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Jeffrey Epstein in einem Kapuzenpullover mit Harvard-Logo. Die US-Elite-Uni profitierte am meisten von seinen Zuwendungen, obwohl Epstein dort nicht einmal studiert hatte.

Corbis via Getty Images / Rick Friedman

Nicht nur der mysteriöse Tod des wegen Missbrauchs minderjähriger Mädchen rechtskräftig verurteilten Investmentbankers Jeffrey Epstein gibt zahlreiche Rätsel auf und lässt Verschwörungstheorien ins Kraut schießen. Auch sein Leben, seine Netzwerke und sein angeblicher Reichtum werden die Medien – und nicht nur diese – wohl noch einige Zeit beschäftigen.

Eines der größeren Mysterien ist, wie es Epstein allem Anschein nach ohne jeden Hochschulabschluss schaffte, Freundschaften oder zumindest engen Austausch mit einigen der brillantesten Wissenschafter unserer Zeit zu pflegen – und diese Kontakte zum Teil auch noch nach seiner ersten Verurteilung 2008 aufrechtzuerhalten.

Am meisten profitierte davon – abzüglich des Image-Schadens – eine der besten Universitäten der Welt: die Harvard University im US-Bundesstaat Massachusetts. Und der Forscher, dem die höchste Unterstützung durch Epstein zuteilwurde, ist der aus Österreich stammende Biomathematiker Martin A. Nowak, der 2003 auch deshalb vom Institute for Advanced Study in Princeton nach Harvard wechselte.

"Er kennt einfach jeden"

In einem großen Porträt Epsteins, das 2002 im "New York Magazine" erschien, wurde Nowak auch prominent zitiert: Epstein habe sein Leben verändert, so Nowak: "Dank seiner Unterstützung habe ich das Gefühl, dass ich alles tun kann, was ich will." Epstein kündigte damals eine Spende in der Höhe von 30 Millionen Dollar an, mit der er das neue, von Nowak geleitete Programm für Biomathematik und evolutionäre Dynamik in Harvard unterstützen wollte. (Tatsächlich sollten es allerdings "nur" 6,5 Millionen Dollar werden.)

In einem Artikel, der 2003 aus diesem Anlass in der Harvard-eigenen Zeitschrift "The Harvard Crimson" veröffentlicht wurde, gab Nowak an, "über dessen Beziehungen in die Wissenschaftswelt" verblüfft zu sein: "Er kennt eine erstaunliche Zahl an Wissenschaftern; er kennt einfach jeden, den man sich vorstellen kann."

Wissenschaftlicher Mäzen

Zur Bestätigung dieser Aussage berichtete die Zeitschrift über enge Kontakte zum damaligen Harvard-Präsidenten Lawrence Summers, zum Psychologen Stephen Kosslyn, zum Ex-Dekan Henry Rosowsky oder zum Rechtsprofessor Alan Dershowitz, der 2008 vor Gericht die großzügige außergerichtliche Einigung für Epstein mitverhandelte. Zudem gaben etliche Professoren an, Spenden von Epstein erhalten zu haben, dessen wissenschaftliches Mäzenatentum bis weit in die 1990er-Jahre zurückreichte.

Zu seinen damaligen Bekannten in der Wissenschaftswelt zählten außerdem der Physiknobelpreisträger Murray Gell-Mann, dessen Bestseller "The Quark and the Jaguar" Epstein mitfinanziert hatte, oder Medizinnobelpreisträger Gerald Edelman. An Konferenzen, die aufgrund Epsteins Initiative abgehalten wurden, nahmen damals auch noch etliche andere Wissenschaftsstars wie Stephen Hawking, Oliver Sacks oder Frank Wilczek teil.

Wie nicht weiter überraschend, äußerten sich alle Forscher, die mit Epstein damals in Kontakt standen, höchst positiv über ihn: Dershowitz bezeichnete Epstein gegenüber dem "Harvard Crimson" als "brillant", und Kosslyn nannte ihn "einen der hellsten Köpfe, die mir bekannt sind".

