Forscher haben erstmals die Bildung von DNA-Schleifen beobachtet – das Erbgut ist offenbar viel stärker in Bewegung als bisher gedacht.
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Die Aufgabe klingt, als wäre sie von einer diabolischen Mythenfigur ausgeheckt worden: Nimm diese zwei Meter lange Kette und packe sie in ein Kügelchen mit nur fünf Mikrometer Durchmesser. Wie soll das bloß gehen? Die Natur hat dieses Kunststück mit Bravour vollbracht. Um die Kette – die DNA, das Erbgut eines jeden Tiers und jeder Pflanze – immer wieder geordnet in den winzigen Zellkernen unterbringen zu können, muss sie allerdings gleich mehrere Tricks anwenden. Da wird gedreht und gewickelt, gestapelt und gebunden, und am Ende passt tatsächlich alles zusammen.

Aber damit nicht genug. DNA ist kein schlafender Speicher, keine verstaubte Bibliothek, in der alle paar Wochen mal jemand hindurchschleicht, um sich ein Buch zu holen. Stattdessen herrscht Dauerbetrieb. Ständig müssen Gene mit den Codes für tausende verschiedene, oft lebenswichtige Proteinbausteine abgelesen werden. Das geht nicht, ohne Erstere immer wieder auszupacken und gleich wieder einzulagern. Eine wahre Sisyphusarbeit.

In die genauen Abläufe dieses Megaprozesses hat die Wissenschaft bislang nur begrenzt Einblick. Nun jedoch haben Forscher des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien einen wichtigen Mechanismus zur Gliederung von DNA aufgedeckt. Das Erbgut selbst, so zeigt sich, ist offenbar viel stärker in Bewegung, als die Fachwelt lange glaubte. "Dies ist ein Paradigmenwechsel", betont der IMP-Biologe Jan-Michael Peters. Demnach wäre unser aller genetisches Material einer stetigen Dynamik unterworfen, auch außerhalb von Zellteilungsphasen. Dem Durchbruch dürften deshalb wohl weitere folgen.

Ein Prozess, so alt wie das Leben

Dass Chromosomen nicht bloß aus simpler DNA bestehen, ist natürlich kein Neuland. Bekannt sind zum Beispiel das Aufwickeln der Doppelfäden um runde Proteingebilde, die sogenannten Histone, wodurch eine Art Perlenkette aus Erbgut entsteht, und die Verdrillung der Stränge zu kompakten Superspiralen. Doch was hat es mit diesen seltsamen Schleifen auf sich, die der Mediziner Walther Flemming 1882 erstmalig durchs Mikroskop beobachtete?

Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Eingliederung von DNA-Sequenzen in eine zusätzliche, dreidimensionale Organisationsstruktur: die topologisch assoziierten Domänen, kurz TADs. Diese räumlichen Einheiten begünstigen die Steuerung der Genaktivität und die Entstehung neuer Codes durch Rekombination, wie Jan-Michael Peters erläutert. Man muss sich das Ganze wie eine gewaltige Maschinerie in Miniatur vorstellen, dessen Teile je nach Position miteinander agieren und Information austauschen.

Das Video zeigt die Bildung einer DNA-Schleife (Auflösung: Zehn Bilder pro Sekunde, der Balken oben misst zwei Mikrometer).
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Zurück zu den von Flemming entdeckten Windungen. Ihre Entstehung wird anscheinend von einem einzigen Proteinkomplex mit dem Namen Cohesin bewirkt – ein Vorgang, fast so alt wie die Evolution selbst. "Schleifenbildung durch Cohesin-ähnliche Moleküle kommt in allen Lebewesen auf diesem Planeten vor", sagt Peters. Der Prozess dürfte zum ersten Mal bei Bakterien aufgetreten sein, als Mechanismus zur Auftrennung ihrer DNA während der Zellteilung. Auch heute noch ist Cohesin als Enzym in ähnlicher Rolle aktiv, in Pflanzen, Tieren und Mikroben. Bei Mehrzellern liegt eine weitere Hauptfunktion inzwischen in der Schleifenbildung. Solche Neuorientierungen sind in der Natur keine Seltenheit.

Die Präsenz von Cohesin an den DNA-Schleifen wurde bereits 2008 von einem internationalen Expertenteam unter Jan-Michael Peters’ Leitung untersucht. Damals dachte man allerdings noch, der Proteinkomplex binde sich fest und diene zur Abschirmung von genetischen Schaltstellen. Eine Art biochemisches Isolierband sozusagen. Andere Forscher verfolgten derweil eine weitere Idee. Ihrer Meinung nach könnte Cohesin dank seiner zirkulären Struktur wie ein Ring über die DNA gleiten und so eine immer größer werdende Schleife bilden, bis der Komplex an fest auf den Erbgutsträngen verankerten Proteinmolekülen zum Stehen kommt. Letztere, CTCF genannt, würden somit die maximale Ausdehnung der Windungen und letztlich auch ihre genauen Positionen innerhalb einer TAD bestimmen. Mit anderen Worten: Ohne Cohesin plus CTCF wäre der DNA-Wulst im Zellkern nicht zu bändigen.

Dynamische Windungen

Peters und sein Team haben diese Hypothese jetzt im Labor getestet – und bestätigt, wie sie im Fachblatt Science berichten. Die Wissenschafter brachten einzelne, fluoreszenzmarkierte DNA-Fäden im Reagenzgefäß mit Cohesin zusammen und konnten anschließend mithilfe eines Spezialmikroskops beobachten, wie sich die lassoähnlichen Schleifen bildeten. Zunächst entstanden diese offenbar als kleine Ausstülpungen, wuchsen aber rapide zur vollen Länge an. Anders als viele andere Enzyme scheinen Cohesin-Moleküle keine vorgegebenen Ankoppelungsstellen zu benötigen, sagt Peters. "Vermutlich können sie überall auf der DNA landen."

Hochinteressant sei auch die Wirkungsweise des Proteinkomplexes. Cohesin agiert offenbar selbstständig wie ein winziger Motor, der die Erbgutkette aktiv in eine Schleife zieht – statt passiv wie ein Ring über die DNA zu gleiten. Die dafür notwendige Energie gewinnt das Enzym durch Spaltung von ATP, dem zellulären Brennstoff schlechthin.

Peters vermutet, dass die Schleifenbildung ein ständig stattfindender Prozess ist. Die Dynamik könnte unter anderem der Rekombination Vorschub leisten, welche unser Immunsystem zur Bekämpfung von Krankheitserregern nutzt. "Es ist in der Lage, eine praktisch unbegrenzte Zahl von unterschiedlichen Antikörpern zu bilden." Der Clou dahinter: Die zuständigen Gene tauschen Teile von sich selbst untereinander aus und kreieren so immer wieder neue Antikörper-Codes. Das funktioniert allerdings nur, wenn sie nah genug beieinanderliegen. Die Windungen bringen die Gene zusammen. Wie diese Vorgänge im Detail funktionieren, wird Stoff für weitere Studien sein. (Kurt de Swaaf, 15.12.2019)