Tübingen – Männer konsumieren nach wie vor mehr Pornografie als Frauen, auch wenn sich hier nach und nach eine gewisse Annäherung durch speziell für Frauen produzierte Erotik in Buch, Bild und Film abzeichnet. Erklärt wird die bisherige Nichtgleichstellung gemeinhin damit, dass Männer eher durch die expliziten Bilder und Filme erregt würden und also – zumindest in Sachen Sexualität – stärker visuell geprägt seien.

1.800 erregte Testpersonen

Ein Forscherteam um Ekaterina Mitricheva (Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen) zieht diese weitverbreitete Annahme nun aber in einer aufwendigen Metastudie im Fachblatt "PNAS" in Zweifel. Die Wissenschafter analysierten für ihre eigene Arbeit 61 einschlägige Studien mit mehr als 1.800 Probanden, die im Rahmen dieser 61 Untersuchungen entweder erotische Bilder oder Filme anschauten, die sie als erregend empfanden, während Wissenschafter ihre Hirnaktivitäten scannten.

Diese Aufnahme entstand nicht während einer der 61 Studien, sondern vor ein paar Monaten im Hafen von Valencia in Spanien, wo der spanische Künstler Antoni Miró seine erotischen Skulpturen ausstellte. Über die Hirnaktivitäten der beiden Betrachtenden ist nichts bekannt.

In der Fachliteratur nahm man bisher – meist allerdings nur auf Basis von Selbstbeschreibungen oder eher anekdotischer Evidenz – oft an, dass Männer von Pornografie stärker erregt würden als Frauen und dass diese Unterschiede darauf zurückzuführen sind, wie das Gehirn die Reize verarbeitet. Die neue Metaanalyse liefert allerdings ein anderes Ergebnis.

Mehr Daten, anderes Resultat

Die Hirnscans zeigten zunächst eindeutig, dass bei Pornografie im Vergleich zu erotisch neutralem Anschauungsmaterial tatsächlich spezielle Hirnareale aktiviert werden wie etwa die Inselrinde, die mit Lustempfindungen assoziiert wird, die Amygdala oder das Striatum, die auch mit der emotionalen Informationsverarbeitung und unserem Belohnungssystem verbunden sind. Interessant ist auch der Befund, dass die Hirnaktivität bei expliziten Bildern stärker ist als bei Videos.

Doch einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen konnten die Forscher mit den Daten über alle Studien hinweg nicht feststellen: Zumindest auf der Ebene der neuronalen Aktivität reagieren Gehirne von Männern und Frauen fast identisch auf Pornografie.

Die Hirnaktivitätsmuster beim Betrachten expliziter Bilder oder Filme sind bei Männern und Frauen ziemlich ähnlich.
Grafik: Ekaterina Mitricheva et al., PNAS 2019

Das gilt übrigens für hetero- genauso wie für homosexuelle Testpersonen, auch wenn sich bei diesen im direkten Vergleich kleine Unterschiede in den aktivierten Regionen zeigten.

Die bisher behaupteten geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Wahrnehmung von Pornografie könnten soziale Gründe haben, vermuten die Forscher. So sei offen ausgelebte weibliche Sexualität immer noch mit gewissen Stigmata behaftet. (Klaus Taschwer, 18.7.2019)