Die nächste Regierung sollte einen Islam europäischer Prägung fördern und Radikalisierung entgegenwirken, fordert der Religionswissenschafter Ednan Aslan im Gastkommentar.

Spätestens seit den jüngsten Verlautbarungen der Parteien ist klar, dass auch der laufende Wahlkampf zu einem Gutteil im Zeichen des Themas Islam und Muslime steht. Und einmal mehr ist es das Kopftuch, konkret seine Angemessenheit an den öffentlichen Schulen, anhand dessen der Integrationswille der Muslime, ihre Bereitschaft zur Anerkennung der Gleichstellung von Mann und Frau im Allgemeinen problematisiert wird. Will man diesen Verlautbarungen dennoch die ehrliche Sorge um eine konstruktive Ausgestaltung der muslimischen Präsenz in Österreich entnehmen – und sie nicht etwa als Teil einer populistischen Wahlkampfstrategie verstehen -, böte sich an, die diesbezüglichen Leistungen der letzten Regierung kritisch zu reflektieren, um daraus eventuell Lehren für zukünftiges Handeln abzuleiten.

Zu einem ihrer vorrangigen Anliegen zählte die Umsetzung des Islamgesetzes, das festlegt, dass in Österreich tätige Imame auch im Land auszubilden sind, anstatt wie bis dato vom Ausland entsandt zu werden. Weiters war beabsichtigt, in Zusammenarbeit mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) verbindliche Standards für die Gründung von Moscheen zu erstellen sowie zu gewährleisten, dass das Wirken von Seelsorgern in öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit den säkular-pluralen Prinzipien der Gesellschaft steht.

Besonderes Augenmerk sollte auf der Erziehung und Ausbildung von muslimischen Kindern und Jugendlichen liegen – hier galt es zum einen, ideologisch-theologische Indoktrinierung in islamischen Kindergärten durch bestimmte Betreiber zu verhindern, zum anderen sollten Schulbücher und Lehrpläne der Islamischen Glaubensgemeinschaft dahingehend überprüft werden, ob sie tatsächlich die Pluralitätsfähigkeit fördern beziehungsweise ob die Ausbildung der Religionslehrkräfte gültigen Qualitätsstandards genügt, auch wurde das Tragen des Kopftuchs an Grundschulen verboten. Schließlich bekannte sich Regierung dazu, der Radikalisierung junger Muslime mit verschiedenen Maßnahmen – darunter die Schließung von als Brutstätten von Radikalisierung geltenden Moscheen – Einhalt zu gebieten.

Zieht man nun Bilanz über die Ergebnisse, stellt sich Ernüchterung ein, konnte doch praktisch keines der gesetzten Ziele verwirklicht werden.

Mehr Wanderimame

So ist die Zahl der Imame, die aus dem Ausland kommen, nicht nur nicht zurückgegangen – vielmehr brachten es strukturelle Veränderungen infolge des Zuzugs von Flüchtlingen mit sich, dass sich heute mehr Wanderimame im Land aufhalten als in den Jahren zuvor. Dazu kommt, dass diese neuen Strukturen – weil selbst für die IGGiÖ nicht mehr durchschaubar – kaum zu kontrollieren sind und damit ein Einfallstor für eine Vielzahl an ausländischen Interessen bilden. Einige Staaten haben sogar ihre eigenen Imamausbildungsprogramme in Österreich etabliert. Es ist daher anzunehmen, dass der Einfluss ausländischer Staaten in den kommenden Jahren vielfältiger wird, und es wird sich zeigen, inwieweit die Imamausbildung an der Universität Wien mit den Erwartungen der islamischen Organisationen vereinbar ist.

In den Moscheevereinen fehlen immer noch verbindliche, von Staat und Glaubensgemeinschaft überprüfbare Standards. Auch von einer strukturellen Unabhängigkeit der Glaubensgemeinschaft von den Interessen der Verbände, die es ihr erlauben würde, ihre eigenen Qualitätsstandards zu definieren, kann noch nicht die Rede sein.

Religionspädagoge Ednan Aslan fordert unter anderem eine Evaluierung des Lehrpersonals und eine Überarbeitung der Schulbücher für den Religionsunterricht.
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Pluralitätsfördernde Lehre vorantreiben

In Sachen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen mangelt es nach wie vor an einer Regelung zur Evaluierung des Lehrpersonals hinsichtlich der Anforderungen des Bildungssystems, was es wiederum der Glaubensgemeinschaft erschwert, die tatsächlichen Leistungen des Religionsunterrichts sichtbar zu machen. Auch die dringend erforderliche Überarbeitung der Schulbücher für den Religionsunterricht durch eine breit aufgestellte Kommission – und nicht wieder durch eine ideologisch motivierte Gruppe – harrt ihrer Verwirklichung.

Schließlich muss sich die Regierung fragen lassen, wo denn die Maßnahmen sind, die der Leugnung des – unzweifelhaft bestehenden – Zusammenhangs zwischen Radikalisierung und bestimmten theologischen Positionen, wie sie in einigen Moscheen nach wie vor vertreten werden, effektiv entgegenwirken. Die in den Moscheen und anderen Bildungseinrichtungen vermittelte Lehre ist der Herausforderung, den Muslimen die bitteren Folgen von Radikalisierung klar vor Augen zu führen, schlicht nicht gewachsen. Diesbezüglich sind freilich auch die Muslime selbst – in Gestalt der Glaubensgemeinschaft – aufgerufen, in ihren Institutionen eine pluralitätsfördernde Lehre voranzutreiben.

Für einen Islam europäischer Prägung

Die letzte Regierung hat klargemacht, welchen Islam sie nicht will, indem sie sowohl in ihrem Programm als auch in der Praxis berechtigterweise immer wieder auf die Gefahren des radikalen Islam hinwies. Welchen Islam sie hingegen fördern möchte, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, unterschiedslos gegen den Islam und die Muslime vorzugehen, darüber war wenig zu erfahren. Von einem Islam europäischer Prägung war in keinem Regierungsprogramm die Rede. Das führte dazu, dass sich die überwiegende Mehrheit der Muslime, die ihre Zukunft in dieser Gesellschaft sehen, im Stich gelassen fühlte.

So bleibt einmal mehr die Hoffnung, dass die nächste Regierung sich dazu durchringt, einen Islam europäischer Prägung, einen Islam, der im Einklang mit den europäischen Werten steht und die Muslime in die Mitte der Gesellschaft ermutigt, nicht nur zu beschwören, sondern mit Nachdruck zu fördern, und vor allem den Islam den Interessen des Auslands zu entziehen beziehungsweise als eine innerösterreichische Angelegenheit zu definieren.

Die Schwierigkeiten der Integrationspolitik resultieren nicht aus der Sichtbarkeit der Muslime, sondern aus den unsichtbaren, aber umso wirkmächtigeren internationalen Verflechtungen der beteiligten Organisationen. Das Islamgesetz war ein wichtiger Schritt in diese Richtung, doch er wäre umsonst gewesen, wenn ihm nicht weitere folgen. (Ednan Aslan, 31.8.2019)