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Die Röhre für den Ganzkörper-Scan ist besonders lang. Es werden mehrere Untersuchungen gleichzeitig durchgeführt und die Bilder danach ausgewertet.

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Mit einer Kombination aus PET und CT lässt sich in einem Total-Body-Scan zeigen, wie sich Substanzen im Körper verteilen.

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Bisher gingen Biologie und Medizin davon aus, dass das Verhalten eines Systems gleich der Summe der Teilfunktionen ist – ein Irrtum. Tatsächlich sind reale biologische Systeme extrem komplex, arbeiten, etwa als Reaktion auf Reize, mit Signalketten.

Diese Signalketten "fließen" nacheinander zu beteiligten Akteuren, die die Signale mit eigenen Botenstoffen zum nächsten Schauplatz weiterleiten und ihn beeinflussen. Der Körper ist ein dynamisches System mit vielen internen Abhängigkeiten. Deshalb ist ein ganzheitlicher Blick auf ihn nötig.

Genau diesen ganzheitlichen Blick planen Nuklearmediziner und Physiker der Medizinischen Universität Wien (MUW) mit dem neuen Forschungsfeld "Applied Systems Biology". Diese Applied Systems Biology (i. e. Angewandte Systembiologie) stellt die dynamische Kommunikation über Signalketten zwischen Organen in den Mittelpunkt: Wer plaudert mit wem im Körper und auf welchen Wegen?

Stoffwechselprozesse visualisieren

"Schlimme Krankheiten, wie beispielsweise Krebs, manifestieren sich zumeist nicht nur in einem Organ. Es müssen also Signalwege im Spiel sein. Wenn wir sie kennen, können wir eingreifen", sagt der Physiker Thomas Beyer vom Center for Medical Physics and Biomedical Engineering an der MUW.

Ziel ist es deshalb, Stoffwechselprozesse zu visualisieren und zu beobachten, um daraus Zusammenhänge abzuleiten. "Dadurch könnte es irgendwann möglich werden, anhand tumorspezifischer Stoffwechselprozesse die Bildung eines Tumors zu erkennen, bevor er sichtbar ist", so Beyer.

Den Forschern geht es aber nicht nur um Fragestellungen rund um Krebs: Warum haben depressive Menschen oder Menschen mit hohem emotionalem Stress ein erhöhtes Herzinfarktrisiko? Warum und wie wirkt sich ein Herzinfarkt negativ aufs Gehirn aus? Warum verändert sich die Darmmikrobiota, also die Gesamtheit der Darmbakterien, nach einem Schlaganfall?

Wenn Gewebe im Körper entzündungsbedingt abstirbt – welche Signalwege springen dann an, und warum verschlimmern sich infolgedessen Infektionen in anderen Organen? Warum kann eine Krebserkrankung dazu führen, dass Fett und Muskeln im Körper abgebaut werden?

Physik trifft Medizin

Mit der bisherigen wissenschaftlichen Herangehensweise sind diese Fragen nicht zu beantworten. Auch nicht jene der Kommunikation der Darmbakterien-Gemeinschaft mit dem Gehirn. "Veränderungen im mikrobiellen System im Darm haben über Signalketten Auswirkungen auf andere Teile des Körpers", sagt der Nuklearmediziner Marcus Hacker, Leiter der klinischen Abteilung für Nuklearmedizin an der MUW. "Dieses Zusammenspiel wollen wir künftig genauer erforschen, um besser zu verstehen, wie Krankheiten entstehen, wie wir ihnen vorbeugen oder sie therapieren können."

Die Physik und die darauf basierende nuklearmedizinische Bildgebung aus der Positronenemissionstomografie (PET), kombiniert mit einem Computertomografen (CT), spielt eine wichtige Rolle in der Diagnostik – nicht nur in der Krebsmedizin, sondern auch in der Kardiologie und Neurologie.

Exakte Darstellung

Aufgrund der Kombination von PET und CT spricht man von einem Hybridbildgebungsverfahren. Das CT misst die Abschwächung der Röntgenstrahlung im Körper und kann anhand dessen anatomische bzw. morphologische Zusammenhänge exakt darstellen. Die PET untersucht dagegen den Stoffwechsel der Körpergewebe mittels zuvor injizierter radioaktiv markierter Substanzen (sog. Tracer) wie zum Beispiel Glukose. Sie werden auf natürlichem Wege verstoffwechselt, während ihre radioaktive Markierung schnell zerfällt.

Da Krebszellen wegen ihres erhöhten Energiebedarfs mehr Glukose verbrauchen als gesunde Zellen, reichern sich vermehrt mit Flour-18 markierte Glukosemoleküle in ihnen an. Trifft ein beim radioaktiven Zerfall frei werdendes energiereiches Positron auf ein freies Elektron, werden zwei messbare Photonen (Gammastrahlung) freigesetzt. Diese Strahlung trifft gleichzeitig zwei Detektoren im ringförmigen PET-Scanner. Dadurch kann auf rechnerischem Wege der Ursprung der Strahlung rekonstruiert werden.

