Kernteams der Koalitionsverhandler: Die Sozialthemen sind umstritten, doch ein Kompromiss scheint greifbar.

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Die Verhandlungsführer gönnen sich wenig Pausen. Fünfmal werden sich August Wöginger und Birgit Hebein bis zum Wochenende gegenübergesessen sein. Schließlich haben der ÖVP-Klubchef und die grüne Wiener Vizebürgermeisterin mit "sozialer Sicherheit, neuer Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung" ein hartes Themenfeld zu beackern. Die von Türkis-Blau beschlossene Sozialhilfe neu hat ÖVP und Grüne entzweit, nicht zuletzt Wöginger und Hebein persönlich: Während er Menschen aus der "sozialen Hängematte" holen wollte, sprach sie von einem "Armutsförderungsgesetz".

ÖVP und Grüne ringen um Kompromisse.
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Dennoch dürfte eine türkis-grüne Koalition an diesem Streitpunkt nicht scheitern, ist aus Verhandlerkreisen zu hören. Dem Vernehmen nach zeichnet sich eine konkrete Einigung rund um den Komplex Sozialhilfe ab. Der Kompromiss soll wie folgt aussehen.

Kinderarmut Nichts, was die alte Regierung beschlossen hat, wird zurückgenommen: So lautet die Maxime des Wahlsiegers ÖVP für die Verhandlungen. Folglich soll auch nicht am Prinzip der Sozialhilfe gerüttelt werden, die Zuschläge für Kinder mit wachsender Familiengröße rapide sinken zu lassen. Damit die Grünen da mitkönnen, soll aber gleichzeitig ein Maßnahmenpaket geschnürt werden, um Kinderarmut zu bekämpfen. Denn diese Aufgabe hat der kleine Koalitionspartner in spe zum zentralen Ziel erklärt.

Deutschkurse Die Schere angesetzt hat die alte Regierung auch gezielt bei Migranten: Wer über keine Deutsch- oder Englischkenntnisse auf einem bestimmten Niveau verfügt, dem wird die Sozialhilfe um 35 Prozent, für Einzelne sind das 310 Euro, gekürzt – ein Passus, der auf Flüchtlinge gemünzt ist. Nun sollen zumindest die Chancen steigen, das verlangte Niveau rasch zu erreichen. Wie DER STANDARD erfuhr, wollen ÖVP und Grüne verstärkt in Deutschkurse investieren.

Die alte Regierung tat das Gegenteil: ÖVP und FPÖ haben dem Arbeitsmarktservice das extra für Integrationsmaßnahmen gewidmete Förderbudget auf null heruntergestrichen. Das AMS hat dies zwar abgefedert, indem Geld aus dem allgemeinen Budget in Deutschkurse floss, einen Knick gab es dennoch: Haben 2017 noch 44.344 und im Vorjahr 40.876 Personen einen solchen Kurs beim AMS begonnen, so werden es heuer mit Jahresende laut Hochrechnung nur mehr knapp 36.000 Menschen sein.

Sanktionen Wer arbeitsfähig ist, sich aber nicht arbeitswillig zeigt, muss mit Leistungskürzung rechnen – das gilt für die alte, derzeit noch gültige Mindestsicherung genauso wie für die neue Sozialhilfe. Doch die ÖVP hat kritisiert, dass das System nicht funktioniere: Sperrt das AMS Leistungen, gelänge es Betroffenen immer wieder, auf die von den Ländern gezahlte Mindestsicherung auszuweichen. Auch Experten stellten gewisse Lücken fest. Nun gibt es den Plan, die Auszahlung der Sozialhilfe an das Regime des AMS zu koppeln, um Sanktionen effektiver durchzusetzen.

Generell gilt bei Regierungsverhandlungen: Fix sind strittige Punkte erst, wenn der ganze Koalitionspakt steht. Bis zuletzt können im Abtausch der Interessen Änderungen erfolgen. Als ganz große Hürde gilt der Sozialbereich aber nicht mehr, im Gegensatz zum Umweltthema und der damit – Stichwort CO2-Besteuerung – verbundenen Steuerpolitik. (Gerald John, 4.12.2019)