Rein in die Stadt, dann ab zu H&M und Zara, schauen, was es Neues gibt. Am Abend dann mit vollen Sackerln zurück. "Mit zwölf haben wir noch Shoppingtrips nach Graz gemacht", erinnert sich Clarissa Kober.

Heute sagt die 24-Jährige Steirerin: "Normal Kleidung eingekauft habe ich schon seit Jahren nicht mehr." Sogar Möbel und Elektrogeräte organisiert sie sich mittlerweile gebraucht. Und das nicht nur, weil sie nun mit ihren Freundinnen Diana Ranegger und Johanna Kohlenberger in Graz ein Secondhandmode-Geschäft führt.

Die jungen Frauen haben ihr Konsumverhalten überdacht, sie wollen Fast-Fashion-Retailern nicht länger das Geld in den Rachen schieben. Ihre Überzeugung haben sie zum Geschäftsmodell erklärt. Inspiriert von der vielfältigen Berliner Secondhandszene haben die Steirerinnen 2014 den Webshop "Dogdays of Summer" gegründet.

2017 sind Kober, Ranegger und Kohlenberger in einem Geschäftslokal in der Grazer Innenstadt aufgeschlagen, im vergangenen Jahr zog man in einen größeren Shop um, man brauchte Platz und anständige Umkleidekabinen. Das Geschäft in der Grazer Volksgartenstraße hat mit den muffigen Secondhandgeschäften von früher wenig gemein, er erinnert eher an einen aufgeräumten Conceptstore.

Diana Ranegger, Johanna Kohlenberger und Clarissa Kober (von links nach rechts) führen in Graz den Shop "Dogdays of Summer".
Foto: Hannah Fasching

Teil des Geschäfts: der stetig befütterte Instagram-Account "Dogdays of Summer". Ihm folgen mehr als 12.000 Menschen, fast täglich poppen dort Bilder von trendbewussten Mittzwanzigern in Mom-Jeans, Bomberjacken und Bauchtaschen auf.

Dass sie Mode aus zweiter Hand tragen, erkennt man erst, wenn man die Hashtags studiert: #sustainablefashion, #vintagestyle, #thriftfinds. Dazwischen gibt es Fotos vom Earth Strike auf dem Grazer Griesplatz: "Wir wollen nicht nur Kleider verkaufen, sondern auch einen nachhaltigen Lifestyle vermitteln", erklärt Kober. Die Geschäftsidee der drei Steirerinnen geht auf. Sie können heute von ihrem Business leben.

Wider Fast Fashion

Die Geschichte der drei jungen Frauen zwischen 24 und 27 ist symptomatisch für eine kritische, 2013 vom Einsturz der Kleiderproduktionsstätte "Rana Plaza" in Dhaka aufgerüttelte, dem Konsum dennoch nicht abgeneigte Generation.

Aufgewachsen mit den Verlockungen von Fast Fashion und den hochglanzpolierten Kampagnen der Retailer, entwickeln immer mehr Menschen Mitte zwanzig alternative Verkaufskonzepte – und wissen diese auch zu vermarkten. Für viele von ihnen lautet eine Antwort auf die wachsenden Textilberge der Modeindustrie: Secondhandkleidung.

Gut findet das der grüne Influencer Alf-Tobias Zahn, der im vergangenen Jahr mit Kirsten Brodde einen "Guide für alle, die Wegwerfmode satthaben", herausgebracht hat: "Es gibt massenhaft gut erhaltene gebrauchte Kleidung, deshalb ist Secondhand definitiv eine Alternative zu Fair und Fast Fashion", auch von den Styles und den Marken her könne Mode aus zweiter Hand konkurrieren.

Alf-Tobias Zahn hat mit Kirsten Brodde einen "Guide für alle, die Wegwerfmode satthaben", herausgebracht.
Foto: René Zieger

Er sagt aber auch: "Wir haben ein Problem mit dem Image." Während bei Kinderklamotten die Tausch- und Wiederverkaufskultur gut funktioniere, verliere sich das in der Erwachsenenwelt oft, beobachtet Zahn. Und: Es fehle im deutschsprachigen Raum eine flächendeckende Infrastruktur für Secondhand, vor allem in kleinen Städten und am Land.

