Thomas Hofer und Barbara Tóth haben den vergangen Wahlkampf aufgearbeitet.
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Für die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner war der Zug auch nach Meinung vieler SPÖ-Funktionäre aber ohnehin schon abgefahren. Die Kandidatin verbesserte sich zwar inhaltlich in den TV-Duellen und überraschte professionelle Beobachter in deren negativer Erwartungshaltung positiv. Der in zahlreichen Umfragen schon davor dokumentierte Absturz bei den Sympathiewerten war damit aber nicht auszugleichen. Die SPÖ-Chefin kam nie auch nur annähernd in ein Kanzlerrennen und diskutierte so während des gesamten Wahlkampfs auch nicht auf Augenhöhe mit ihrem Kontrahenten Kurz.

Das allerdings, monierten parteiinterne Kritiker in der SPÖ, hätte die Sozialdemokratie in einer Frühphase des Wahlkampfs noch ändern können. Tatsächlich schrillten in der ÖVP spätestens Anfang Juni 2019 die Alarmglocken. In der Volkspartei hatte sich die Meinung verdichtet, dass die Sozialdemokraten noch einen neuen Spitzenkandidaten mit einem unverbrauchten oder jedenfalls nicht deutlich negativen Image ins Rennen schicken könnten. Wie schon im Jahr 2015 wurde auch diesmal der Medienmanager Gerhard Zeiler als der kommende Mann in der SPÖ gesehen. Eilig griff man im Umkreis von Sebastian Kurz auf jene Analysen zurück, die man schon vor einigen Jahren angestellt hatte, als in der SPÖ noch nicht einmal der Kanzlerwechsel von Werner Faymann auf Christian Kern vollzogen war.

Das Potenzial Zeilers wurde von den ÖVP-Experten als sehr hoch eingeschätzt. Mit dem Namen des Managers könnten zwar viele in Österreich nichts mehr anfangen, doch der Bekanntheitsgrad würde binnen Tagen nach Bekanntgabe seiner Kandidatur auf "locker 95 Prozent" hochschnellen, war ein Kurz-Berater überzeugt. Das Rennen wäre, so die Sicht in der Volkspartei, ein anderes gewesen, hätte die SPÖ wie 2008 – als die Sozialdemokratie den amtierenden Kanzler Alfred Gusenbauer in die Wüste geschickt und mit Infrastrukturminister Werner Faymann zu Beginn des Wahlkampfs ihre "neue Wahl" präsentiert hatte – auf ein neues politisches Pferd gesetzt. Kurz hatte dieses Szenario tagelang umgetrieben. Der Altkanzler führte zahlreiche Gespräche mit Vertrauten und ließ von seinem Kampagnenteam zwei Szenarien für den Wahlkampfverlauf ab Anfang Juni entwickeln – eines mit Rendi-Wagner als SPÖ-Kandidatin, das andere mit Angstgegner Zeiler. Succus der Analyse in der ÖVP: Mit Zeiler hätte die SPÖ durchaus die Chance, in ein Kanzlerrennen einzusteigen, die Karten wären aufgrund eines gewissen Senioritätsprinzips zugunsten Zeilers neu gemischt worden.

Dynamik im Wahlkampf

Ob diese Analyse zutreffend war, kann aufgrund der Entscheidung der SPÖ, bei Rendi-Wagner zu bleiben, schwer final beurteilt werden. Sicher hätte ein Kandidatentausch Dynamik in den Wahlkampf gebracht und der SPÖ zumindest die Chance eröffnet, die chaotische Phase seit der Übergabe von Kern an Rendi-Wagner hinter sich zu lassen. Andererseits hätte sich die SPÖ auch eine mediale Flanke aufgemacht, hätte man der ersten Parteivorsitzenden der Geschichte die Kandidatur verwehrt.

