Himberg – Es beginnt mit höllischem Lärm. Alle Trommeln, Ratschen, Pfeiferln, die die Marschbereiten zum verregneten Himberger Bahnhofsvorplatz mitgebracht haben, werden gleichzeitig benutzt. Die Lenker der Begleitwagen drehen die ohnehin schallende Musik lauter, die in Leder gewandeten Bikerinnen und Biker lassen ihre Maschinen aufheulen.

"Welcome zur Himberg Pride!" ruft Katharina Kacerovsky, Geschäftsführerin der Stonewall GmbH, die die Himberg-Pride organisiert, ins Mikrophon. Und los gehts – die Regenbogenfahnenträger und lila gekleideten Queer-Studies-Frauen, die Dragqueens und Schnürstiefelträgerinnen, die lesbischen Mütter und schwulen Väter mit ihren Kindern setzen sich in Gang. Große Trucks, wie in Wien, fahren hier keine mit.

Bikerinnen und Biker führten die Himberg-Pride an.
Foto: Maria von Usslar

Viele Neugierige

Vorbei an niedrigen Vorstadt-Einfamilienhäusern mit akkuraten Gärten und Thujenhecken geht es, vorbei an offenen Garagen mit Familienautos darin, an einer stillgelegten Fabrik in Ziegelbauweise, einem Eckbeisl. Unter einem Vordach haben ein Mann und eine Frau ihre Kinder auf dem Arm, die Kinder winken. In einer überdachten Garageneinfahrt haben zwei Männer Liegestühle aufgestellt und beobachten das Defilé. Eine Gruppe Wirtshausbesucher hat der Trubel mit Seideln Bier in der Hand auf die Straße gelockt.

Abschlusskundgebung am Hauptplatz: Gekommen waren – laut Organisatoren – 700 Menschen.
Foto: Maria von Usslar

Es regnet, doch das hat weder die – laut Organisatoren – rund 700 Demonstranten noch lokale Demobeobachter abgehalten. Die erste Lesben- und Schwulenparade Österreichs außerhalb der Großstadt stößt in der niederösterreichischen 7400-Einwohner- Speckgürtelgemeinde auf Neugier, genauso wie in Wien.

"70 zu 30 dafür"

An einer Straßenecke, vor einem Gartenzaun, steht ein älteres Ehepaar. Wie sie den Aufmarsch finden? "Super, dass so was in unserer kleinen Ortschaft läuft", sagt sie: "I bin da absolut dafür", sagt er. Die anderen, weniger erfreuten Himberger seien heute eben zu Hause geblieben. Wie viele das seien? "I tät sagen es steht 70 zu 30 dafür", sagt sie.

"Ich bin froh, dass diese Demonstration stattfindet", meint ein Mann mit leichtem Akzent, der sich als "Diplomingenieur aus Persien" vorstellt und der dem Marsch auf dem Gehsteig folgt: "Ich bin jetzt seit 40 Jahren in Österreich, ich weiß, dass es sich hier um Menschenrechte handelt und dass das wichtig ist".

Zurückhaltende Initiatoren

"Guat is", sagt auch ein alte Dame – um sich sodann vertraulich vorzubeugen: "Aber, unter uns gesagt: der V., der das hier initiiert hat, ist in Himberg als Kritiker verschrien".

Damit meint die Pensionistin Philipp V. (28) , der die Diskussion über Homophobie in Himberg im Gange gebracht hat. Im Juli hatten er und sein Verlobter Matthias F. (23) dem STANDARD geschrieben. Als händchenhaltende Schwule würden sie in ihrer Heimatstadt Himberg geschnitten und beschimpft.

In einem offenen Brief hatte sich der Verkäufer an den Himberger Bürgermeister Ernst Wendl (SPÖ) gewandt. Dieser solle "Haltung zeigen und sich öffentlich klar gegen Diskriminierung und Homophobie aussprechen". Als Antwort hatte sich der Sozialdemokrat in den "Niederösterreichischen Nachrichten" ausweichend geäußert: "Ich bin für Toleranz. Aber soll ich jetzt mit Lautsprechern durch den Ort fahren?", fragte er.

Privatsphäre wahren

Nun stehen Philipp V. und sein Verlobter neben dem Podium auf dem mit Regenbogenfähnchen an Verkehrszeichen und Bushaltestellen dekorierten Hauptplatz, wo gerade die Schlusskundgebung startet und Gruppen von Anrainern das Ereignis per Handyvideo festhalten. "Stolz" sei er, dass so viele Menschen zur Himberger Pride gekommen seien, sagt V.. "Jeder Einzelne stärkt die Pride-Bewegung", ergänzt sein Freund.

Bei der Abschlusskundgebung hielten unter anderem Katharina Kacerovsky von der Stomewall-GmbH, Moderatorin Candy Licious, der Himberger Bürgermeister Ernst Wendl (SPÖ) sowie Hosi-Wien-Obmann Moritz Yvon (von links nach rechts) Reden.
Foto: Maria von Usslar

Rauf aufs Podium, um eine Rede zu halten, wollen die beiden aber ebenso wenig wie für ein STANDARD-Video gefilmt werden. "Wir wollen unsere Privatsphäre wahren", erklären beide. Wichtig seien ihnen die Inhalte, nicht die Publicity. Um weiter frei Kritik üben zu können, nehme er auch den Ruf der Unbeliebtheit in Kauf, sagt V..

"Ihr seid nicht allein"

Auf dem Podium haben unterdessen die Reden begonnen. Stonewall-GmbH-Geschäftsführerin Kacerovsky beschwört den Widerstandsgeist von Angehörigen sexueller Minderheiten: "Wenn ihr mit Hass konfrontiert seid, dann wisst, ihr seid nicht allein!".

Der Obmann der Homosexuellen Inititiative (Hosi) Wien, Moritz Yvon, weist auf die hohe Anzahl von Suizidversuchen unter jugendlichen Lesben und Schwulen hin und zieht einen Bogen zum aktuellen Bundes-Wahlkampf: "Schwarzblau hat die unabhängige Sexualaufklärung in den Schulen abgeschafft. Das muss revidiert werden".

Hobbies und Liebesentwürfe

Auch Vertreter der Neos, der Grünen und der Bundes-SPÖ kommen zu Wort. Sowie Bürgermeister Wendl, der vor dem für ihn ungewohnten Publikum zu einer Volksrede ansetzt. Himberg setze sich "für die Schwächsten" ein, fördere die Barrierefreiheit, biete Kindergartenbetreuung "vom 1. Jänner bis 31. Dezember" an, sagt er.

Und dann schwenkt er doch noch zum Thema des Tages: "Wir akzeptieren und respektieren verschiedene Hobbies – warum nicht auch verschiedene Lebens- und Liebesentwürfe?", fragt Wendl. (Irene Brickner, 7.9.2019)