Bakteriophagen sind Viren, die für Menschen ungefährlich sind und Bakterien bekämpfen.

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Viren haben kein gutes Image. Kein Wunder, schließlich sind sie den meisten nur als Erreger von Krankheiten bekannt. Dabei sind viele dieser Winzlinge darauf spezialisiert, schädliche Bakterien abzutöten, und können auf diese Weise Krankheiten heilen.

Mit den für Menschen harmlosen "Bakteriophagen" (Bakterienessern) will das österreichisch-deutsche Start-up Phagomed Biopharma schwere Infektionen behandeln, die von multiresistenten Bakterien verursacht werden. Gegen derartige Keime wirkt kaum noch ein Antibiotikum.

Bis 2050 könnten weltweit bis zu zehn Millionen Patienten jährlich durch unbehandelbare Bakterieninfektionen sterben, wenn es keine neuen Mittel gegen sie gibt. Das besagt eine im Auftrag der britischen Regierung erstellte Studie.

Angesichts der wachsenden Antibiotikakrise ruhen daher immer mehr Hoffnungen auf Phagen. "Verglichen mit den heutigen acht Millionen Krebstoten pro Jahr ist das eine beängstigende Zahl", sagte Alexander Belcredi, einer von Phagomeds Kogeschäftsführern, letztes Jahr in einem TED-Vortrag.

Drei Einsatzgebiete

Bakterien können zwar auch gegen Phagen resistent werden, aber Phagen haben sich gemeinsam mit den Bakterien weiterentwickelt und sich ihren Ausweichstrategien gut angepasst. "Phagen sind in der Regel nicht nur auf eine Bakterienart spezialisiert, sondern sogar auf einzelne Stämme innerhalb einer Art", erklärt Belcredi. Damit treffen sie im Gegensatz zu Breitbandantibiotika neben ihrem Ziel keine harmlosen oder nützlichen Bakterien.

Phagomed fokussiert auf drei Einsatzgebiete. Die gegen die medikamentenresistente Form von Staphylococcus aureus (MRSA) gezüchteten Bakterienjäger werden bereits in Tierstudien mit Meerschweinchen getestet. MRSA kann sich insbesondere beim Einsetzen von künstlichen Knie- oder Hüftgelenksimplantaten auf diesen einnisten und so bei fünf Prozent der Patienten schwerwiegende Infektionen verursachen.

Dabei igelt sich der Keim zum Schutz unter einem nur schwer auflösbaren Biofilm ein. Die Phagen vermögen diesen zähen, klebrigen Schleim jedoch durch Enzyme abzubauen, um sich dann die Erreger vorzunehmen. "In Kombination mit Antibiotika erreichte der Schritt für Schritt verbesserte Phagen-Cocktail eine stärkere Wirkung als alle bisher publizierten Antibiotikakombinationen", berichtet Belcredi. 2021 soll die erste klinische Studie starten.

Enzyme nachbauen

Der zweite Zielorganismus des Unternehmens ist ein Escherichia coli-Stamm, der Blasenentzündungen auslöst. Im dritten Entwicklungsprogramm wiederum soll der für Scheidenentzündungen verantwortliche Keim Gardnarella vaginalis bekämpft werden. Da gegen diesen noch keine geeigneten Phagen gefunden wurden, will das Unternehmen Enzyme nachbauen, mit denen sich die Bakterienzellwand von außen auflösen lässt (sogenannte Endolysine).

Wichtig ist laut Belcredi dabei, für jede Erkrankung einen Cocktail aus drei bis vier Phagengruppen zusammenzustellen. Denn jede von ihnen tötet meist nur zu 70 bis 80 Prozent der Zielbakterien. Der Mix soll die Keime nicht nur restlos auslöschen, sondern auch die Resistenzbildung bei den Bakterien verhindern. Doch selbst wenn es zu einer Resistenz kommt, gibt es so viele verschiedene Phagen, dass sich Experten zufolge wirksame Mischungen herstellen lassen.

Gründerpreis und Fördergelder

Für ihre Arbeit gewann die am Vienna Biocenter angesiedelte Phagomed den Gründerpreis Phönix 2018. Er ist mit 5000 Euro dotiert und wird im Auftrag des Wissenschafts- und des Digitalisierungsministeriums vom Austria Wirtschaftsservice in Kooperation mit der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und der Industriellenvereinigung vergeben. Darüber hinaus hat das Start-up insgesamt 5,5 Millionen Euro öffentliche Fördergelder sowie private Investitionen eingeworben.

