Ein Bild aus besseren Zeiten: Damals (2015) wussten H.-C. Strache und Johann Gudenus noch nichts von der kommenden Verfilmung ihrer Ibiza-Abenteuer.

Foto: APA / Helmut Fohringer

München, 15. Mai 2019, Mittwoch: noch zwei Tage bis zur Veröffentlichung. Wir werden heute Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus mit unserer Recherche konfrontieren. Das heißt: Wir werden ihnen alle schweren Vorwürfe nennen und einen Tag Zeit geben, uns eine Stellungnahme zu schicken. Die wiederum bauen wir dann in unseren Text ein, und erst dann können wir den Artikel veröffentlichen. So gebietet es die Fairness – und das Medienrecht.

Seit einigen Jahren passiert es aber immer wieder, dass die Angesprochenen von sich aus an die Öffentlichkeit gehen, bevor wir veröffentlichen. Die Idee dieses Vorpreschens ist, das Heft selbst in die Hand zu nehmen – und eine Geschichte, die man nicht verhindern kann, wenigstens mit eigener Intonierung und eigenem Spin zu versehen. Für die Journalisten ist das erst einmal unangenehm – weil sie reagieren müssen, anstatt zu agieren. Oder zumindest überlegen, ob sie reagieren sollen.

Im Fall von Strache gehen wir beinahe davon aus, dass er sich auf Facebook äußern wird, und zwar äußerst aggressiv. Die Frage ist: Wie würden wir reagieren? Wir haben alle möglichen Varianten durchgespielt und sind uns fast sicher, dass wir alles ignorieren würden und stumm auf unsere Veröffentlichung hinarbeiten.

Geduld und Nerven behalten

So haben wir es gemacht, als der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Woche vor der Veröffentlichung der Panama Papers unsere Anfrage an Putin publik machte und von einer Verleumdungskampagne sprach. Und so haben wir es auch gemacht, als die Frau des isländischen Premierministers nach unserer Anfrage in Sachen Panama Papers versuchte, unsere Arbeit auf Facebook zu diskreditieren.

Das nehmen wir uns auch für dieses Mal vor: Geduld und Nerven behalten. Aber wenn Strache natürlich eine Pressekonferenz in Wien einberufen sollte, wäre es gut, jemanden vor Ort zu haben.

Normalerweise schickt man den Vorhalt – so nennt man die Konfrontation – per E-Mail oder notfalls per Post. Wir bekommen den Tipp, dass man Strache über den Kurznachrichtendienst Whatsapp am besten erreicht. Also bereiten wir die Anfrage vor.

Wir fragen Strache nach dem Treffen auf Ibiza und schildern den uns bekannten Rahmen des Abends. Wir fragen nach dem Plan der angeblichen Russin, die Hälfte der KronenZeitung zu übernehmen, und erwähnen, dass sie Gegenleistungen forderte. Wir fragen nach seiner Offerte, ihr Staatsaufträge zuzuschanzen, die zuvor der Strabag entzogen würden.

Und wir fragen natürlich nach den angeblichen versteckten Spenden für die FPÖ und danach, ob er das Treffen denn zur Anzeige gebracht habe – ihm wurde schließlich eindeutig Korruption angeboten, in verschiedenen Abstufungen. Außerdem fragen wir nach der Diskussion über Aufträge mit Überpreis, der Diskussion über das Wassergeschäft und einigem mehr, insgesamt sind es elf Fragen. Es ist eine lange Whatsapp-Nachricht.

Als wir die Nachricht um 14.31 Uhr abschicken, atmen wir erst einmal durch. Schnell erscheint bei Whatsapp das erste graue Häkchen neben der Nachricht: "verschickt", bedeutet das. Gleich darauf das zweite graue Häkchen: "angekommen". Wir haben einen ähnlichen Vorhalt für Johann Gudenus vorbereitet, er bekommt wenig später ebenfalls eine Whatsapp-Nachricht von uns. Hier geht es genauso: ein graues Häkchen, zwei graue Häkchen. Zur Sicherheit schicken wir die Vorhalte auch noch klassisch per E-Mail an Martin Glier, den Sprecher von Heinz-Christian Strache, sowie an den Pressereferenten von Johann Gudenus.