Die brauche es, "um für die Jungen, die viel und günstig einkaufen, zu einer echten Alternative zu werden", erklärt der Berliner. Denn Fast Fashion hat das Einkaufsverhalten vieler Menschen verändert: "Modekonsum ist heute ein Teil der Freizeitgestaltung: Man ist unterwegs, auch mit anderen zusammen, erlebt beim Kauf ein Glücksgefühl und hat oft den Eindruck, ein ,Schnäppchen' gemacht zu haben."

Kiloweise Kleidung

In den Großstädten hingegen wird das alternative Angebot größer und diverser. Der Mainzer Robin Balser beispielsweise macht mit seinem Wanderzirkus "Vino Kilo" regelmäßig Halt in Großstädten. Bevor die Altkleider nach Ruanda, Ghana oder Kenia verschifft werden und dort die lokalen Märkte kaputtmachen, verkauft Balser die sortierte, reparierte und gewaschene Secondhandkleidung lieber kiloweise an hippe Städter.

Rund 153.000 Kilogramm Textilien wurden so bereits verkauft, in Wien war man zuletzt im September mit einem Event im Semperdepot zu Gast. Man wolle das Publikum dazu anregen, "konventionelles Konsumverhalten zu reflektieren und Secondhandmode als Alternative zu neu produzierter Kleidung wahrzunehmen", lautet die frohe Botschaft auf der Website.

Und dann gibt es in den Städten ja noch das ständige Angebot. Shops wie "Burggasse 24", "Wolfmich" oder "Kleider gehen um" in Wien bereiten getragene Kleidung für eine stilsichere Kundschaft auf.

Heidi Schüttbacher, die seit vier Jahren in Wiens sechstem Bezirk den Secondhandshop "Kleider gehen um" führt, beobachtet, "dass das gekauft wird, was gerade modern ist. Das verläuft ziemlich zeitgleich mit den aktuellen modischen Trends." Ihre Bestseller in den vergangenen Jahren: Culottes, Jumpsuits, Trenchcoats, High-Waist-Hosen.

Auch der Wiener Shop "Kleider gehen um" wirbt auf Instagram regelmäßig mit Modefotos.
Foto: Kleider gehen um

Luxus aus zweiter Hand

Das Angebot an Secondhandware ist heute so breit, dass selbst verwöhnte Konsumentinnen auf ihre Kosten kommen. Neben Plattformen wie Ebay, Willhaben oder Kleiderkreisel gibt es Webshops wie "The Real Real" oder "Vestiaire Collective". Sie richten sich an eine modisch anspruchsvolle Klientel, die auf Luxus und Logos nicht verzichten will.

"Vestiaire Collective" bietet eine Million Vintage-Designerprodukte aus den vergangenen Saisonen an. Das Unternehmen mit Sitz in Paris soll sich unter einem deutschen Manager weiter internationalisieren, die Nachfrage ist da: Einem Bericht der französischen Resale-Plattform und der Unternehmensberatung Boston Consulting Group zufolge wachsen die Umsätze im Secondhand-Luxusmarkt jährlich um zwölf Prozent.

Es ist auch jungen, fotogenen Vorbildern wie Madeleine Alizadeh alias Dariadaria oder dem deutschen Model Marie Nasemann zu verdanken, dass junge Verbraucher zunehmend auf Themen wie Nachhaltigkeit und Secondhand anspringen.

Und dem Angebot an einschlägigen Plattformen wie Anna Kessels und Esther Rühes Instagram-Kanal "Die Konsumentin", der Website "Fashion Changers" von Vreni Jäckle, Nina Lorenzen und Jana Braumüller oder dem Youtube-Kanal "Rethinknation" von Oliver Kroiß und Yannick Döring aus Mainz.

rethinknation

Bei der Vielfalt an Secondhand-Angeboten gerate jedoch eine wichtige Frage oft aus dem Blick, gibt der Autor Alf-Tobias Zahn zu bedenken: Brauche ich schon wieder eine neue Hose? Die Kästen quellen über, viele stehen vor dem Problem: Wohin mit all den Kleidern, die ich nicht mehr trage?

Statt sie in den Altkleidercontainern der überlasteten, einschlägigen Organisationen zu entsorgen, empfiehlt der Berliner, Kleider lokal zu spenden, "bei der Kirchengemeinde um die Ecke oder einer NGO vor Ort, denn da sehe ich, wohin die Spende geht." Noch besser: Freunde anrufen und zur Kleidertauschparty einladen. (Anne Feldkamp, RONDO, 18.11.2019)

Dieser Artikel erschien im Rahmen einer Schwerpunktausgabe zu nachhaltiger Mode.
Foto: Yannick Schütte