Foto: Heyne

Seth Fried: "Der Metropolist"

Der vielleicht sympathischste SF-Protagonist des Jahres ist ... ein Bürokrat. Überraschung! Lesen wir mit Vergnügen, wie sich der steife Beamte Henry auf die Spur von Terroristen begibt, die die USA – in dieser Parallelwelt ein Wohlfahrtsstaat – bedrohen. An Henrys Seite steht dabei die überaus selbstverliebte Künstliche Intelligenz OWEN, und zusammen ergeben die beiden so unterschiedlichen Ermittler das oddeste Odd Couple seit langem.

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Foto: Berlin Verlag

Margaret Atwood: "Die Zeuginnen"

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Margaret Atwood, die sich stets dagegen gesträubt hat, ihre Romane als Science Fiction zu bezeichnen, hat nun etwas mit "Krieg der Sterne" gemeinsam. Die Fortsetzung ihres Jahrhundertromans "Der Report der Magd" ist genauso abgefeiert worden wie "The Force Awakens". Und beide funktionieren deshalb so gut, weil man sich nicht ganz sicher sein kann: Ist das jetzt wirklich ein Sequel oder nicht doch eher ein Remake?

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Foto: Knopf

Ted Chiang: "Exhalation"

In Zeiten eines merkwürdigen Hypes um mediokre Autoren, die "Diversität" als ausreichenden Ersatz für Plausibilität zu betrachten scheinen, tut die Erinnerung wohl, wie intelligent Science Fiction tatsächlich sein kann. Der US-Amerikaner Ted Chiang schreibt seit fast 30 Jahren Kurzgeschichten, die ihresgleichen suchen. "Exhalation" versammelt sein Schaffen aus den Jahren 2005 bis 2019, und jede einzelne der neun konsequent durchdachten Erzählungen wirkt wie eine Gleichung, die auf wunderbare Weise aufgeht.

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Foto: Fischer Tor

Simon Stålenhag: "The Electric State"

Ein Buch, das sich jeder Kategorisierung entzieht: Der schwedische Multimediakünstler Simon Stålenhag malt fotorealistische Landschaften und spickt diese dann mit SF-Elementen. In "The Electric State" wird das zu einem verstörenden Roadtrip durch ein Amerika, das die Kontrolle über seine Technologie verloren hat. Seite für Seite schaudern und staunen wir über verwilderte Roboter, abgewrackte Kampfkolosse und – vielleicht am unheimlichsten – neuartige Symbiosen von Mensch und Maschine.

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Foto: Putnam

Zach Powers: "First Cosmic Velocity"

Nehmen wir an, sämtliche sowjetischen Weltraumpioniere wären nie zur Erde zurückgekehrt, sondern in der Atmosphäre verglüht – während die Partei der Weltöffentlichkeit ihre am Boden gebliebenen Zwillinge als Helden präsentiert. Dieses verschwörungstheoretische Gedankenspiel nimmt Zach Powers als Ausgangspunkt für einen melancholischen Rückblick auf die Anfänge des Raumfahrtzeitalters.

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Foto: Heyne

Adrian Tchaikovsky: "Im Krieg"

Die (Anti-)Helden von Adrian Tchaikovskys jüngstem Roman heißen Rex, Honey, Dragon und Bees. Und sie sind keine Menschen, sondern gentechnisch veränderte und mit Waffen augmentierte Tiere, die für den Kampf gezüchtet wurden. Doch wo es Intelligenz gibt, da ist der freie Wille meist nur einen Schritt entfernt. "Im Krieg" ist die Geschichte des langen und schmerzvollen Weges zu einem selbstbestimmten Leben.

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Foto: Baen

Martin L. Shoemaker: "Today I Am Carey"


Es spricht für den metaphorischen Grundcharakter der Science Fiction, dass sie Menschlichkeit am schönsten anhand dezidiert nichtmenschlicher Protagonisten thematisieren kann. In Martin L. Shoemakers berührendem Roman ist es der Pflege-Android Carey, der im Lauf dreier Generationen zum Mitglied "seiner" Familie wird.

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Foto: Heyne

Cory Doctorow: "Wie man einen Toaster überlistet"

Seit Jahren gibt Autor und Aktivist Cory Doctorow praktische Tipps, wie sich Otto Normalverbraucher gegen die übergriffige Politik von Datenkraken aller Art wehren kann. In dieser satirischen Novelle verdichtet sich das zum beherzten Kampf einer jungen Frau gegen einen Konzern, dessen Toaster nur sein eigenes Patentbrot rösten.

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Foto: Mythic Island Press

Linda Nagata: "Edges"

Nanotechnologie, gottgleiche posthumane Wesen, untergegangene Superzivilisationen und ein völlig veränderter Identitätsbegriff, da sich jedes menschliche Bewusstsein beliebig kopieren und editieren lässt: "Edges" ist eine Space Opera ganz im Geiste von Alastair Reynolds ... der sich zu Beginn seiner Karriere seinerseits an Pionierin Linda Nagata orientiert hatte, Ehre wem Ehre gebührt! Teil 2 der Saga wird in der nächsten Rundschau besprochen.

