Über die Leidenswege muslimischer Sklaven ist bis heute wenig bekannt. Die Ausstellungim Schloss Ambras Innsbruck möchte das ändern. Hier ein osmanischer Turban aus dem 16. Jahrhundert.

Foto: KHM-Museumsverbund

Handschuhe der "Tunis-Garnitur" von Kaiser Karl V. Gefertigt vor 1535 aus blankem Eisen, Nieten, Panzergeflecht, Ätzstreifen, teils vergoldet.

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"Schlacht von Tunis", um 1560 geschnitzt in Kirschholz.

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"Schlacht von Tunis" zeigt um 1575 die Sieger der Schlacht von Lepanto: Don Juan de Austria, Marc Antonio Colonna und Sebastian Venier.

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Die Freibeuterkarriere des Balthasar Sturmer verlief eher durchwachsen. Nachdem der deutsche Kaufmannssohn den Verkaufserlös einer Schiffsladung Weizen in Lissabon verprasst hatte, heuerte er in den 1530er-Jahren auf einem christlichen Piratenschiff an und machte Jagd auf türkische Handelsschiffe. Ein lukratives Geschäft. Alsbald träumte Sturmer davon, sich mit einer eigenen Galeere selbstständig zu machen, doch stattdessen wurde er seinerseits Opfer eines türkischen Piratenangriffs und in die Sklaverei verschleppt. Als Rudersklave in der Flotte des berühmten Korsaren Chair-ad-Din Barbarossa erlebte er die Eroberung von Tunis durch Kaiser Karl V. 1535 mit. Immerhin: ein weltpolitisches Ereignis.

Sturmer gelang schließlich die Flucht, die Niederschrift seiner Erlebnisse gilt als die früheste bekannte Sklavenerzählung aus Nordafrika. Sie ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie dokumentiert, dass Piraterie und Sklaverei sowohl auf christlicher wie auch auf muslimischer Seite zum Tagesgeschäft gehörten, als zwischen habsburgischem und osmanischem Reich der Kampf um die Vormachtstellung im Mittelmeerraum im Gange war.

Gleichwohl dominiert bis heute der eurozentristische Blick auf das Schicksal europäischer Gefangener, während über die Leidenswege muslimischer Sklaven eher wenig bekannt ist. In der europäischen Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts freilich war der Typus des "Türkensklaven" – so die pauschale Bezeichnung für Verschleppte unterschiedlicher Herkunft – ein beliebtes Motiv.

Aktuelles Sinnbild

Doch auch die abenteuerliche Geschichte des Balthasar Sturmer soll nicht darüber hinweg täuschen, dass man es hier mit roher militärischer Gewalt, Ausbeutung, Vertreibung und Geschäftemacherei zu tun hat. Die Schau Piraten und Sklaven im Mittelmeer im Schloss Ambras Innsbruck wartet mit einem erschreckend aktuell wirkenden Sinnbild dafür auf: Man sieht verzweifelte Männer in einem Flüchtlingsboot auf rauer See.

Der Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert zeigt die Flucht des Engländers William Okeley von Algier nach Mallorca. Die großen Flüchtlingsrouten verliefen jedoch bereits ab dem Ende des 15. Jahrhunderts in die entgegengesetzte Richtung. Die Eroberung von Granada 1492 markierte das Ende der spanischen Reconquista. Abertausende von der Iberischen Halbinsel vertriebene Juden und Muslime flohen über das Mittelmeer nach Nordafrika. Dorthin verlagerten sich bald auch die Expansionsgelüste der Spanier. Für die Osmanen wurden Piratenhochburgen wie Algier und Tunis wichtige Verbündete beim Versuch, die Spanier zurückzudrängen. Auf der anderen Seite richtete man auf Malta und Rhodos Stützpunkte für christliche Kaperfahrten ein.

Stattliche Turbane

Kurator Matthias Pfaffenbichler, pensionierter Direktor der Hofjagd- und Rüstkammer des KHM, stellt mit Kaiser Karl V. und Süleyman dem Prächtigen zunächst die mächtigsten Gegenspieler im Konflikt zwischen osmanischem und habsburgischem Reich vor. Es gibt prunkvolle Rüstungen und stattliche Turbane zu sehen, wertvolle Porträts und Stiche sowie Modelle von Galeeren, auf denen bis zu 300 Ruderknechte schuften mussten. Allein daran lässt sich erahnen, warum die begehrteste Beute auf vielen Kaperfahrten der Mensch war: Es galt, den Nachschub an Rudersklaven zu sichern. In der für die "Heilige Liga" siegreichen Schlacht von Lepanto 1571 verloren allein die Türken 250 Schiffe.

Piraten führten wichtige Schattenkriege für die Großmächte, im Gegenzug wurden ihre privaten Geschäftsmodelle gebilligt: Dazu gehörte in den nordafrikanischen Hochburgen die Erpressung von Lösegeld für europäische Gefangene wie Miguel de Cervantes, der seine Erlebnisse in den berühmten Don Quijote einfließen ließ. Um Lösegeldtransfers kümmerte sich der Trinitarier-Orden, auch eigene Sklavereiversicherungen sind im 17. Jahrhundert entstanden. Im Rahmen eines von Mario Klarer von der Universität Innsbruck geleiteten FWF -Forschungsprojekts wurden die Spuren der Mittelmeerpiraterie gar bis nach Tirol verfolgt, von wo aus der Bauer Georg Kleubenschedl eine Pilgerfahrt antrat – und in Gefangenschaft geriet.

Die in Kooperation mit der Uni Innsbruck entstandene Ambraser Schau ist ein gelungenes Lehrstück über den seit Jahrhunderten von Konflikten und kulturellen Kontakten geprägten Mittelmeerraum. Endgültig zu Ende ging es dort mit der Piraterie übrigens erst Anfang des 19. Jahrhunderts, als mit der französischen Kolonialherrschaft in Algerien ein neues europäisches "Modell" in Nordafrika Einzug hielt. (Ivona Jelčić, 2.7.2019)