Aufseiten der ÖVP war jedenfalls der Detaillierungsgrad, mit dem sich das Team Kurz dem fiktiven Kandidaten Zeiler widmete, bemerkenswert. Die türkisen Kampagnenexperten hatten sogar schon an einer Strategie gefeilt, wie wieder auf die Jugendlichkeit von Sebastian Kurz gegenüber dem 64-jährigen potenziellen Kontrahenten gebaut werden könne. 2017 hatte man sich im Wahlkampf, etwa was die Inszenierung des Kandidaten auf den Plakaten angeht, noch bemüht, ihn deutlich älter erscheinen zu lassen, als er tatsächlich war.

Manche Kurz-Berater hatten intern sogar die sportliche Herausforderung einer Duellsituation Kurz-Zeiler hervorgehoben. Gerade in den Wochen vor dem Wahltag, bevor der Spesenskandal dem Konkurrenten FPÖ noch massiv schadete, hätte man sich in der Volkspartei eine die Mobilisierung der eigenen Kader erleichternde Ausgangssituation gewünscht. Lange war es der ÖVP im Nationalratswahlkampf 2019 nämlich schwergefallen, aufgrund der klar zugunsten der ÖVP ausschlagenden Umfragesituation die nötige Dringlichkeit in die Kampagne zu bringen.

Scheu vor dem Manager

Ein Blick auf die Strategiefähigkeit der Sozialdemokratie im Wahlkampf 2019 zeigt aber ohnehin, dass sich manche in der ÖVP unnötigerweise den Kopf über einen Kandidaten Zeiler zerbrochen hatten. 2015, als sich, neben Christian Kern, Zeiler tatsächlich anschickte, den in Kanzleramt und Partei verblassenden Werner Faymann abzulösen, hatten sich Parteigrößen wie der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, Ex-Staatssekretärin und Siemens-Chefin Brigitte Ederer, Ex-Parteimanager Andreas Rudas oder auch PR-Stratege Josef Kalina für Zeiler ins Zeug geworfen. Ederer hatte sogar einen Austausch mit Gewerkschaftern und Vertretern des linken Parteiflügels organisiert, um diesen die Scheu vor dem Topmanager zu nehmen.

Die Furcht vor einer Neuaufstellung der Partei war tatsächlich nicht unbegründet, denn Zeiler hätte sich nicht um interne Befindlichkeiten scheren müssen. Er war keinem Lager verpflichtet und hätte deshalb auch seine Wahlkampfstrategie freier von internen Zwängen definieren können als andere. Die mangelnde Lagerzugehörigkeit und parteiinterne Bekanntheit waren es dann aber auch, die den heimlichen Kandidaten Zeiler nicht zum tatsächlichen Kandidaten werden ließen: 2016 hatte Michael Häupl in den entscheidenden Tagen der Faymann-Nachfolge die parteiinterne Dynamik für einen Nachfolger Kern unterschätzt. Selbst in seiner eigenen Landespartei waren mit Renate Brauner und Sonja Wehsely zwei Vertreterinnen gegen die eigentliche Intention Häupls, Zeiler zu installieren, aufgetreten.

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2019 wäre Zeiler offenbar erneut zu überzeugen gewesen. Die Bemühungen seiner internen Verbündeten kamen aber nicht einmal so weit wie 2016. Zahlreiche Funktionäre hatten Bedenken angemeldet, ob der Basis jemand zuzumuten sei, den man "nicht mehr kennt". Und der neue Wiener Bürgermeister, der für eine solche Rochade natürlich sein Sanctus hätte geben müssen, gebot den Bemühungen um Zeiler am 5. Juni Einhalt. Medial war das Thema gerade am Hochkochen. Doch auf die mehrfache Frage, ob nun auch eine breitere Debatte lanciert werden sollte, antwortete er knapp: "Nein."

Öffentlich beendete seitens der SPÖ dann der im Wahlkampf 2019 unvermeidliche und dabei meist verhaltensoriginelle Chef der Tiroler SPÖ, Georg Dornauer, jede Spekulation: Wohl abgestimmt mit der einen oder anderen Landespartei, beschädigte er den möglichen Kandidaten Zeiler damit, dass er ihn "eine Antwort aus dem 20. Jahrhundert" nannte. (Thomas Hofer, 9.11.2019)