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Foto: Atria/Leopoldo & Co

Keith Thomas: "Dahlia Black"

Wieder einmal ist ein katastrophales Ereignis um die Welt gezogen, wieder einmal blicken wir aus dem Danach auf das Davor und das Währenddessen zurück, und wieder einmal erschließt sich uns dies in Form aneinandergereihter Audioprotokolle und sonstiger Dokumente. Keith Thomas hat gewissermaßen das "World War Z" der Science Fiction geschrieben; Thema das Romans ist, wie eine rätselhafte Botschaft von Außerirdischen die Welt für immer verändert.

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Foto: Heyne

Qiufan Chen: "Die Siliziuminsel"

Obwohl sein Roman in der Zukunft angesiedelt ist und die Möglichkeit einer technologischen Singularität an die Wand malt, beschreibt der chinesische Autor Qiufan Chen eigentlich ein Phänomen unserer Gegenwart: nämlich das globale Geschäft mit Elektroschrott und die Umweltbelastung, die dieser verursacht. Die titelgebende Siliziuminsel ist eine Metapher für real existierende Orte, die Chen besucht hat.

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Foto: Mulholland Books

Ben H. Winters: "Golden State"

Ben Winters braucht weder technologischen Schnickschnack noch Aliens, um uns in eine höchst fremdartige Umgebung zu entführen – nur staatliche Gesetzgebung. Denn in seinem "Golden State" ist jede Form von Lüge streng verboten, egal wie harmlos. Die Folgen für den Alltag lesen sich mal witzig, mal erschreckend, mal tragisch – es ist das Porträt einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft.

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Foto: Heyne

Paul Tremblay: "Das Haus am Ende der Welt"

Das Grauen sucht eine glückliche Kleinfamilie heim. Fremde stehen vor der Tür, erklären, dass die biblische Apokalypse drohe und dass es nur eine Möglichkeit gebe, diese noch abzuwenden: Einer von euch muss sich opfern – wählt ihn aus, und zwar gleich. So simpel, so effektiv.

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Foto: Angry Robot

Ada Hoffmann: "The Outside"

Auch Ada Hoffmann beschwört den Horror herauf, allerdings auf galaktischer Ebene. Sie verschmilzt ihre Space Opera mit Lovecraft'schen Elementen und schickt ihre Protagonistin auf eine Weltraum-Queste, bei der der Fortbestand der Realität selbst auf dem Spiel steht.

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Foto: Golkonda

China Miéville: "Die letzten Tage von Neu-Paris"

Einen Crashkurs in der Geschichte des Surrealismus verpasst uns der zu alter Form zurückgefundene China Miéville hier – und Crash ist wörtlich gemeint. Im Paris des Zweiten Weltkriegs ist die "S-Bombe" explodiert und hat die Kunstwerke sämtlicher Surrealisten von Magritte bis Dalí zum Leben erweckt. Die toben nun wie Godzilla durch die Stadt und treiben die Nazi-Besatzer zur Verzweiflung: Kunst als Ausdruck des Widerstands auf eine ganz neue Art.

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Foto: Fischer Tor

V. E. Schwab: "Vicious. Das Böse in uns"


Eine Bösenachtgeschichte, die wie Paul Tremblays "Haus am Ende der Welt" auf einer ebenso simplen wie effektiven Grundidee beruht: Die US-amerikanische Fantasyautorin V. E. Schwab stellt uns zwei Protagonisten vor, die von Freunden zu Todfeinden geworden sind, und erklärt uns vorab, dass einer von ihnen böse und der andere noch schlimmer sei. Und so rätseln wir vergnügt, wer von beiden das geringere Übel sein mag.

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Foto: Fischer Tor

Andreas Eschbach: "Perry Rhodan"

Klingt fast wie der Beginn eines Witzes: Wie kommt ein Perry-Rhodan-Roman in die Rundschau? Nun, es ging ganz einfach: Andreas Eschbach hat außerhalb des eigentlichen Franchises (aber inhaltlich vollauf damit kompatibel) eine umfassende Biographie der ersten Jahre des späteren "Erben des Universums" geschrieben. Der Roman ist eine nostalgische Reise zurück in die Jugend – und zwar nicht nur in die Rhodans, sondern auch in die der Leser, des Raumfahrtzeitalters und der Science Fiction selbst.

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Foto: Golkonda

Michael Marrak: "Quo vadis, Armageddon?"