Ohne Zweifel berichtenswert

Dann, um 14.34 Uhr an diesem Mittwochnachmittag, färben sich die beiden Häkchen gleichzeitig blau. Das bedeutet: Auf den Geräten von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus wurden unsere Nachrichten geöffnet. Vermutlich: auch gelesen. Jetzt geht der Adrenalinspiegel im Kammerl steil nach oben. Ebenso der Verbrauch von Süßigkeiten, zur Beruhigung.

Die andere Seite weiß jetzt also Bescheid.

Im Vergleich zu anderen Recherchen sind wir aber noch vergleichsweise ruhig. Wir sind unsere Fakten dutzende Male durchgegangen – und wie man es auch dreht, ist die Geschichte eine Geschichte.

Wenn alle Hintergründe so sind, wie wir vermuten und wie es uns unter dem Siegel der Verschwiegenheit von unserem Kontakt erzählt wurde, ist es eindeutig und ohne Zweifel berichtenswert. Selbst wenn der Auftraggeber ein politischer Gegner wäre, wäre es dennoch eindeutig und ohne Zweifel etwas, was wir den Leuten erzählen müssten.

Egal wer die Falle gestellt hat, Heinz-ChristianStrache und Johann Gudenus wurden nicht gezwungen, so zu reagieren, wie sie reagiert haben, und dafür müssen sie geradestehen. Das gilt auch für den Fall, dass die CIA, der Mossad oder ein anderer Geheimdienst dahinterstünde – es wäre dennoch eindeutig und ohne Zweifel eine Geschichte.

Selbst wenn jemand aus der FPÖ selbst dahinterstünde, um uns Journalisten bloßzustellen, könnten wir unser Vorgehen mühelos verteidigen. Was wir in dem Video gesehen und gehört haben, rechtfertigt eine umfangreiche Berichterstattung.

Wir sind uns inzwischen auch sicher, dass die Videos echt sind. Ein von uns beauftragter Gutachter hat sich telefonisch gemeldet: Er sei sich sicher, dass auf dem Video Strache und Gudenus zu sehen sind, Audio und Video seien identisch, es gebe keine Hinweise auf Manipulation.

Authentisches Material

In seinem sechzigseitigen Gutachten können wir am nächsten Tag nachlesen, dass die Ohren der Männer auf dem Video "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identisch" seien mit denen von Gudenus und Strache. Berücksichtige man dann auch noch die Augenbrauen ("medial-horizontal, außen abfallend, winkelige Krümmung"), den Stirnbereich ("lateral fliehende Stirnwölbung, gerade bis leicht konkave Haarlinie, Schläfen stark eingezogen" sowie "leicht ausgeprägter Überaugenwulst") und den Mundbereich ("flaches, kaum sichtbares Philtrum" – also eine Einbuchtung in der Oberlippe), sei bei Strache eine "fast hundertprozentige Übereinstimmung" bewiesen. Ebenso bei Gudenus. Kurzum: Die Personen auf dem Video sind eindeutig die beiden FPÖ-Spitzenpolitiker.

Was die Echtheit des Materials angeht, kommt der Gutachter zu dem Schluss, dass es sich "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" um authentisches Material handelt. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass irgendetwas manipuliert worden sei.

In genau diesen Tagen macht sich der Mail-Account eines der Kollegen, der diesen Artikel redigiert, auf seltsame Weise selbstständig: Er schickt Mails an Kollegen, auch an jemanden aus unserem Ressort. Der Text ist kurz: "Es tut uns leid, dass Sie Schwierigkeiten bekommen haben. Anbei erhalten Sie eine Korrektur." Im Anhang eine Datei mit dem Namen "replace.txt". Die E-Mail richtet keinen Schaden an, der Empfänger identifiziert sie sofort als Phishing-Mail, allein schon, weil er mit dem Sender per Du ist.

Und wer kennt solche Mails nicht? Der Absender ist auf den ersten Blick jemand, den man kennt. Die tatsächliche E-Mail-Adresse des Absenders ist aber eine ganz andere, in diesem Fall: office@hup.co.at. Jeder bekommt solche Mails, man löscht sie, und fertig.

Es gibt nur einen großen Unterschied: Dieses Mal wird unter dem seltsamen Text eine Mail angezeigt, die jemand aus unserem Ressort tatsächlich wenige Stunden zuvor dem Kollegen mit dem freidrehenden Mailaccount geschickt hat. Das bedeutet, das E-Mail-Postfach unseres Kollegen wurde gehackt.

