Zeithistoriker Oliver Rathkolb, Wissenschaftlerin Margit Reiter und der Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Gerhard Baumgartner bei der Präsentation der wissenschaftlichen Bewertung des FPÖ-Historikerberichts.

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Die Präsentation des "Historikerberichts" der FPÖ sorgte nicht nur wegen des Datums – einen Tag vor Weihnachten – für Kritik.

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Wer den Historikern zuhört, erhält den Eindruck, der von der FPÖ selbst so genannte "Historikerbericht" sei ein großer Teppich, der vor allem dazu diene, allerlei Kehrgut darunter verschwinden zu lassen.

Der Bericht, mit dem die Freiheitlichen ihre eigenen Bezüge zum Nationalsozialismus aufarbeiten und sich rechtsextremen und antisemitischen Tendenzen im heutigen Parteigefüge stellen wollten, erhalte mehr Leerstellen als Antworten, sagen drei Experten für Zeitgeschichte, die den rund 660 Seiten umfassenden Bericht analysiert und ihre Ergebnisse am Montag vorgestellt haben.

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"Marketing-Gag"

Historiker Oliver Rathkolb von der Universität Wien meint, den großen Ankündigungen, wonach die FPÖ eine "Historikerkommission" einsetzen würde, die nach umfassenden Recherchen einen "Historikerbericht" über die NS-Bezüge der FPÖ erstellen würde, seien keine Taten gefolgt. Die heimischen Zeithistoriker, die in diesem Feld arbeiten, seien nicht einmal angefragt worden. Lange Zeit sei völlig unklar gewesen, wer am Bericht mitarbeitet. Die selbsternannte "Kommission" verdiene diesen Namen nicht, sagt Rathkolb – es handle sich dabei um einen reinen "Marketing-Gag".

Historikerin Margit Reiter sieht im Bericht vor allem "Leerstellen" und viel Relativierung. Reiter, die seit langem zu NS-Kontinuitäten unter anderem in der FPÖ forscht, habe in dem FPÖ-Bericht wortwörtliche Passagen aus ihrem eigenen Buch wiedergefunden: Allerdings nur dort, wo es darum ging, Analysefragen zu stellen. Die – für die FPÖ wohl eher unangenehmen – Antworten, die Reiter in ihrem Buch fand, wurden im blauen Bericht nicht erwähnt. Nicht nur das: Der Bericht lasse bei einigen Gründungsfiguren der FPÖ deren Involvierung in die SS und deren konkrete Mittäterschaft im Nationalsozialismus einfach weg, so Reiter. In Summe ergebe das ein stark verzerrtes Bild.

Vieles fehlt

Auch Gerhard Baumgartner vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), der die Absicht der FPÖ, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, ausdrücklich begrüßt hat, sieht im Ergebnis vor allem das, was fehlt: So finde sich in dem Bericht nichts über die Verquickungen von FPÖ-Personal in den Südtirol-Terror, fast nichts über Identitäre und Burschenschaften, nichts über heutige Verbindungen prominenter FPÖ-Politiker zu rechtsextremen Netzwerken.

FPÖ präsentierte zu Weihnachten

Die FPÖ hatte den Bericht einen Tag vor Weihnachten präsentiert, wobei die Parteispitze der Präsentation fernblieb. FPÖ-Chef Norbert Hofer räumt in seinem Vorwort zum Bericht ein, die Partei habe sich mit ihrer Geschichte – "und zwar mit jenen Aspekten, die auch Belastung für uns sind" – zu lange "nicht auseinandergesetzt".

"Schauduelle"

Die Historiker lieferten am Montag jedenfalls auch Einblick in die Umstände der Berichtspräsentation. Eineinhalb Jahre hatte es gedauert, bis die FPÖ den Bericht vorgelegen wollte – und dann musste es plötzlich sehr schnell gehen. Mitte November erhielten mehrere anerkannte österreichische Zeithistoriker, darunter Rathkolb und Reiter, ein Einladungsschreiben, Absender war die FPÖ-Geschäftsstelle. Man möge sich zwei Wochen später zu einem Termin einfinden, um dort unter Ausschluss der Medien den sogenannten Historikerbericht zu "diskutieren". Wobei diese Debatte streng nach Bedingungen der FPÖ zu erfolgen hatte: So hätte man beispielsweise Uni-Wien-Professor Rathkolb mit FPÖ-Hardliner Andreas Mölzer zu einer Art "Schauduell" (O-Ton Rathkolb) zusammengespannt, um die Frage zu beantworten, ob die FPÖ antisemitisch ist. Historikerin Reiter, Professorin an der Uni Salzburg, wäre in ein Duell mit Lothar Höbelt gesetzt worden. Über den Bericht, an dem Höbelt mitgeschrieben hat, hätte Reiter jedoch nicht diskutieren können: "Wir hätten ihn erst wenige Tage davor erhalten", sagt sie zum STANDARD.

Alle Historiker hätten angesichts der kurzfristigen Anfrage wegen Terminproblemen, aber auch wegen der Angst vor Instrumentalisierung abgesagt. Vor allem die Tatsache, dass die FPÖ das Publikum selbst bestimmen wollte und Medien keinen Zugang haben sollten, habe sie stutzig gemacht, sagt Reiter.

Die FPÖ nutzte die gescheiterte Kontaktanbahnung für eigene PR-Zwecke: Gefragt, was er zur Analyse der Experten sage, antwortete Kickl am Montag zur APA: "Wir haben die Herrschaften schon einmal eingeladen, und sie haben gekniffen." Auf die inhaltliche Kritik der Historiker – etwa die Frage, warum man zu den Verflechtungen mit den Identitären im Bericht nichts finde – ging Kickl nicht ein. (Maria Sterkl, 3.2.2020)