Der Wiener Bürgermeister, der traditionell ab 16 Uhr beim Großheurigen Zeiler, dem Traum aller koreanischen Bustouristen, vorglühen soll, taucht heuer nicht auf. Dafür bringt sich jetzt Wolfgang, ein oberösterreichischer Gigolo, in Stellung. Der fesche Kilt mit Kärntner Karo, sagt er, wäre sein "Eisbrecher" – auch und vor allem bei den Damen. Erderwärmung auf die gute alte österreichische Art.

DER STANDARD

Etwas unterkühlt hingegen ist die Stimmung um 16.30 Uhr noch beim FP-Standl unten beim Kreisverkehr, wohin mich Georg leitet. Der 22-Jährige trägt ein blaues Jopperl, das er reduziert beim "Loden Frey" erstanden hat. Er ist ein Blauer durch und durch und natürlich "stolz, Österreicher zu sein!" Die Lederne hat dem sympathischen Mann seine Mutter einst zur Firmung beim "Trachten Hiebaum" im steirischen Vulkanland gekauft, die bevorzugten blauen Stutzen sind ihm allerdings beim Waschen eingegangen, darum trägt er heute grüne. Ibiza? Vergangenheit! Georg schaut in die Zukunft.

So wie Toni Mahdalik, FPÖ-Gemeinderat und ehemaliger Sportklub-Kicker, was die traditionell linken Sportklub-Fans natürlich wahnsinnig machen wird, aber: bärige Frohnatur! Er lobt den Kirtag wegen des Umsatzes für die Gastronomie und freut sich wie alle Politiker "auf die Gespräche". Seine Tracht "ist nix B’sonderes", nach "den Gesprächen" wird natürlich in Eischers Stüberl, wohin es Parteiverbindungen gibt, gefeiert. Für die "After-Party" hingegen, die vergangenes Jahr von Joschi Gudenus in dieser Zeitung noch als "hart" gelobt wurde, ist er meisten schon zu müde. Wäre "der Chef", der am Stand immer noch Strache heißt, hier, dann wäre das vielleicht anders, weil der kann "wirklich gut feiern". Nur halt heuer nicht, weil er kein Handy hat, über das er seinen Facebook-Account füttern könnte (das ist bei der Staatsanwaltschaft, es gilt die Unschuldsvermutung). Ob Herr Mahdalik hier schon die eine oder andere "Schoarfe" gesehen hat? Er würde das nicht so ausdrücken, sagt er lachend, "aber es gibt extrem viele hübsche Madeln!"

Drüben bei den neuen ÖVPlern ist auch nicht viel los, aber die machen halt mehr Wind. Harald Zierfuß, sympathischer Landesobmannstellvertreter der jungen, neuen, türkisen, dynamischen und voll stylischen ÖVP ist seit 2017 Windmacher, und zwar "wegen dem Sebastian Kurz und dem Herrn Blümel", auf den wir jetzt warten. Dass die ÖVP eine Sekte geworden sei, weil sie nämlich so wirken könnte mit der alles dominierenden Farbe Türkis und den ins Gesicht gemeißelten Grinsern bei ihren Fans, streitet der in der Parteienakademie gut Verwurstete ab, bevor er routiniert das Opfer-Pflichtprogramm abspult: "Wie die anderen Parteien mit dem Sebastian Kurz umgehen …" Nein, also wirklich! Ts Ts Ts.

Harald Zierfuß empört sich darüber, "wie die anderen Parteien mit dem Sebastian Kurz umgehen".
Foto: Christian Fischer

Einfach "ein Fan"

Unpackbar schön sind die türkisen Fingernägel an einer erfreulich unroutinierten Luftballonverteilerin, die noch nicht das volle Partei-Schulungsprogramm durchlaufen hat und frei von der Leber weg erzählt: Sie ist einfach "ein Fan" vom Sebastian und hat ihn sogar "schon ein paar Mal getroffen" und schätzte dabei, dass er "alle Fragen aus dem Stegreif heraus beantwortet". Am wichtigsten aber ist ihr, "dass er eingeladen wird und weltweit anerkannt ist. Bitte schauen wir: Wo war der Van der Bellen?" Auch gerade wandern.