Das ist besorgniserregend. Wir fragen uns, ob es Zufall ist, dass die Phishing-E-Mails von einer E-Mail-Adresse abgeschickt wurden, die auf .at endet – also einer österreichischen Adresse.

Cyberangriff

Zwar sind wir Cyberangriffe mittlerweile gewohnt. Nach so ziemlich jedem größeren Enthüllungsprojekt registriert unsere IT-Abteilung vermehrte Angriffe auf die Computersysteme der Süddeutschen Zeitung. Manchmal können sie zu Servern im asiatischen oder pazifischen Raum nachverfolgt werden, meist jedoch verliert sich die Spur irgendwo. In der Regel können die Angriffe abgewehrt werden, es bleibt bei dem Versuch.

Dieses Mal ist es aber offenbar jemandem gelungen, das Postfach von mindestens einem Kollegen zu knacken. Wenn der Kollege nun auch noch unvorsichtig war und dasselbe Passwort auch für unser Redaktionssystem verwendet hat – dann könnte jemand womöglich mitlesen, sobald wir Artikel ins Seitenlayout schreiben. Kein gutes Gefühl.

Wir sind jedenfalls alarmiert. Trotzdem sind wir uns relativ sicher, dass unsere Arbeit sicher ist. Genau für solche Fälle haben wir im Rechercheressort ein System, das abgeschottet ist vom Rest der Zeitung. Unsere Kommunikation ist verschlüsselt, und wir haben noch ein paar andere Maßnahmen ergriffen, um uns zu schützen.

Aber es bleibt ein mulmiges Gefühl, das verstärkt wird durch weitere Vorfälle: Auf einem unserer Telefone landet eine SMS mit einem angeblichen "Verification-Code" für die Signal-App. Das ist jener Chat-Dienst, über den wir verschlüsselt kommunizieren – in etlichen Gruppen. Die SMS bedeutet normalerweise: Jemand hat versucht, sich in das Signal-Konto einzuloggen, um unsere verschlüsselten Nachrichten mitzulesen.

Etwa zur gleichen Zeit bekommen wir die Benachrichtigung eines E-Mail-Anbieters, dass jemand versucht hat, sich mit einer "nichterkannten mobilen App" in eines unserer verschlüsselten E-Mail-Postfächer einzuloggen. Und bei dem Kollegen Oliver Das Gupta fragt das Handy aus dem Nichts, ob es die Kamera einschalten dürfe. Oliver nimmt das Gerät und verlässt damit auf der Stelle das Kammerl.

Das kann alles Zufall sein. Das kann alles andere Gründe haben. Vielleicht aber auch nicht.

Während wir am 16. Mai 2019, einem Donnerstag, an Texten feilen, Videos abnehmen und eigene drehen, fragen wir uns immer wieder: Was machen wir, wenn er sagt, er habe es gewusst?

Anruf aus Österreich

Da klingelt das Mobiltelefon unseres Kollegen Oliver Das Gupta. "Oh", ruft Oliver, steht auf und hält sein Handy hoch: "Anruf aus Österreich."

Es ist nicht irgendein Anruf, es ist der Sprecher von Heinz-Christian Strache, Martin Glier, dem wir am Tag zuvor unseren Vorhalt gemailt haben. Oliver und er kennen sich von vorherigen Recherchen, wie man sich eben kennt, wenn der eine Pressearbeit für einen Politiker macht und der andere mit diesem Politiker sprechen möchte. Glier ist berüchtigt für seinen rauen Tonfall und regelmäßige Entgleisungen: Auf Twitter nennt er Flüchtlingshelfer auch mal "Invasionskollaborateure", und wenn die Grünen für die "Ehe für alle" einstehen, ist das für ihn "Werbung für Pädophilie".

Aber an diesem Vormittag ist er ganz leise. "Wir haben da einen Brief von euch bekommen", sagt er vorsichtig – und meint offensichtlich unsere E-Mail und die Whatsapp-Nachricht -, und "ich wollte von dir hören, was das ist." Glier versucht es auf die naive Tour, "ich kenn' mich da nicht aus", sagt er, deswegen würde er gern reden. Allerdings im Hintergrund, also so, dass wir daraus nicht zitieren dürften.

Darauf werden wir uns nicht einlassen. Dieser Anruf ist sehr wahrscheinlich ein Versuchsballon. Als wir ihm am Vortag die E-Mail mit den Fragen an Strache geschickt haben, nach der Whatsapp-Nachricht, haben wir ans Ende der Mail nur unsere beiden Namen und Telefonnummern gesetzt, um Strache nicht durch ein zu großes Team aufzuschrecken Jetzt ruft Martin Glier aber eben nicht uns an, sondern einen Kollegen: Oliver Das Gupta.

