Sie hätte einen würdigen Abschluss der Handke-Debatte auf hohem Niveau darstellen können. Die Podiumsdiskussion im Literaturhaus Graz am Abend des 11. Dezember. Saßen doch nun, hätte man glauben können, alle Experten beisammen, die es für eine spannende, kantige Diskussion gebraucht hätte. Ein Literaturwissenschafter (Klaus Kastberger), eine österreichische Malerin und Schriftstellerin (Julya Rabinowich) und ein deutscher Handke-Fachmann (Lothar Struck) auf der Seite der Handke-Verteidiger. Eine serbischstämmige österreichische Autorin (Barbi Marković), eine versierte Slawistin (Miranda Jakiša) und ein Journalist (Gerrit Bartels vom Tagesspiegel) auf der Seite der Handke-Gegner. Hubert Patterer (Chefredakteur der Kleinen Zeitung) übernahm die Rolle des Moderators.

Eine harmonische Debatte …

Trotz dieser Gegenüberstellung waren die Fronten so verwaschen, dass lange kaum unterscheidbar war, wer wirklich auf welcher Seite stand. Sicherheitshalber taten zuerst einmal fast alle einhellig ihre Enttäuschung über die Nobelpreisrede Handkes kund. Dass es nicht wirklich viel Kontroversielles zwischen den Diskussionsteilnehmern geben würde, war aber spätestens klar, als Bartels ohne jede Begründung ganz einfach – gegen Handke gerichtet – verfügte: "Medienkritik, das geht nicht mehr" ­– und niemand widersprach.

Das muss man sich auch einmal vergegenwärtigen. Ein Journalist erklärt plötzlich eigenmächtig alle Kritik an seinem Metier für obsolet, und keiner sagt etwas dagegen.

Ohnehin waren die Diskussionsteilnehmer sehr lieb zueinander, lächelten einander an und gingen so freundlich wie möglich miteinander um, man duzte einander ganz selbstverständlich. Und es sah auch so aus, als wollte keiner dem anderen weh tun. Was zwischenmenschlich fördernd ist, muss freilich nicht unbedingt deswegen schon einer Diskussion gut tun. Es bedurfte wütender Zwischenrufe aus dem Publikum, damit sich die Handke-Verteidiger doch ein wenig aus der Deckung wagten.

Wirklich interessant wurde die Debatte trotzdem nicht. Schnell verlor sie sich in Schöngeistigem. Kastberger wusste, dass Handke eigentlich eine Art Parzival sei, weil er, gleich der verhängnisbeladenen Hauptfigur des mittelalterlichen Epos, nicht die Mitleidsfrage gestellt habe. Zur Erklärung: Er meinte damit, dass der Schriftsteller sich nicht bei den bosnischen Opfern entschuldigt oder eine andere dementsprechende Geste gesetzt habe.

Jakiša kramte im Gegenzug hierzulande unbekannte serbische Nationalmythen hervor, derer sich angeblich Handke bedient beziehungsweise die er bedient hätte.

Im Zentrum der zahmen Diskussion: Peter Handke.
Foto: APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND

… versickert im Belanglosen

Abgesehen von diesen originellen Einfällen wurden über weite Strecken lediglich die üblichen Handke-Stereotype wiederholt, die ohnehin in den vergangenen zwei Monaten von den Medien in Dauerschleife aufgerufen wurden. Natürlich musste man sich ganz nach Plan über die "Indianer"-Stelle in der "Winterlichen Reise" empören, ebenso wie man sich selbstverständlich über die angeblich romantisierende Sicht Handkes auf das einfache Leben der Serben lustig zu machen hatte. Ein wenig geistig überstürzt wirkte hier freilich Marković, die Handke deswegen schon gleich unterstellte, dass er gerne hätte, dass sie immer noch hungern würde.

Gegen solche schneidende Logik waren die nur stellenweise agil, aber auch selbst dann noch konfus wirkenden Handke-Verteidiger allerdings chancenlos. Am klarsten von ihnen vertrat noch Struck überhaupt etwas, was man Position nennen hätte können. Immerhin war er der einzige, der durchschaute, dass Handke für seine Rede vor der Schwedischen Akademie in jedem Fall kritisiert worden wäre, gleich, was er gesagt oder nicht gesagt hätte. Weil in den Augen der Öffentlichkeit mittlerweile schon automatisch alles falsch sei, was er auch sage oder tue. 

Rabinowich und Kastberger hingegen schienen nicht einmal mehr klar sagen zu können, warum sie überhaupt Anfang November den Offenen Brief mehrerer österreichischer Schriftsteller mitunterzeichnet hatten, der die "Anti-Handke-Propaganda" in den österreichischen Medien kritisiert hatte.

Ähnlich wurde am Schluss bei der Frage herumlaviert, ob Handke den Nobelpreis verdient hätte. Manch einer der Diskutanten hätte Friederike Mayröcker lieber gehabt, erfuhr das anwesende Publikum nun. Dermaßen banal verebbte ein Abend, der ohnehin ohne jeden Tiefgang gewesen war.

Handke-Debatte mit Substanz? - Eine Verlustanzeige

So war vom wirklichen Inhalt der "Winterlichen Reise" auch bei dieser Veranstaltung einmal mehr nicht die Rede. Kein Wunder, wenn man von vornherein beschließt, sich nicht an jener Medienkritik die Finger zu  verbrennen, die doch den Kern des Buches ausmacht. Stattdessen stürzt man sich auf Nebensächlichkeiten, auf einzelne Stellen, die aus dem Zusammenhang gerissen und gleichzeitig ganz groß aufgebauscht werden und in die man natürlich immer das Übelste hineininterpretiert. So merkwürdig schief wird die Debatte aber ja schon ganz allgemein in der Öffentlichkeit geführt, seitdem die Verleihung des Nobelpreises an Handke bekannt wurde. (Ortwin Rosner, 18.12.2019)

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