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In Georgien gehen tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Politik zu protestieren – die Pride muss deshalb warten.

Foto: AP Photo/Shakh Aivazov

Die Situation, in der Aktivistinnen und Aktivisten seit Oktober 2018 die erste Pride Georgiens planen, ist schwierig. Das kleine Land, ehemals Teil der Sowjetunion, ist konservativ. Die orthodox-katholische Kirche hat starken Einfluss. Zwar ist Homosexualität seit 2000 nicht mehr verboten und es gibt Antidiskriminierungsgesetze, gesellschaftlich hat sich an der Stimmung gegen sexuelle Minderheiten aber nicht viel geändert. Laut einer Studie des National Democratic Institute sind nur 23 Prozent der Georgier der Meinung, dass die Rechte von queeren Minderheiten geschützt werden sollten. Angriffe gibt es immer wieder, vor allem auf Transfrauen.

Bereits 2013 versuchten etwa 100 Aktivistinnen und Aktivisten gegen Homo- und Transfeindlichkeit zu demonstrieren. Mindestens 20.000 religiöse Gegendemonstranten, die von der Kirche mobilisiert wurden, wollten das verhindern. Diese bespuckten queere Aktivistinnen und Aktivisten, bedrohten sie und warfen mit Steinen – bis zu 20 Personen wurden verletzt. Weitere Versuche, Demonstrationen zu organisieren, scheiterten immer wieder.

Regierung gegen Pride

Der 23-jährige Tamaz und seine Mitstreiter wollten das ändern. Die Regierung legte dem Organisationsteam schnell nahe, die Pride und alle weiteren Veranstaltungen – wie eine geplante Pride-Konferenz am 21. Juni – abzusagen. Die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. Das wollen die Aktivistinnen und Aktivisten nicht akzeptieren. "Die Regierung kann eine Demonstration wie unsere schützen, es fehlt aber an politischem Willen", sagt Tamaz. Als Reaktion protestierte die Gruppe Mitte Juni vor dem Regierungsgebäude. Dabei griffen rechte Gruppierungen an. Die Polizei konnte sie nur schwer von den Aktivistinnen und Aktivisten fernhalten. Die Beamten verhafteten 28 Menschen.

Die orthodoxe Kirche mobilisierte währenddessen gegen die Veranstaltung, nennt sie eine "sodomitische Sünde" und verlangt von der Regierung, sie zu verbieten. Außerdem drohte ein prominenter, rechter Millionär damit, eine Bürgerwehr zu gründen und Homosexuelle anzugreifen. Diese Woche bekamen drei Veranstalter Todesdrohungen auf ihre privaten Handys.

"Kann nicht aufhören zu zittern"

"Ich weiß, wo dein Büro ist und wo du wohnst. Ich werde dir den Kopf abschneiden und zum Held werden": So lautete die Nachricht, die Tamaz erhielt. "Ich konnte nicht aufhören zu zittern", erinnerte er sich. Seitdem fährt er nur mehr Taxi, schläft in einem Hotel. "Zwar habe ich schon oft Todesdrohungen auf Social Media erhalten. Auf meinem Handy hatten sie aber eine andere Dimension."

Am Donnerstag veränderte ein weiteres Ereignis die Situation: Ein Treffen orthodoxer Gruppierungen fand im georgischen Parlament in Anwesenheit einer russischen Parlamentariergruppe statt. Ein merkwürdiges Ereignis, immerhin gab es seit dem Krieg mit Russland 2008 keine diplomatischen Beziehungen zu Moskau. Damals spalteten sich zwei Regionen Georgiens ab.

Als sich ein russischer Abgeordneter auf den Sitz des georgischen Ministerpräsidenten setzte, eskalierte die Situation. Die Opposition rief zu Protesten auf. Innerhalb kurzer Zeit versammelten sich rund zehntausend Demonstranten und versuchten, das Parlament zu stürmen. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschoße ein. 240 Personen wurden verletzt, zwei von ihnen verloren ein Auge.

Geheime Konferenz

Die geplante Pride-Konferenz am darauffolgenden Tag fand dennoch statt. Der Ort – ein hippes Hotel – wurde nur ausgewählten Personen mitgeteilt. Dennoch standen Polizisten vor dem Eingang des Gebäudes. Das Organisationsteam war angespannt. In jeder freien Minute versammelten sie sich, besprachen die nächsten Schritte.

Die brutalen Proteste hatten die Situation verändert. "Wir wissen nicht, was wir machen sollen", sagte Tamaz. Den Augenringen nach zu urteilen schien er die Tage zuvor kaum geschlafen zu haben.

Am Freitag um 17.20 Uhr verkündeten sie dann, dass die Pride auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Öffentlich kommunizierte die Gruppe, dass Sicherheitsbedenken aufgrund der anhaltenden Proteste der Grund sind. Die Vereinten Nationen, die Europäische Union und einige Länder, darunter Österreich, veröffentlichten daraufhin ein gemeinsames Statement. Darin riefen sie die georgische Regierung dazu auf, gegen Gewalt an Minderheiten vorzugehen.

Wann die Pride nun stattfinden wird, ist nicht bekannt. "Wir brauchen eine Pride, wir müssen weiterkämpfen", ist sich Tamaz sicher. Sein Gesicht ist rot. Seit Monaten kümmert er sich um nichts anderes als die Organisation, hat dafür sogar seinen Job gekündigt. "Ich brauche mein Leben aber auch bald zurück. Ich kann nicht mehr." (Steven Meyer aus Tiflis, 23.6.2019)