Aufnahmeprüfung für Informatik der TU Wien.
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Er ist dann doch in Dublin gelandet, dem Hub der US-Digitalriesen in Europa, erzählt der ehemalige TU-Wien-Wirtschaftsinformatikstudent Florian Boigner. Seit etwas mehr als zwei Jahren arbeitet er nun schon bei Microsoft und vertreibt Cloud-Angebote im deutschsprachigen Raum. "Es hieß immer, die USA machen alles fünf bis zehn Jahre früher als Österreich. Es hat mich interessiert, dieses Umfeld kennenzulernen", sagt er. Allein seit er bei Microsoft begonnen hat, habe es einige grundlegende Veränderungen gegeben. "Obwohl es ein großes Unter nehmen ist, ist es am Puls der Zeit", so Boigner. Das fehle in österreichischen Firmen mitunter, sei aber ein wichtiger Anreiz für Junge, die ihren Karriereweg wählen.

Wachsender Spalt

Österreich steht im internationalen Vergleich in Sachen Digitalisierung aktuell gar nicht so schlecht da, bescheinigen verschiedene OECD-Berichte (zB dieser). Doch züchtet sich das Land derzeit ein beträchtliches Problem heran: Der Spalt zwischen dringend gebrauchten IT-Spezialisten und Menschen in einer entsprechenden Ausbildung wächst. Um gegenzusteuern, wurde die Zahl der Studienplätze für Anfänger an den Universitäten von 2500 auf 2800 erhöht, und auch an Fachhochschulen wurden zusätzliche Plätze eingerichtet. Dazu wurden 30 neue Professuren im Informatikbereich in den Leistungsvereinbarungen verankert. Das soll die Zahl der Absolvierenden steigern.

"Uns fehlen hunderte, wenn nicht tausende Fachkräfte im Informatikbereich", sagt Gerhard Friedrich, Dekan der Fakultät für Technische Wissenschaften an der Uni Klagenfurt. Die Nachfrage steige rasant, bestätigen auch Wirtschaft und AMS: Der gesamte Berufsbereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) verzeichne schon seit mehr als sechs Jahren einen deutlichen Fachkräftemangel, der durch die Digitalisierung weiter beschleunigt werde.

Der Zugang zum Informatikstudium wird Interessierten trotzdem nicht einfach gemacht – zumindest in Wien. Seit 2017 gelten hier Zugangsbeschränkungen für Informatikstudien, und die Zahl der Bewerber übersteigt die verfügbaren Plätze bei weitem. Im heuerigen Sommer melden sich 1848 Bewerberinnen und Bewerber für den Aufnahmetest in der Messe Wien an – für 1085 Plätze, die TU Wien und Uni Wien zu vergeben hatten.

Schlechte Bedingungen

Als Grund für die Eingangshürde nennt Hannes Werthner, Dekan der Fakultät für Informatik an der TU Wien, die schlechten Betreuungsverhältnisse. Es sei schlicht nicht möglich gewesen, die große Zahl an Studienanfängern aufzunehmen. Er hält die Beschränkung für eine gute Entscheidung: Denn die Zahl der prüfungsaktiven Studierenden sei mit der Hürde sogar gestiegen.

Roderick Bloem, Dekan der Fakultät für Informatik und Biomedizinische Technik an der TU Graz, sieht das kritisch: "Vor kurzem habe ich mit einem amerikanischen Freund über die Situation gesprochen. Er meinte, es sei doch ganz normal, überlaufene Studien zu beschränken. Als ich sagte, dass es um die Informatik geht, ist er vom Hocker gefallen." Die TU Graz habe sich ganz bewusst gegen Beschränkungen entschieden.

Und auch an anderen Universitäten versucht man Hürden abzubauen: An der Universität Innsbruck hat man die bisherige Beschränkung mit diesem Semester aufgehoben. "Die Uni hat damit auf die steigende Nachfrage reagiert", sagt Natalie Höpperger von der Studienvertretung für Informatik. Von 160 sei die Zahl der Studierenden damit gleich auf 260 gestiegen.

Hohe Drop-out-Quote

Ob sich das auf die Zahl der Studienabbrüche auswirkt, wird sich erst zeigen. Schon jetzt kämpfen Österreichs Universitäten mit einer sehr hohen Drop-out-Quote in Informatik – 54 Prozent im Bachelor und 56,2 Prozent im Master, so ein Report des Fachverbands für Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie der Wirtschaftskammer – wobei die Rate je nach Berechnungsmethode des jeweiligen Instituts variiert.

Dennoch könne die Antwort nicht sein, höhere Hürden einzubauen und so die Möglichkeit zu reduzieren, Informatik zu studieren, sagt Bloem. Vielmehr müssten die Studienbedingungen verbessert werden.

Gerhard Friedrich von der Uni Klagenfurt fordert mehr politische Unterstützung der IKT-Branche – ähnlich wie in Bayern. Dort hat der Ministerpräsident Markus Söder kürzlich die "Hightech-Agenda Bayern" vorgestellt: "Früher gab es ein militärisches Wettrüsten, heute findet ein Wettbewerb um die klügsten Köpfe und um technologische Dominanz statt", so Söder. Zwei Milliarden Euro nimmt das Land dafür in die Hand, 1000 neue Professuren und 10.000 neue Studienplätze wurden angekündigt.

Von solchen Investitionsoffensiven könne man in Österreich nur träumen, sagt Friedrich. Bei der derzeitigen Finanzierungslage dürfe man sich nicht wundern, wenn Großunternehmen aus den USA den Ton in der digitalen Transformation angeben würden. Eine weitere Möglichkeit, die IKT-Branche zu stärken, sieht Friedrich in umfassenden Stipendienprogrammen für Studierende aus Drittstaaten.

Mehr als Programmieren

Auf der Suche nach Interessenten haben die Unis verstärkt die Schulen im Visier. Denn oft fehle das Verständnis, worum es im Informatikstudium eigentlich gehe, sagt Natalie Höpperger von der Uni Innsbruck: "Da wird Word und Excel im Informatikunterricht gelehrt, höchstens noch ein bisschen HTML. Die meisten, die bei uns das Studium abbrechen, hatten vorher eine ganz andere Vorstellung davon, was sie lernen werden."

Selbst Studierenden sei häufig nicht klar, welche Möglichkeiten sie später hätten, sagt Boigner: "Die Kommunikation zwischen der Wirtschaft und Studierenden läuft nicht optimal." Das Feld wachse schnell, doch auf vielen Berufsmessen würden weiterhin vorwiegend Programmierer gesucht. Er selbst habe lange Zeit nicht gewusst, wohin nach dem Studium. Microsoft habe ihn, nachdem er zwei Jahre bei einem Unternehmensberater gearbeitet hatte, kontaktiert.

Einmal nach Österreich zurück? "Ja, warum nicht? Da würde sich leicht etwas Interessantes finden." Was, das müsste jungen Menschen auf dem Weg in Richtung digitaler Selbstbestimmung besser vermittelt werden. (Alicia Prager, 30.11.2019)