In Deutschland ist ein politischer Streit um Homöopathie als Krankenkassenleistung entbrannt. Der Hintergrund: Die Kassen dürfen den Versicherungsnehmern homöopathische Zaubereien als zusätzliche und freiwillige Leistung bezahlen. Dagegen regt sich jetzt Widerstand. Die Gegner der "Erstattungsfähigkeit" der Homöopathie argumentieren staubtrocken: "Wenn Eltern darum ringen müssen, dass Krebsmedikamente für ihre Kinder erstattet werden, und die Kassen gleichzeitig viel Geld für nutzlose Pseudopillen ausgeben, geht das nicht zusammen", sagt Andreas Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. "Wir brauchen ein gesetzliches Erstattungsverbot für Homöopathie." Die solidarisch finanzierte Kran­ken­ver­siche­rung dürfe dafür nicht länger missbraucht werden. 

Der Gesundheitsminister redet von Peanuts

Allerdings: Die CDU mit dem zuständigen Minister erteilt dem Wunsch nach Evidenz eine Absage. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) legte sich im September fest, dass die Krankenkassen "Money for Nothing" als Prinzip beibehalten dürfen. Die Argumentation ist bizarr: Die 20 Millionen Euro, die von den Kassen jährlich an die Produzenten und Praktiker der Homöopathie fließen, seien angesichts der Gesamtausgaben von 40 Milliarden nicht relevant, man wolle keine "emotionale Debatte" entfachen oder "jemanden vor den Kopf stoßen". so Spahn.

Jens Spahn will keine emotionale Debatte um 20 Millionen Euro.
Foto: APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Das "Informationsnetzwerk Homöopathie" (INH) zeigt sich ob des "Peanuts-Arguments" empört: "Es gibt zweifellos nur schlechte Begründungen für Herrn Spahns Entscheidung, aber wenn man sie schon qualifizieren soll, ist dies zweifellos die schlechteste von allen." In einem offenen Brief wird dem Minister vorgeworfen, der Wissenschaftsfeindlichkeit die Mauer zu machen: "Sie geben mit Ihrer Entscheidung und deren Begründung nicht zuletzt einer zunehmenden Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit Raum, deren Auswirkungen Sie an anderer Stelle mit einer Impfpflicht wieder einzufangen versuchen."

Vor allem Besserverdiener schwören auf Homöopathie 

Die Ärztin, Autorin und INH-Sprecherin Natalie Grams sieht ganz handfeste Interessen im Spiel: "Krankenkassen erstatten für Homöopathie, weil sie es gesetzlich dürfen und nicht etwa weil sie von der Wirksamkeit der Pseudomethode überzeugt sind. Die Homöopathie-Gläubigen sind oft die Besserverdiener und die will man nicht als Versicherte verlieren. Auch junge, gesunde Kunden können so gebunden werden."  

Spahns Haltung ist ein Pyrrhusssieg für die Pseudomedizin. Dass die Homöopathie eine Wirkung hätte, davon ist längst nicht mehr die Rede. Keinen Wirbel machen wegen der Kunden und wegen läppischer 20 Millionen Euro, das scheint alles zu sein, was man für die Homöopathie noch in die Schale zu werfen bereit ist. 

Pseudomedizin steht plötzlich im Rampenlicht

Jahrzehntelang hat es sich diese Spielart der Pseudomedizin kommod in einer Ecke hinter dem netten Schild mit der Aufschrift "Alternativmedizin" eingerichtet. Niemand hat genau hingeschaut. Jetzt wird der Zauber gebrochen, die Tricks unter die Lupe genommen und dem Publikum erklärt. Der Tenor in den Blättern des Landes ist einigermaßen eindeutig: Was keine Wirkung hat, ist keine Medizin und darum hat es – Akzeptanz in der Bevölkerung hin oder her – im Gesundheitssystem keinen Platz.  

Auch die politischen Hintergründe werden beleuchtet. Das konservative Leitmedium "FAZ" zeigt wenig Verständnis für die Haltung Spahns und analysiert wenig schmeichelhaft, dass die CDU soeben ein 43-jähriges Bündnis der Politik mit dem Homöopathie-Business ("Die ganz große Globuli-Koalition") willfährig verlängert hat. Die Zulassung homöopathischer Arzneimittel in Deutschland wurde am 6. Mai 1976 zwar einstimmig im deutschen Bundestag beschlossen, mittlerweile ist aber die CDU die einzige der damals im Bundestag vertretenen Parteien, die der Pseudomedizin in Deutschland noch den Rücken freizuhalten bereit ist. 

SPD und FDP gegen die Homöopathie, CDU und AfD dafür

Die Fronten gehen quer durch Regierung und Opposition: SPD und FDP sprechen sich deutlich für ein Erstattungsverbot für Homöopathie aus. Die deutschen Grünen galten lange als Schutzmacht für allerlei Esoterik-Medizin und forderten noch vor zehn Jahren im Grundsatzprogramm die "Gleichberechtigung für Komplementärmedizin in der Gesundheitsversorgung". Davon ist man bereits abgerückt. Die Grüne Jugend hat einen Antrag für den Bundesparteitag im November beschlossen, der recht deutlich formuliert ist: "Gesundheit statt Globuli".  Dort wird unter anderem ein Ende des seit 1976 gültigen Binnenkonsenses gefordert: "Keine Sonderstellung für Homöopathika: Zulassung neuer Medikamente nur auf wissenschaftlicher Basis."

Das wäre nichts weniger als das Ende von homöopathischen Produkten als Arzneimittel. Seit 1976 darf in Deutschland eine Kommission von Homöopathen darüber entscheiden, was als homöopathische Arznei gilt. Ein Nachweis für Wirksamkeit ist nicht erforderlich. Der Gegenwind zum Antrag der Grünen Jugend scheint überschaubar und kommt mit Argumenten, auf deren langen Bart Rübezahl neidig wäre. Die grüne Abgeordnete Ulle Schauws kritisierte die Distanz der jungen Grünen zur Pseudomedizin so: "Ohne zu hinterfragen, wem das nützt! Wer daran verdient! Bayer". Recht ernst wird man damit nicht mehr genommen, vielleicht auch aus dem Grund, weil eine neue politische Kraft ihre Liebe zur Pseudomedizin entdeckt hat. Der Gesundheitssprecher der rechtsextremen AfD machte sich im Juli für die Homöopathie als Kassenleistung stark: "Homöopathie ist nicht wirkungslos: ganz im Gegenteil zeigen auch wissenschaftlich fundierte Studien, dass Homöopathie, angewendet im Placebo-Bereich ausgesprochen effektiv und kostensparend sein kann." Schöner kann man Homöopathie vermutlich nicht erklären. (Christian Kreil, 3.10.2019)

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