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Nachdem die Blase geplatzt war, wurde sie geboren: die Gig-Economy. Als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009 viele Leute ihren Job verloren hatten, versuchten sie, mit etlichen kurzfristigen kleinen Aufträgen wieder in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Gigs werden diese genannt, wie die Auftritte einer Band.

Was vor zehn Jahren noch eine Randerscheinung war, wird heute als der nächste Trend gehandelt. Doch die Gig-Economy ist umstritten: Die Kritiker sehen darin einen Treiber digitaler Sklaverei und eine firmeninterne Zwei-Klassen-Gesellschaft. Denn jene, die sich von einem Übersetzungsauftrag zum nächsten hanteln oder von einer Essenslieferung zur nächsten, arbeiten meist unter widrigen Bedingungen. Sie sind nicht vom Auftraggeber versichert, müssen ihre Arbeitsunterlagen wie Laptop oder Fahrrad selbst bereitstellen und werden dafür meist schlecht bezahlt. Ein paar Ausnahmen gibt es: Gut verdienen Gigworker im IT-, Finanz- und Versicherungsbereich.

Die Befürworter sehen hingegen in der Gig-Economy die Antwort auf das steigende Bedürfnis nach Autonomie, flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice. Immerhin können die Gigworker meist selbst entscheiden, wann und wo sie arbeiten. Auch Firmen liebäugeln mit den Freiberuflern und sehen in ihnen die Lösung für den Fachkräftemangel und die Schwierigkeit, passende Mitarbeiter zu finden. Und das, ohne Verantwortung zu übernehmen: Der Auftrag wird auf einer der Plattformen wie Clickworker.de, Taskrabbit oder Amazon Mechanical Turk gepostet, und jemand erledigt die Arbeit; manche Firmen wie etwa Philips haben dafür einen eigenen Freelancer-Talente-Pool. All das heißt: kein Recruiting und Vorstellungsgespräch, keine Personalverwaltung und Lohnnebenkosten.

Freiberufler könnten Vollzeitbeschäftigte ersetzen

Eine aktuelle Befragung der Unternehmensberatung Mercer legt nun nahe, dass die Gig-Economy gar das Verhältnis von Angestellten und Freiberuflern drehen könnte – oder zumindest daran rütteln. Befragt wurden weltweit über 7300 Führungskräfte, Personalverantwortliche und Mitarbeiter. Besonders die Chefs sagen der Plattformökonomie eine rosige Zukunft voraus: So erwarten 79 Prozent, dass vorübergehend Beschäftigte und Freiberufler in den nächsten Jahren Vollzeitbeschäftigte weitgehend ersetzen werden. Besonders in den Branchen Automotiv (97 Prozent), Konsumgüter (96 Prozent), Life-Sciences (90 Prozent), Versicherungen (86 Prozent) und Tech (83 Prozent) würde dieser Wandel stattfinden, sagen die Befragten.

Bereits 2016 gaben 42 Prozent der befragten 7000 Führungskräfte in einer Deloitte-Umfrage an, in den nächsten drei bis fünf Jahren vermehrt mit Freelancern arbeiten zu wollen. In einer aktuellen Befragung von Deloitte sagen 83 Prozent der Befragten, dass alternative Arbeitsmodelle künftig zunehmen werden. Wie realistisch ist dieses Szenario? Könnte es sein, dass Firmen in Zukunft weniger Leute einstellen, mit einem kleinen Mitarbeiterstamm arbeiten und dafür vermehrt Arbeit an externe Gigworker vergeben?

Dieser Text ist im Magazin Der Standard Karriere am 10.10.2019 erschienen. Erhältlich ist das Magazin hier.