Aber Oliver lässt ihn höflich auflaufen und reicht das Telefon dann weiter an uns. Am Ende empfehlen wir Glier, sich bei Heinz-Christian Strache nach Details zu erkundigen – der müsste sich erinnern. Damit ist das Gespräch nach vier Minuten vorbei.

Wir setzen uns wieder vor die Bildschirme. Wir müssen weitermachen.

Straches Antwort

Der Ton, der die Whatsapp-Antwort von Heinz-Christian Strache ankündigt, geht schließlich fast unter in der Menge der vielen anderen Nachrichten, die an diesem Tag nervig piepsend bei uns eingehen. Strache schreibt uns um 14.32 Uhr – also fast genau 24 Stunden nach unserer Anfrage und fast genau um die Uhrzeit, bis zu der wir um Antwort gebeten hatten, nämlich 14.30 Uhr. Schon damit hatten wir nicht gerechnet: dass er sich an den Zeitrahmen hält, um den wir gebeten hatten. Mit seiner Antwort hätten wir aber noch viel weniger gerechnet.

Die Kurzversion lautet: Ich hab' angetrunken dummes Zeug geredet, und nichts davon wurde je umgesetzt.

Wir lesen den Text wieder und wieder. Heinz-Christian Strache droht nicht mit seinem Anwalt. Er kündigt keine Klage an, und er ist auch überhaupt nicht aggressiv. Nimmt er die Sache nicht ernst? Wir haben keine andere Erklärung. Das alles so lapidar abzutun, viel Alkohol, schlechte Übersetzung, auf Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung hingewiesen, und letztendlich nix passiert – das ist seine Strategie? Uns soll es recht sein.

Überraschend interessant und einigermaßen schräg finden wir eigentlich nur, dass er an zwei Stellen von einer "vermeintlich lettischen Staatsbürgerin" spricht. Wir verstehen erst nicht, warum. Ihr Begleiter hat sie im Video immer als Russin vorgestellt, sie hat sich auf Ibiza als solche zu erkennen gegeben, Strache selbst hat sie in der Villa ja gefragt, woher sie komme, aus Moskau? Sie hat die Frage bejaht.

Strache selbst hat sich darüber sogar gefreut: "We like Russia", hat er gesagt, und "ich war oft in Moskau". Später hat er noch erklärt, er nehme an, sie habe "wahrscheinlich aus Russland gute Kontakte": "wahrscheinlich zu Putin". Ihre Legende ist, dass ihr Onkel Igor Makarow sei – ein russischer Oligarch mit guten Verbindungen zu Putin.

Puzzleteile

Dann bringen wir die Puzzleteile zusammen: Die Lockvögel haben die angebliche Aljona Makarowa unseres Wissens auch damit angepriesen, dass sie zwei Staatsbürgerschaften habe, die russische und die lettische, und als Lettin sei sie EU-Bürgerin und habe insofern wenig Probleme, Geld in die EU zu bekommen. Das Strache-Lager will das nun offenbar nutzen, um von fragwürdigem russischem Geld wegzukommen.

Russisches Geld, das eine Wahl beeinflussen soll? Klingt nach KGB, nach Putins eiskalter Hand, nach Donald Trump und nach Ärger. Lettisches Geld dagegen klingt unproblematisch. Lettland ist die Europäische Union, nicht der wilde Osten. Also verschweigt Strache in seiner Antwort die Russin und nennt sie kurzerhand Lettin. Vorab: Einige Medien sind später genau diesem Dreh gefolgt.

Aber Strache hat sich nicht nur an uns gewandt. Wir erfahren, dass er angeblich schon um Schadensbegrenzung bemüht ist: Er soll ausgerechnet – bei der Kronen Zeitung angerufen haben, um diese auf eine mögliche Veröffentlichung vorzubereiten. Es sei eine private Sache, die da ausgebreitet werden solle, habe er gewarnt.

Auch bei Kanzler Sebastian Kurz meldet er sich, um ihn zu informieren. Die Zahl derer, die von der bevorstehenden Publikation wissen, wird immer größer. Schnell macht das Gerücht die Runde, in Wien und anderswo. (Bastian Obermayer, Frederik Obermaier, 17.8.2019)