Zwei Wochen lang sitzt ein Student bewaffnet in einer Vorlesung an der Universität Wien. Eine Schusswaffe hängt an seinem Gürtel. Sie lugt unter seiner Jacke hervor, wenn er sich hinsetzt, um den Professoren an der Fakultät für Physik zuzuhören. Wie sich später herausstellte, hatte er bereits lange Zeit zuvor islamfeindliche Inhalte in sozialen Medien verbreitet.

Erst nach zwei Wochen machen seine Kommilitonen das Sicherheitspersonal aufmerksam, das ihn des Gebäudes verweist. Am Tag darauf – es ist Mitte Oktober – erscheint der Student mit einem Messer im Physikinstitut. Die Uni Wien spricht ein Hausverbot aus. Doch: Wie konnte er bis dahin unbemerkt bleiben?

Das Sicherheitsteam der Uni Wien ist unter einer Hotline jederzeit erreichbar und begeht regelmäßig tagsüber und nächtens die Gebäude. Für Pressesprecherin Cornelia Blum greifen diese Strukturen. Aber: "Wir haben rund 90.000 Studierende und 10.000 Mitarbeiter. Bei der Dimension kann man nicht davon ausgehen, dass nie etwas passiert." Situationen wie die mit dem bewaffneten Studenten versucht man zu verhindern. Zur Prävention hält das Sicherheitspersonal daher gemeinsam mit Psychologen regelmäßige Meetings in der Abteilung Bedrohungsmanagement ab.

Diese gibt es seit 2017. Sie arbeitet auch anlassbezogen, etwa bei rassistischen oder gewaltverherrlichenden Social-Media-Posts von Studierenden. Zwar kontrolliere die Uni Wien nicht die Accounts der Studierenden, sagt Florian Feldbauer, Leiter des Uni-Krisenstabs, doch fielen dem Social -Media-Team Personen auf, würden sie ans Bedrohungsmanagement weitergeleitet. Dann "versucht man dort, eine Lösung mit der betroffenen Person zu finden".

An manchen heimischen Unis gibt es Überwachungskameras, etwa auf dem Campus der Uni Linz oder in der Wirtschaftsuniversität Wien.
Foto: APA

Keine Metalldetektoren

Sicherheitskontrollen wie Metalldetektoren, die man von internationalen Hochschulen – wie etwa in Deutschland oder Frankreich – kenne, sind für die Uni Wien nicht in Planung, sagt Feldbauer. Auch Blum betont: "Die Uni Wien ist und soll ein öffentliches Gebäude bleiben." Auch wenn es an manchen heimischen Unis Überwachungskameras gibt, wie etwa auf dem Campus der Universität Linz oder in der Wirtschaftsuniversität Wien, teilen die Leiter der österreichischen Unis diese Einstellung weitgehend. Auf Anfrage des STANDARD heißt es etwa seitens der Uni Klagenfurt, Hochschulen seien keine Hochsicherheitstrakte, sondern offene Bildungs- und Forschungseinrichtungen, und seitens der Uni für angewandte Kunst, sie "sei im Grunde ein offenes Haus".

Das Hausverbot für den bewaffneten Studenten besteht bis Ende des Studienjahres. "Wird ein Hausverbot verhängt, achtet das Sicherheitspersonal auf dessen Einhaltung", sagt Feldbauer.

Doch reicht das als Kontrolle? In der Studienvertretung Physik gibt es darüber keine Einigkeit, sagt Vertreter Theo Hertenberger. "Sicherheitspersonal, das Studierende schon am Eingang der Fakultät kontrolliert, wäre eine Option. Aber ist das die Atmosphäre, die wir an einer Uni haben wollen?", fragt der 21-Jährige. Schnell würde man damit eine Art Sicherheitstheater aufbauen.

Unwissen über Hausordnung

Der Vorfall werfe für Hertenberger eine andere Problematik auf: Für Studierende gebe es zu wenig Anreiz, sich mit der Hausordnung und dem Waffenverbot der Uni Wien auseinanderzusetzen. Die Hausordnung ist zwar auf der Uni-Website einsehbar und wird bei der Inskription ausgehändigt, gehe aber unter. Deshalb habe es laut Hertenberger so lange gedauert, bis Studierende die Situation als gefährlich eingeschätzt und sich getraut haben, das Sicherheitspersonal zu informieren. Er will, dass Professoren zu Semesterbeginn auf das Waffenverbot hinweisen. Florian Feldbauer sagt, man werde das künftig vermehrt tun.

Dennoch: Die Atmosphäre an der Fakultät für Physik habe sich geändert. Kurze Zeit sei die Stimmung sehr unangenehm gewesen, speziell für muslimische Frauen, die einen Hidschab tragen, sagt Hertenberger. "Gegen sie haben sich die Tweets des Studenten gerichtet." Die Studienvertretung Physik hat vergangene Woche einen Workshop zum Thema Hetze und Rassismus im Netz mit der Antirassismusorganisation Zara veranstaltet. Mittlerweile, sagt Hertenberger, habe sich die Aufregung gelegt. Trotzdem soll es Gespräche mit dem Dekanat geben. "Uns geht es um die Aufarbeitung", sagt er. (Allegra Mercedes Pirker, 22.11.2019)