Jörg Flecker ist Professor für Soziologie an der Universität Wien. Er forscht zur Arbeitswelt und untersucht, welche Auswirkungen die Gig-Economy hat. Er sagt: "Ich halte das Szenario nur in den Branchen und Berufen für realistisch, wo auch derzeit stärker ausgelagert wird, wie etwa im Grafikdesign, der Softwareentwicklung oder der Personaladministration." Und dort, wo man Aufgaben klar definieren könne, die kein betriebsspezifisches Wissen voraussetzen und deshalb ausgelagert werden können. Zahlen, wie viele Firmen das bereits tun, gebe es nicht. Laut der aktuellen Deloitte-Befragung kooperieren die meisten mit Organisationen, Leiharbeitskräften oder Werkvertragsnehmern. Wie mehr als die Hälfte der Befragten sieht auch Flecker Hemmungen: "Es ist für Firmen nicht so leicht, auf betriebsspezifisches Wissen der Angestellten sowie deren eingespielte Zusammenarbeit zu verzichten."

Meist nur Nebenerwerb

Fakt ist: Im Vorjahr stieg laut Statistik Austria die Zahl der unselbstständigen Vollzeitbeschäftigten, jene der Selbstständigen blieb nahezu unverändert. Überhaupt ist der Anteil an Gigworkern unter den Arbeitnehmern gering. Die aktuellsten Zahlen stammen aus einer Umfrage der Arbeiterkammer Wien von 2016, bei der rund 2000 Österreicher zwischen 18 und 65 Jahren befragt wurden. Das Ergebnis: 18 Prozent von ihnen haben bereits einmal über eine Plattform gearbeitet, fünf Prozent erledigen so mindestens einmal wöchentlich bezahlte Arbeit. Doch nur für zwei Prozent sind die Minijobs die wichtigste Einkommensquelle, und etwa jeder Zehnte bezieht darüber die Hälfte seines Einkommens. Die meisten sehen sie aber als Möglichkeit, neben ihrem eigentlichen Job etwas Geld dazuzuverdienen.

"Eine breite Durchsetzung der Plattformökonomie würde allerdings zu massiven Gegenreaktionen führen, weil sie wichtige Grundlagen der Arbeitswelt und des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie die soziale Sicherheit untergräbt", sagt der Soziologe Flecker. Es sei nicht verständlich, weshalb man dafür auf die bewährte Form der Anstellung verzichten sollte. Denn die Risiken würden in der Gig-Economy auf die Einzelnen abgewälzt werden: Sie müssen zusehen, genügend Aufträge zu erhalten, um finanziell über die Runden zu kommen.

Dafür machen sie Überstunden – tendenziell mehr als andere Arbeitende, ergaben Fleckers Forschungen – oder arbeiten in der Nacht. Und im Krankheitsfall, bei Arbeitslosigkeit und für das Alter sind sie schlecht abgesichert. "Diese Faktoren schlagen sich dann wiederum auf den Konsum der Gigworker – was den Unternehmen wieder bei ihrem Absatz abgeht -, aber auch in der Familiengründung nieder."

Bis 2020 bis zu 40 Prozent Gigworker

Nicht nur dadurch entstehe eine hierarchische Abstufung unter den Arbeitenden, sagt Flecker. Auch weil Gigworker nicht vor Ort sind und deshalb weniger Zugehörigkeit zu ihren Auftraggebern und daher weniger Wertschätzung ihnen gegenüber empfinden, was sich in ihrer Leistung niederschlagen könnte. Um diese Ungleichheiten zu verringern, erarbeitet die Gewerkschaft Vida in Österreich einen Kollektivvertrag für Fahrradboten. In den Niederlanden bekamen Gigworker bereits eigene Arbeitsgesetze, Irland änderte die Bestimmungen für Freiberufler. Und Kalifornien hat ein Gesetz beschlossen, dass Gigworker wie Angestellte behandelt werden sollen – was die Kosten der Plattformen laut Schätzungen um bis zu 30 Prozent erhöhe. Die Beratungsfirma für Zeitarbeit Staffing Industry Analysts schätzt, dass die globale Gig-Economy 2018 einen Wert von 4,5 Billionen US-Dollar hatte.

Studien gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 30 bis 40 Prozent der weltweiten Arbeitskraft Gigworker sind. Flecker sieht das kritisch. "Diese Arbeit nimmt sicher zu, aber vielleicht sind manche Zahlen auch zu hoch gegriffen." Denn: Ein Teil der Microtasks werde künftig automatisiert, vermutet Flecker. Es könnte also sein, dass die Gig-Economy nur ein Zwischenschritt ist. (Selina Thaler, 27.11.2019)