Und noch ein Titel aus Deutschland, aber ein vollkommen anders gearteter. Wenn "Perry Rhodan" dem Ich und Über-Ich gewidmet war, dann quillt in den Kurzgeschichten von Michael Marrak das Unterbewusste an die Oberfläche. Seine surrealen Erzählungen – angesiedelt irgendwo zwischen Science Fiction, Horror und dem vollkommen Weirden – entführen uns in Welten, die neben, nach oder unter der unseren liegen. Ein paar davon gehören mit zum originellsten, was die deutschsprachige SF je hervorgebracht hat.

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Foto: Carlsen

Vincent Perriot: "Negalyod"

Ohne die "richtigen" Bilder geht bei einer Graphic Novel gar nix – aber Vincent Perriot hat sie. Der Franzose channelt Moebius, wenn er eine ferne Zukunft entwirft, in der Wasser zum kostbarsten Gut geworden ist. Wilder Westen, Retrofuturismus und eine zweigeteilte Welt – oben in ihren Himmelsstädten die Wohlhabenden, unten in engen Canyons die Plebs – liefern einen fantastischen Motivmix. Und aus irgendeinem Grund wimmelt es überall vor Dinosauriern, was der Optik natürlich auch nicht schadet.

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Foto: Schreiber & Leser

Zep & Bertail: "Paris 2119"

Und noch eine Graphic Novel hat sich in die klassische europäische Tradition gestellt – auch wenn hierfür eher die düsteren Bildwelten Enki Bilals Pate standen. In "Paris 2119" kann der globale Personenverkehr ganz ohne Flugscham abgewickelt werden, weil man sich jetzt einfach beamen lässt wie weiland im Raumschiff Enterprise. Verschwörungstheoretiker Tristan muss allerdings feststellen, dass die Technologie der Teleport-Kabinen auf etwas grimmigeren Prinzipien beruht als die von "Star Trek". Doch wird ihm das jemand glauben?

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Foto: Harper Collins

David Koepp: "Cold Storage"

Für Freunde von Wissenschaftsthrillern gab's 2019 gleich zwei Titel, die über das Default-Niveau des Genres ("gediegen") ein Stückchen hinausragten. David Koepp gelang dies dadurch, dass er das unappetitliche Geschehen mit Witz und Sympathieträgern würzte. Seine Protagonisten: ein Parasit, der Menschen zu Zombies macht, ein aus dem Ruhestand zurückgeholtes Agentenduo und ein herrlich unterhaltsames junges Liebespaar, das sich unverhofft inmitten des biologischen Abwehrkampfes wiederfindet.

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Foto: Harper Collins

Daniel H. Wilson: "The Andromeda Evolution"

Greift die Literatur jetzt den Sequel- und Remake-Boom auf, der seit Jahren das Kino beherrscht? Nicht nur Atwoods "Report der Magd" erlebte 2019 eine Fortsetzung, sondern auch Michael Crichtons Thrillerklassiker "The Andromeda Strain". Daniel H. Wilson bewältigt die schwierige Aufgabe, indem er zunächst getreulich in den Fußstapfen Crichtons wandelt, die Handlung dann aber sukzessive in Richtung SF überführt – mit Anklängen an James S. A. Coreys "The Expanse". Gutes Handwerk ist auch eine Qualität.

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Foto: Klett-Cotta

John Lanchester: "Die Mauer"

Kalt wird es hier nicht nur den Romanfiguren: Im Bild eines Großbritanniens, das entlang seiner gesamten Küstenlinie eine gigantische Betonmauer hochgezogen hat, verdichtet John Lanchester die Entwicklung, die unsere Welt nehmen könnte. Auf der einen Seite sind die, die aus ihrer untergegangenen Heimat fliehen mussten – auf der anderen diejenigen, die nicht überrannt werden wollen. Dass Lanchester nicht Partei ergreift, lässt das Szenario nur noch auswegloser erscheinen.

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Foto: St. Martin's Press

Sue Burke: "Interference"

Auf der Dschungelwelt Pax hat sich eine Lebensgemeinschaft aus menschlichen und außerirdischen Kolonisten sowie einer einheimischen pflanzlichen Intelligenz entwickelt. Man möchte von einer Symbiose sprechen – allerdings einer, deren Partner einander schamlos manipulieren. Und jeder glaubt, dass er es ist, der die Fäden in der Hand hält. Wie es mit der ungewöhnlichen Gemeinschaft aus Sue Burkes Debütroman "Semiosis" weiterging, erfahren wir hier.

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Und das war die – natürlich streng subjektive – Jahresauswahl der Rundschau; Ergänzungen können gerne darunter gepostet werden. Martha Wells' "Tagebuch eines Killerbots" war übrigens nur deshalb nicht enthalten, weil "Murderbot" eh schon im Jahr davor via Originalausgabe im Best-of rangierte. Und heuer kommt ja auch schon wieder ein neuer "Murderbot"-Roman heraus. – Doch ist selbst die lange Jahresrundschau nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur nächsten Ausgabe. Mit dabei werden unter anderem Ben Smith, Caitlin Starling und schon wieder Adrian Tchaikovsky sein. (Josefson, 18. 1. 2020)