Verrückte eugenische Ideen

Epstein dürfte ihnen gegenüber allerdings eine seiner verrückteren Ideen verschwiegen haben: Laut einem Bericht der "New York Times" von Ende Juli 2019 war der rätselhafte Multimillionär auch an Eugenik interessiert und soll in den 2000er-Jahren gegenüber Vertrauten mehrfach die Idee geäußert haben, auf seiner Ranch in New Mexico Frauen mit seinem Sperma zu befruchten und so die Menschheit genetisch verbessern zu wollen.

Fast alle der bisher geschilderten Wissenschaftskontakte bestanden bereits vor dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen Epstein, und auch die prominent besetzten Konferenzen fanden vor dessen Verurteilung 2008 statt. Wer freilich meint, dass es gerade in der Wissenschaftswelt, in der vermeintlicherweise höhere moralische Standards gelten, verpönt sein würde, mit einem verurteilten Sexualstraftäter weiter Kontakt zu halten oder von diesem Geld zu nehmen, irrt in diesem ziemlich einzigartigen Fall.

Keine Spendenrückzahlungen

Und auch die Annahme, dass eine vermögenden Top-Universität wie Harvard – so wie etliche andere Spendenempfänger Epsteins auch – die erhaltenen Summen zurückzahlen würde, erwies sich als falsch: Genau das ist bis heute nicht geschehen, obwohl Angehörige der Uni wie Alan Dershowitz womöglich noch tiefer in die Causa verstrickt sind. Nicht weniger verstörend ist die Tatsache, dass Epstein nach dem Absitzen seiner 13-monatigen Haftstrafe ab 2009 von einigen Wissenschaftern bei seiner Rehabilitierung direkt oder indirekt geholfen wurde – und das, obwohl Epstein seine illegalen Praktiken anscheinend wiederaufnahm.

Fördernd für seine Reintegration in höchste Kreise waren dabei kleinere Spenden an Hochschulen wie das Bard College 2011 und 2012 sowie die erneute Finanzierung von wissenschaftlichen Konferenzen. Vor allem aber erschienen einige PR-Texte und Webseiten, auf denen Epsteins frühere großzügige Unterstützung der Wissenschaft gerühmt wurde.

Eine dieser Seiten, die Epsteins Spenden und Kontakte ganz besonders lobte (und längst wieder verschwunden ist, aber auf archive.org abgerufen werden kann), poppte nicht ganz überraschend auf der Website des Programms für evolutionäre Dynamik der Harvard University auf. (Dessen Leiter Martin A. Nowak hatte in der Zwischenzeit übrigens einen wissenschaftlichen Bestseller mit dem Titel "SuperCooperators" veröffentlicht, auf Deutsch: "Kooperative Intelligenz".)

"Intellektueller Angeber"

Zu den Wissenschaftern, die mit Epstein noch in den den 2010er-Jahren Kontakt hatten, zählt der Psychologe Stephen Pinker, der den Wissenschaftssponsor – wohl auch im Wissen um die neuen Anschuldigungen – kürzlich für einen "intellektuellen Angeber" hielt. Ein anderer Forscherstar, der nach 2009 (auch wieder über Nowak) im Austausch mit Epstein stand, war der Genetiker George M. Church, einer der Stars seines Feldes, der immer wieder mit visionären Ideen (wie dem Klonen eines Mammuts) aufhorchen lässt.

Erst vor wenigen Tagen entschuldigte sich der Harvard-Forscher als einer der wenigen von Epstein unterstützten Wissenschafter für seine Kontakte zu diesem und gestand offen ein, die Berichte über dessen Verurteilung 2008 leider nicht allzu genau verfolgt zu haben. Zudem sei es wohl auch der "Nerd-Tunnelblick" gewesen, der ihn daran gehindert habe, das wahre Ausmaß der Gesetzesbrüche Epsteins rechtzeitig zu erkennen. (Klaus Taschwer, 12.8.2019)