Türkise Fingernägel, Demonstration der Kurz-Unterstützung.
Foto: Christian Fischer

Die Stimmung ist gelöst, bis sie plötzlich auf Minusgrade abkühlt. Eine junge, dynamische, voll stylische 23-jährige Dirndlträgerin aus dem "Neue ÖVP"-Nachwuchscamp drängt die Unroutinierte zur Seite und fragt mariafektermäßig: "Nehmen Sie das auf?" Nun muss dringend ein Message-Controller höheren Ranges mit türkisener Sonnenbrille her, der mich auch gleich heftig in die Seite stößt und mit "Servas, was gibt’s?" begrüßt. Nachdem geklärt ist, dass er mich doch bitte zu Siezen hat, biete ich dem Dynamischen das Du-Wort an. Es ist Michael Ulrich, Leitung Kommunikation und Presse, und weil dem Burgenlandler echte Lederhosen "nicht passen", trägt er heute eine blaue Leinenhose aus Bad Aussee vom "Gössl" (oder vom "Hammerschmid"?). Stutzen dazu mag er nicht so gerne, weil die seine "schönen Unterschenkel" verdecken würden. Da ist sie wieder: Die Selbstüberschätzung, die am Ende schon ganze Weltreiche in den Abgrund gerissen hat.

Herzlich begrüßt er seinen Chef, den Herrn Blümel, der in blauweißem Hemd und alter Lederner auftaucht, und zwar ebenfalls dynamisch:

"Hallo!"

"Grüß Gott!"

"Bussi!"

"Sehr schön, gut macht ihr das."

"Farbe tragen heißt Farbe bekennen", sagt auch er. Die schwarzen Socken mit türkisem Rand sind aber nicht die, die er damals im Parlament vergessen hat zu tragen. Sein Pressesprecher redet dann sehr, sehr positiv über ihn, als wir ihn uns von hinten anschauen, während er "Gespräche" führt und Hände schüttelt: "Er ernährt sich gut. Er ist Sportler. Niemand lebt so gesund wie der Gernot Blümel." Zwar kontrolliert Herr Ulrich erst "seit eineinhalb Jahren" Messages für seinen Chef, aber die Bewunderung für ihn scheint bereits tief gefestigt.

"Farbe tragen heißt Farbe bekennen."
Foto: Christian Fischer

Wer niemandem abgeht

Auf "das Volk" hingegen entwickelt dieser nicht ganz die unwiderstehliche Anziehungskraft, die zum Beispiel ein Packerl Tschick auf den HC Strache ausübt. Wäre bei dem in den vergangenen Monaten nicht alles so kolossal schief gelaufen (schlag nach beim Ausländer Murphy: "Was schief gehen kann, geht schief"), könnten hier im nächsten Jahr bei den Heurigen vielleicht schon wieder kleine, süße Glücksspielautomaten stehen (es gilt die Unschuldsvermutung), aber jetzt kriegt das wahrscheinlich nicht einmal mehr die Mary Glawischnig für ihren Konzern hin. Oder hieß die Manuela? Wurscht! Sie geht niemandem ab, schon gar nicht den Grünen (die als einzige Partei hier gar nicht vertreten ist) – so wie Alfred Gusenbauer niemandem abgeht, schon gar nicht den Roten.

Apropos: Zeit für einen Blick auf die Uhr, am besten auf eine Patek Philippe Nautilus. Aber wo ist der Drozda, wenn man ihn mal braucht? Hoffentlich heckt er nicht gerade wieder "Ideen" für seine Partei aus, sonst ist am Ende der Ludwig gar nicht mehr Bürgermeister, wenn nächstes Jahr der Kirtagszug mit "Weinhiata", "Altbursch" und Flaschenbuben die Rathgasse hinauf marschieren wird mit der Hauerkrone. Vorbei auch am Stand seiner eigenen Sozis, an dem heuer Marcus Schober, sein Stellvertreter, die Stellung hält mit seinen jungen, ebenfalls grundsympathischen und in ihren Trachten unpackbar gut aussehenden Mitstreitern und -Innen.