Geheime Verbindungen aufdecken

So entsteht eine 3D-Karte der Zellen, die das radioaktiv markierte Molekül verstoffwechseln. Die gefräßigen Krebszellen heben sich als leuchtende Punkte vom unauffälligen Hintergrund ab, den die normalen Zellen bilden. Ein einzelner PET-Ring ist ca. 25 Zentimeter breit. Deshalb muss der Körper bisher stufenweise gescannt werden.

Der zu untersuchende Körperbereich wird durch schrittweise Bewegung des Tisches schichtweise durchleuchtet. Durchschnittlich dauert das rund 20 Minuten, wobei die unterschiedlichen Organe wie Hirn und Herz oder Hirn und Darm nicht gleichzeitig erfasst werden. Ein derartiges System ist für den neuen Ansatz der Applied Systems Biology ungeeignet.

Patient bewegt sich

Durch die zusätzliche Verwendung eines kontinuierlichen Tischvorschubs während der Untersuchung, können in modernen PET/CT-Systemen Patienten ähnlich einer Untersuchung in einem Spiral-CT durch die Röhre geschoben werden. Die Röntgenröhre umkreist den Patienten entlang seiner Längsachse, der PET-Ring bleibt stationär, aber der Patient bewegt sich kontinuierlich vorwärts.

Diese Systeme erlauben eine optimierte Akquisition und vielfach eine verbesserte Kontrastdarstellung. Außerdem wird der zu untersuchende Bereich nicht nur schichtweise, sondern als Ganzes aufgenommen. Mit diesem Gerät ist die Darstellung von Signalketten im ganzen Körper bereits eingeschränkt möglich.

Quantensprung in Bildgebung

Das geplante Forschungsfeld wird die Vorarbeiten für einen sogenannten Ganzkörper-PET-Scanner leisten, ein Quantensprung in der medizinischen Bildgebung. Und den haben kalifornische Biomedizin-Ingenieure nun vollzogen. In den letzten zwei Jahren haben sie für die in Schanghai ansässige Firma United Imaging einen modifizierten PET-Scanner gebaut.

Sie haben acht einzelne PET-Scanner in optimaler Weise zu einer zwei Meter langen Röhre zusammengesetzt. Die einzelnen Detektorenkristalle sind so bearbeitet und so klein, dass die Bildqualität und das Auflösungsvermögen weiter verbessert sind. Die zwei bis dato weltweit einzigen Exemplare in den USA und Schanghai werden aktuell evaluiert.

"Die ersten Daten suggerieren, dass sie sehr gut funktionieren", sagt Thomas Beyer. Was ist nun das Besondere? Der modifizierte PET-Scanner macht Ganzkörperscans in wenigen Sekunden möglich. Die Patienten werden nur einmal auf der Liege in die Röhre hineinbewegt und innerhalb kürzester Zeit gescannt.

Strahlen in homöopathischen Dosen

"Der neue PET-Scanner ist mit gerade einmal 20 Sekunden Zeitaufwand viel schneller als konventionelle PET-Scanner mit ihren 20-Minuten-Scans", erzählt Beyer. "Es ist zudem nur ein Vierzigstel der bisherigen Strahlendosis nötig, was fast schon im homöopathischen Bereich liegt." Für Forschungszwecke ist deshalb die länger dauernde Darstellung von Zeitverläufen, das heißt die Ausbreitung von Signalstoffen, bei minimaler Strahlendosis möglich.

"Der Patient kann länger in der Röhre bleiben, sodass der Weg von radioaktiv markiertem Zucker durch den Körper direkt verfolgbar ist. Wir können zuschauen, wie er sich ausbreitet", erzählt Beyer. "Diese Verlaufsdarstellungen sind Voraussetzung für die Beobachtung der Interaktion zwischen räumlich entfernten Organen und der simultanen Erfassung von Signalketten im Körper.

Der Nuklearmediziner Marcus Hacker sieht noch einen weiteren Vorteil der geringen Strahlendosis: "Das Verfahren könnte in Zukunft auch für ein Patientenscreening im Zusammenhang mit Arteriosklerose und Alzheimer geeignet sein." Je nachdem, welche Untersuchung durchgeführt wird, sind unterschiedliche Tracer einsetzbar.

Vernetzung verstehen

Neue Varianten bei den Zucker-Tracern ermöglichen es sogar, bei einer bakteriellen Infektion den Infektionsherd genau zu ermitteln. Diese Tracer werden nämlich von Bakterien, aber nicht von den Körperzellen selbst aufgenommen. "Durch die Auswahl mehrerer Tracer wäre es möglich, die Vernetzung von Signalwegen besser zu verstehen", sagt Hacker.

Mit dem Ganzkörper-PET-Scanner ließe sich vielleicht auch der Nachweis führen, wie wirksam die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist. "Man könnte an den Akupunkturtriggerpunkten sowie an Placebopunkten kleine Schmerzsignale setzen und beobachten, wie sich das Ganze auf das Gehirn auswirkt", erzählt Beyer.

"Das Ganzkörper-PET/CT ist ein enormer Fortschritt, der uns einen einmaligen Blick auf die Vernetzung innerhalb unserer Körperhülle bietet und neue Erkenntnisse ermöglicht." Letztendlich wird das zu neuen Therapieansätzen führen und somit einen direkten Einfluss auf die Patienten haben. (Gerlinde Felix, 14.11.2019)