Der steirische Journalist Max Zirngast war selbst ein Jahr wegen fadenscheiniger Gründe in türkischer Haft.

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Wien – Die Debatte um eine Justizreform in der Türkei ist in den Augen des österreichischen Aktivisten und freien Journalisten Max Zirngast, der ein Jahr in türkischer Haft verbracht hat, "eher eine Augenauswischerei". Einig sind sich Zirngast und sein deutsch-türkischer Kollege Adil Demirci, der türkische Gefängnisse ebenfalls von innen kennt, dass Druck und Solidarität "von außen" für willkürlich Inhaftierte Regimekritiker von großer Bedeutung sind.

"Die politischen Prozesse und die Polizeirazzien gehen weiter", schilderte Zirngast am Donnerstagabend im Österreichischen Journalistenclub (ÖJC) in Wien die Zustände. "Außerdem sind die türkischen Gefängnisse heillos überfüllt." 25 Personen säßen in Acht-Personen-Zellen. Nach den Worten von Demirci, der im Gegensatz zu Zirngast nicht freigesprochen ist, sondern dessen Prozess noch weiterläuft, befinden sich derzeit 62 Personen mit deutschen Reisepässen in türkischer Haft. Demirci und Zirngast gerieten jeweils wegen angeblicher Zugehörigkeit oder Nähe zu verbotenen linken Bewegungen in das Visier der türkischen Justiz.

Bis zu sieben Jahre in U-Haft

Der österreichische Anwalt Clemens Lahner, der wiederholt Gerichtsprozesse in der Türkei beobachtete, hob die Bedeutung der Kooperation mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und auch mit dem Europarat – die Türkei ist Mitglied – hervor. "Eine Staatenklage ist aber nicht in Sicht." Faktum sei, dass zuerst die nationale Gerichtsbarkeit ausgeschöpft werden müsse. Im Falle der Türkei sieht die Realität aber so aus, dass die Untersuchungshaft bis zu sieben Jahre dauern könne, sagte der Steirer Zirngast, der in der Türkei auch Politologiestudien absolvierte.

Demirci und Zirngast schilderten ihre Gerichtsprozesse, in denen vieles nicht nachvollziehbar sei, wie die mangelhafte rechtliche Begründung der U-Haft und die Säumigkeit der türkischen Justiz bei der Erstellung der Anklageschrift. Demirci, der als Sozialarbeiter tätig ist, erklärte, er sei im April 2018 ohne Erklärung festgenommen worden. Erst vier Monate später kam eine Anklageschrift, in der ihm Teilnahme an einem Begräbnis für linke Aktivisten vorgeworfen wurde. Nach sieben Monaten war der erste Gerichtstermin angesetzt, ausreisen durfte er erst im Juni 2019 zum Begräbnis seiner Mutter.

Prozesse ohne Beweise

Der Fall Zirngast weist Parallelen auf, mit Prozessvertagung und vorläufiger Ausreisesperre. Im September 2018 wurde er verhaftet, ein Jahr später freigelassen. In seinem Fall hatte der Staatsanwalt überraschend einen Freispruch gefordert. Zirngast merkte an: "Der Freispruch erfolgte ohne irgendeine Änderung in der Anklageschrift." Eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation sei "ohne Beweise suggeriert" worden. Ausdrücklich betonten beide Journalisten, wie wichtig "öffentliche Aufmerksamkeit" sei. Die Betreuung durch die Konsulate bedeute einen gewissen Schutz, so Zirngast. (APA, 6.12.2019)