Von links nach rechts: Dominik Nepp (FPÖ), Marcus Schober (SPÖ) und Gernot Blümel (ÖVP) bei der Eröffnung des Neustifter Kirtags.
Foto: Christian Fischer

"Der Burgamasta ist im Urlaub", verrät er mir, "nicht in St. Tropez, wobei mir das auch wurscht wäre." Die selbstbewusste, breite Brust des vorbeigehenden Sportlers Gernot Blümel beeindruckt ihn nicht: "Breite Brust hab ich selber", sagt er locker, und "zahlenmäßig sind wir sowieso mehr als die." Er absolviert heuer seinen 17. Wahlkampf, und das überaus hoffnungsfroh: "Es ist alles drinnen!" Und Kirtage wäre eine gute Möglichkeit für "Gespräche", wobei "halbwegs vernünftige" nur bis 22 Uhr zustande kämen. Das bestätigt auch der Sanitäter, der sich in der kommenden Nacht "zu 90 Prozent um Intoxikierte" kümmern wird müssen, der Rest wären Schnitzverletzungen.

Schweinsbraten, der auch Kindern schmeckt

Gegenüber beim Zeiler wird der Kirtag dann eröffnet, was aber wegen der Polit-B-und-C-Promis nicht sonderlich interessiert, der Event ist spärlich besucht: "Es lebe der Wolfgang Zeiler!", schreit einer und hört dann nicht mehr zum Schreien auf: "Seine Gattin! Seine Kinder! Seine Enkel! Die Urenkel! Die Gäste! Das Personal! Der Kirtag!" Und irgendwann lobt Dominik Nepp, FPÖ-Vizebürgermeister der Stadt, den Schweinsbraten als seiner Meinung nach so super deswegen, weil er auch den Kindern schmeckt.

Die Kinder der Stadt, die etwas größeren und Feierwütigen, tanzen ab 18.30 Uhr bereits oben beim Fuhrgasslhuber, beim Eingang steht eine Schlange, und im Westen geht langsam die Sonne unter. Der Loisl mit seiner Band "Die Wuppa" spielt sich den Schweiß aus den Poren, vier Tage lang wird auch er Vollgas geben und "am Sonntag unterm Sauerstoffzelt" liegen. Obwohl er "nichts trinkt", wie das dauerlachende Naturwunder versichert, so wie HC Strache keine Drogen nimmt. Wie dieser würde er sofort aufstehen, wenn er hier irgendwo auch nur ein Glas Wein entdecken würde!

Ausgelassene Stimmung beim Auftritt der "Wuppa" am Neustifter Kirtag.
Foto:Christian Fischer

Österreich als internationales Land

Karoline (solo) und Karoline (glücklich verliebt) stammen aus Polen und sind wunderschön, ihre österreichische Tracht tragen sie so selbstverständlich wie Nam, dessen Familie aus Vietnam stammt, und Barbara, die ursprünglich aus Rumänien kommt. Das "Mia-San-Mia", das Türkis und Blau gerne mit dem Tragen von Tracht verbinden, interessiert die Jungen nicht. Darum erreicht das Fest hier einen frühen Höhepunkt, während dem sich zeigt, warum Österreich trotz seiner provinziellen Politiker ein so großartiges, buntes und internationales Land ist.

Karoline und Karoline aus Polen.
Foto: Christian Fischer

Beim Heimgehen treffen wir noch Rebecca, Tamara, Beatrice, Chayenne und Sabrina aus der Donaustadt, auf die vielleicht der Wolfgang in seinem Kilt gerade zunavigiert, um das Eis zu brechen, und noch während der ganzen Heimfahrt drängen in die Gegenrichtung "Madeln" in ihren wunderschönen Trachten, auf die man als Österreicher ruhig auch mal stolz sein darf.

Lange lebe der Neustifter Kirtag! (Text: Manfred Rebhandl, Video: Andreas Müller, Fabian Sommavilla, 17.8.2019)