Man könnte sagen, dass Phagomed gleichermaßen aus Frustration und Begeisterung heraus geboren wurde. Belcredis Schwiegervater Burkhard Wippermann hat als Chirurg seit den 1990er- Jahren durch die Anregung eines georgischen Kollegen zuerst an der Medizinischen Hochschule in Hannover und später als Chefarzt für Unfallchirurgie und Orthopädie am Helios-Klinikum in Hildesheim etwa 15 Patienten mit Phagen behandelt.

Diese ließen chronische Wunden verheilen, wenn kein Antibiotikum mehr half. Doch die rechtlich schwierige Lage frustrierte Wippermann, da er die Phagen als nicht zugelassene Therapie nur per Einzelantrag gemäß Artikel 37 der Helsinki-Deklaration bei ausgewählten Patienten einsetzen durfte. Außerdem konnte er Phagen kommerziell nur aus Ländern des ehemaligen Ostblocks beziehen.

In Georgien etwa sind Phagenpräparate in verschiedenen Standardmischungen in der Apotheke erhältlich, "allerdings gibt es nur unzureichende klinische Studien und Informationen etwa darüber, welches Phagenprodukt in welcher Dosis bei welcher Krankheit und welcher Anwendungsform verlässlich funktioniert", sagt Belcredi.

Als Wippermann ihm 2013 von einer Patientin erzählte, deren Bein er mit Phagen vor der Amputation retten konnte, war Belcredi fasziniert. Nach Auslotung des Forschungs- und Geschäftsfelds gaben der gelernte Betriebswirt und sein damaliger Kollege, der Molekularbiologe Lorenzo Corsini, ihre Jobs bei der Boston Consulting Group als Berater von Pharmafirmen auf, um Ende 2017 zusammen mit Wippermann Phagomed zu gründen.

Bakterienjäger entdeckt

Die Idee, Infektionen mit Phagen zu behandeln, ist nicht ganz neu. Der kanadische Arzt Félix d'Hérelle entdeckte die Bakterienjäger schon 1917 bei Überlebenden der Cholera. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren boten Belcredi zufolge einige der auch heute noch existierenden Pharmaunternehmen wie Abbott, Eli Lilly und Squibb (heute Bristol-Myers Squibb) Phagenpräparate an. Doch ab den 1940er- Jahren wurden sie rasch durch die chemischen Antibiotika verdrängt, die meist gegen mehrere Bakterien gleichzeitig wirkten.

In einigen Ostblockstaaten wie Georgien, Polen und der damaligen Sowjetunion waren Antibiotika allerdings wegen der Patente und teurer Einfuhrgebühren unerschwinglich oder durften nicht dorthin exportiert werden. Deshalb setzten diese Länder weiterhin auf die Bakterienfresser.

Insbesondere das Eliava-Institut in der georgischen Hauptstadt Tiflis wurde mit seiner riesigen Phagensammlung zum führenden Forschungs- und Behandlungszentrum, in dem auch heute noch Phagencocktails nach ärztlicher Vorgabe auf die Patienten zugeschnitten werden, wenn eine Reihe von Standardmischungen nicht hilft.

Nach einem ähnlichen Muster funktionieren sogenannte magistrale Anwendungen, die seit 2016 etwa auch am belgischen Militärkrankenhaus Königin Astrid in Brüssel möglich sind: Ausgehend von einem Rezept stellt ein Apotheker den Cocktail zusammen, dann folgt die Qualitätskontrolle durch ein Labor. Stimmt der Patient zu, kann er behandelt werden.

Belcredi ist zuversichtlich, dass Phagen auch in westlichen Ländern fest zum Medizinarsenal gehören werden. Sein Unternehmen ist eines von mehr als zehn weltweit, die an Phagentherapien arbeiten, klinische Studien vorbereiten oder schon gestartet haben.

Der Befreiungsschlag habe allerdings nur dann langfristig Aussicht auf Erfolg, "wenn wir die Phagen nicht wie Antibiotika zu oft einsetzen. Diesen Fehler wird die Menschheit aber hoffentlich nicht wiederholen." (Veronika Szentpétery-Kessler, 11.9.2019)