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Die sogenannte Lebensschutzbewegung wird vor allem von christlichen Kreisen unterstützt.

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So beliebt wie die Gebärmutter ist kein anderer Teil des Körpers, wenn es darum geht, mit ihm Politik zu machen. Auch kommenden Samstag werden in Wien wieder Tausende beim "Marsch fürs Leben" auf die Straße gehen. Sie werden dort Embryofiguren aus Plastik hochhalten, für den Schutz von "vorgeburtlichen Kindern" eintreten und eine verpflichtende Bedenkzeit für Frauen, die abtreiben wollen, fordern.

Letztes Jahr kamen laut Veranstalter 2500 Menschen. Auch die Erzdiözese Wien, der Cartellverband sowie die "Plattform Christdemokratie", deren Vorsitzender für die ÖVP bei der Nationalratswahl kandidierte, treten als Unterstützer auf. Als Organisator fungiert Alexander Tschugguel, der politische Erfahrung unter anderem bei den "Reformkonservativen" von Ex-FP-Mann Ewald Stadler sammelte.

Die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler und Norbert Sieber, Familiensprecher der ÖVP, hielten letztes Jahr auf dem Stephansplatz vor den Demonstrierenden Reden. Einige Sätze Siebers klangen damals für Frauenrechtlerinnen beunruhigend – und sie hallten tatsächlich bis ins Frühjahr 2019 nach. "Es tut sich was in der Politik", kündigte er vor dem jubelnden Publikum an. Es würde gerade ein Paket verhandelt, dessen Inhalte "nennenswert" seien.

Debatten um Spätabbrüche

Ein solches Paket wurde allerdings nie präsentiert. Auf Nachfrage sagt Sieber, er habe damit nur das damalige Regierungsprogramm von Türkis-Blau gemeint. Über die bestehenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch wurde im Frühjahr dieses Jahres trotzdem heftig diskutiert. Das ging allerdings nicht auf einen parteipolitischen Vorstoß zurück, sondern auf die Initiative "fairändern". Diese fordert unter anderem ein Verbot von Spätabbrüchen aufgrund von Fehlbildungen der Föten. Die Parteien selbst mussten also dieses ungeliebte Thema nicht auf ihre Agenda setzen – das erledigte die Bürgerinitiative, die auch ÖVP- und FPÖ-Politiker unterzeichneten.

"Politiker wissen genau, dass Einschränkungen beim Recht auf Abtreibung nicht mehrheitsfähig sind", sagt Christian Fiala, Gynäkologe und Gründer des Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien. "Spricht man mit Betroffenen, wird klar: Jede will selber entscheiden", sagt Fiala. Abtreibung sei im Grunde kein kontroversielles Thema, "es wird nur künstlich von konservativer und kirchlicher Seite so verkauft, damit man einen Vorwand hat, sich in diesen intimen Bereich einzumischen".

Initiativen aus Zivilgesellschaft

Europaweit fällt auf, dass es in erster Linie zivilgesellschaftliche Bewegungen sind, die sich hier engagieren. Eine sehr erfolgreiche Mobilisierung gelang der Bürgerinitiative "One of Us". Sie forderte unter anderem die "Unversehrtheit jeder menschlichen Person vom Zeitpunkt der Empfängnis an" sowie, dass die EU kein Geld mehr für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Entwicklungsländern bereitstelle – und konnte dafür 1.897.588 Unterschriften sammeln.

Laut einem Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung (EPF) ist die Idee zur Bürgerinitiative in einem Netzwerk von Abtreibungsgegnern entstanden, das seit einigen Jahren unter dem Namen "Agenda Europe" firmiert. Bis zu 150 Einzelpersonen und 50 konservative Organisationen, viele von ihnen werden von der katholischen Kirche mitfinanziert, sollen dem Netzwerk angehören.

Radikale Töne auch in Wien

Es ist der vermeintliche Pfad der Natürlichkeit, den der moderne Mensch verlassen habe – so könnte man den Tenor von einem Großteil der Szene zusammenfassen. Längst geht es aber nicht mehr nur um Abtreibung, sondern auch um Sexualität, Identität, Familie.

Auch beim Marsch fürs Leben in Wien werden radikale Töne angeschlagen: Auf Facebook wurde ein Artikel zustimmend geteilt, in dem es heißt, der designierte EU-Vizekommissionspräsident, Frans Timmermans, und der Milliardär George Soros würden eine "Kultur des Todes der gegenwartsfixierten Abtreibungs- und Genderistenlobby" unterstützen. In einem anderen Beitrag wird Amnesty International als "Abtreibungslobby" bezeichnet, an die Christen nicht spenden sollen.

Man unterstütze die Ziele von "Marsch fürs Leben" zwar grundsätzlich, sehe sich aber nicht genötigt, einzelne Facebook-Einträge zu kommentieren, heißt es seitens der Diözese zum STANDARD. Nachdem der Beitrag vor allem in der Feier einer Messe vor dem Marsch bestehe, legt die Diözese Wert auf die Feststellung, dass man kein Mitveranstalter, sondern "Gastgeber" sei. Als solcher tritt die Erzdiözese wie auch der Cartellverband auf Facebook auf. Man sei aber nicht in die Social-Media-Aktivitäten des Vereins eingebunden, sagt der Cartellverband. Die angesprochenen Äußerungen würden jedoch "in keinem Fall die Meinung des Cartellverbands wiedergeben".

Arzt Fiala wünscht sich Klarheit. Die Kirche und Konservative sollten deutlich sagen, dass sie Frauen wieder vorschreiben wollen, was sie zu tun haben: "Das wäre ehrlicher, als im Hintergrund die Fäden zu ziehen." (Beate Hausbichler, Vanessa Gaigg, 11.10.2019)