist: Wer bis 30. Juni 2021 keine Bewerbung abgeliefert hat, läuft Gefahr, sein Aufenthaltsrecht zu verlieren.

Inzwischen haben mehr als drei Millionen Menschen erfolgreich den Antrag gestellt, lediglich eine Handvoll wurde wegen unklarer Angaben oder Vorstrafen abgelehnt, so vergangene Woche das Innenministerium, das allerdings im Ruf steht, ein Hort katastrophaler Schlamperei zu sein.

Nur elektronische Bestätigung

Der politische Geograf Kuba Jabłonowski von der Uni Exeter ist den Zahlen des Ministeriums sowie des Statistikamts ONS auf den Grund gegangen. Dem ONS zufolge lebten Ende 2018 3,64 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich; da es auf der Insel jedoch keine Meldepflicht gibt, handelt es sich lediglich um eine Schätzung – "und die statistische Ungenauigkeit liegt bei 92.000", hat Jabłonowski errechnet.

Lobbygruppen wie "The 3 Million" sind besorgt, weil das jetzige System den erfolgreichen Bewerbern keinerlei Dokument aushändigt, sondern ihren Status lediglich elektronisch bestätigt. Dadurch würden zukünftige Probleme in der Gesundheitsversorgung und bei der Wohnungssuche heraufbeschworen.

Zu den Enttäuschten zählte zunächst auch Promikoch Damian Wawrzyniak. Dem Polen gewährte das Ministerium zunächst nur den pre-settled status, obwohl er seit 15 Jahren in London lebt, arbeitet und Steuern zahlt. Als sein Fall bekannt wurde, revidierte das Home Office flugs seine Entscheidung. Darüber ärgert sich Wawrzyniak weniger als über das System insgesamt: "Dass ich überhaupt meine Zugehörigkeit zur britischen Gesellschaft unter Beweis stellen muss, finde ich furchtbar." (Sebastian Borger aus London, 13.2.2020)