Ein unscheinbarer Lkw in einer Parkbucht bei Parndorf als kontinentaler Schock: Die 71 Toten waren die grausige Ouvertüre zum Flüchtlingsherbst des Jahres 2015.

Foto: APA/Roland Schlager

Parndorf – Dieser 27. August des Jahres 2015 hat nicht nur Österreich verändert. Mit einem Mal war jene Fluchtbewegung, von der bis dahin nur geredet wurde wie von etwas sehr weit Entferntem, hautnah geworden: In einem an der A4 abgestellten Kühl-Lkw mit slowakischer Aufschrift und ungarischem Kennzeichen waren, ineinander gesunken, Leichen entdeckt worden. Die burgenländische Polizei sprach erst von "über 50". Am Nachmittag dieses Tages war klar: 71 Tote waren es, darunter vier Kinder.

Die damalige ÖVP-Innenministerin, die heutige niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, war an diesem Tag an der ungarischen Grenze in Nickelsdorf. Ihr pannonischer Polizeidirektor, Hans Peter Doskozil, zeigte ihr die Vorkehrung, um die schon spürbaren, aber gewissermaßen noch halb so wilden Fluchtbewegungen im Griff behalten zu können. Da kam der Anruf der Autobahnpolizei. Mikl-Leitner, aber auch ihrem Polizeichef war anzumerken, wie sehr und wie tief sie die Sache emotional mitgenommen hat. In Wien tagte gerade die Westbalkan-Konferenz. Auch dort verstummte man. Kurz.

Leichen teils wie verschmolzen

Die 71 Leichen, so musste Doskozil das einen Tag später kundtun, waren ineinandergesunken, teils wie verschmolzen. Das half, technisch gesprochen, bei der Feststellung des Todeszeitpunkts. Die 71 Menschen – 29 Iraker, 21 Afghanen, 15 Syrer, fünf Iraner und ein nicht Identifizierbarer – starben in Ungarn. Der luftdichte Kühl-Lkw, der kurz nach der serbischen Grenze gestartet war, ließ sich nicht öffnen. Darum übernahm Ungarn die Strafverfolgung.

Die Schlepper waren bald enttarnt. Elf Männer aus Afghanistan, Bulgarien und dem Libanon wurden angeklagt. Man war ihnen, wie später herauskam, schon länger auf der Spur. Die ungarische Polizei hat die Handys abgehört. Die Übersetzer brauchten aber zu lang, um diese Parndorfer Tragödie zu verhindern.

Strafen erhöht

Die vier Haupttäter – ein Afghane und drei Bulgaren- wurden wegen Mordes angeklagt und zu 25 Jahren verurteilt. Im heurigen Juni erhöhte die zweite Instanz das Urteil auf lebenslang.

Das grauenvolle Ereignis war allerdings nicht bloß eine beängstigende Straftat, sondern auch ein Menetekel. Der Auftakt zu jener Krise, die Europa bis heute so sehr im Griff hat, dass alles Weitere – von Euro bis Brexit – nur en passant zu behandeln ist. Die Causa prima schwelt freilich weiter. (wei)

Ein unscheinbarer Lkw in einer Parkbucht bei Parndorf als kontinentaler Schock: Die 71 Toten waren die grausige Ouvertüre zum Flüchtlingsherbst des Jahres 2015. (Wolfgang Weisgram)