"Ein Podcast kann dir auch Gesellschaft leisten, und jemandem zuzuhören hilft vielen Leuten, sich zugehörig zu der Welt und orientiert zu fühlen": Jake Shapiro, einer der Gründer und CEO von Radio Public.

Foto: Shapiro

CommitmentJake Shapiro ist einer der Gründer und CEO von Radio Public – einem Podcastanbieter mit dem Ziel, Podcasts leicht zugänglich, aber trotzdem rentabel für Podcaster zu machen. Vor Radio Public war Shapiro CEO und Mitbegründer von PRX, einem mehrfach ausgezeichneten Förderprogramm für selbstständige Podcaster, das berühmte Podcasts wie "This American Life", "The Moth Radio Hour" und das Radiotopia-Podcastnetzwerk hervorgebracht hat. Er hat seinen Bachelor in Geschichte und Literatur auf der Harvard-Universität abgeschlossen und lebt in Lexington, Massachusetts. Seine Funkrockband Two Ton Shoe erfreut sich in Südkorea großer Beliebtheit.

Beim Journalismusfestival in Perugia (3. bis 7. April 2019) spricht Shapiro über Podcastingstrategien. Wir haben ihm dazu vorab Fragen geschickt – die er schlüssigerweise per Audiofile beantwortete.

Frage: Man hört heute dauernd, dass alles immer schneller wird, dass Konzentrationsspannen sinken und es immer mehr Ablenkungsmöglichkeiten gibt. Trotzdem steigt die Nachfrage nach Podcasts, obwohl diese meist eher langsam funktionieren. Wie erklärst du dir das?

Shapiro: Ich denke, wir bewegen uns immer in mehrere Richtungen. Obwohl Kurzvideos, Twitter und Micro-Media populär sind, gibt es auch Nachfrage nach mehrstündigen Netflix-Serien, Dokumentationen und Filmen. Mit Audioformaten ist das ganz ähnlich. Lange Audioformate sind ein Begleitmedium. Ich denke, auch deswegen funktionieren Podcasts so gut. Sie stehen nicht in Konkurrenz zu anderen Aktivitäten, sondern du kannst sie hören, während du dich von A nach B bewegst oder trainierst. Wir haben auch ganz einfach ein Verlangen nach längeren Erzählungsformaten und nach der Begleitung von menschlicher Stimme in unserem Alltag. Podcasts leisten uns Gesellschaft. Deswegen funktionieren lange Audioformate so gut. Es war bis jetzt schwieriger, kurze Audioformate zu etablieren und Lösungen für weniger lange Audios zu finden.

Frage: Podcasts scheinen sehr lange zu brauchen, um ein breiteres Publikum zu finden. Warum sind Podcasts noch immer ein Nischenmedium?

Shapiro: Podcasts haben wirklich eine lange Vorgeschichte – von 2003 bis 2014. Ein Grund dafür ist, dass es einfach zu kompliziert war, Podcasts zu hören. Podcasts haben wie etwas gewirkt, das viel Know-how benötigt – und am Anfang wirklich benötigt hat. Das Management von Dateien und Playlists und die Verbindung eines MP3-Players mit dem Laptop war zu umständlich für die Mehrheit. Erst als Smartphones sich eingebürgert haben und wir durch andere On-demand-Medien wie Spotify, Netflix und Youtube gelernt haben, dass Inhalte mit einem Tippen erreichbar sind, konnte Podcasting groß werden. 2014 kamen dann auch noch die Apple-Podcast-App und erste hochqualitative und leicht zugängliche Podcasts wie "Serial". Ich würde sagen, ab diesem Zeitpunkt war Podcast ein Mainstreammedium in den Vereinigten Staaten.

Jake Shapiro antwortete – schlüssig – mit einem Audiofile auf die Podcast-Fragen.

Frage: Warum glaubst du an das Konzept von Podcasts? Was verleiht ihnen ihre Wirkung?

Shapiro: Ich glaube wirklich, das hat damit zu tun, wie sehr Menschen ein Verlangen nach Stimme, Geräusch und Geschichten haben. Es ist ein sehr primitiver Impuls. Da Podcasts auch losgelöst von digitalen Bildschirmen und anderen Ablenkungen sind, spielen sie nochmal eine ganz andere Rolle im Gehirn als Bilder oder Videos. Unser Gehör ist immerhin der erste Sinn, den wir haben. Podcasts werden über Stimme vermittelt, und das ist uns vertraut. Wir reagieren auf verschiedene Stimmen wie jene von unserer Familie, Freunden, Autoritätsfiguren und berühmten Persönlichkeiten. Deswegen ist Podcast auch so stark darin, Informationen, Unterhaltung und Narrative zu vermitteln. Ich glaube außerdem, Podcasts sind so wirkungsmächtig, weil sie ein demokratisches Medium sind. Ähnlich wie Blogs sind Podcasts ein riesiges offenes Ökosystem, in dem jede denkbare Person zu Wort kommen und gehört werden kann. Deswegen gibt es auch so viele Nischenpodcasts. Podcasts gehen als Medium auch immer mit Empathie einher. Während jemand zu einem spricht, erfindet man die Geschichten mit, weil man sich vorstellt, was man hört. Ein Podcast kann dir auch Gesellschaft leisten, und jemandem zuzuhören hilft vielen Leuten, sich zugehörig zu der Welt und orientiert zu fühlen.

Frage: Eine Sorge rund um Podcasts ist, dass sie Echokammern und Filterblasen fördern könnten, weil es einfacher sei als im Radio, andere Sichtweisen und Meinungen zu umgehen. Was denkst du über diese Sorgen?

Shapiro: Ja, natürlich ist das Teil der generellen Beunruhigung um On-demand-Medien, dass wir unsere eigene Umwelt und unsere Kanäle auszuwählen und so unsere Realitäten formen. Ich glaube, das gilt für Podcasts genauso. Wenn du ähnliche Ansichten finden möchtest, geht das über Podcasts. Teilweise liegt das natürlich auch am Interface der Plattformen. Wir werden sehen, wie wir sicherstellen können, dass Hörer diverse Ansichten präsentiert bekommen, wenn sie nach etwas suchen. Bis jetzt gab es mit Podcasts keine ähnlichen Probleme wie mit Youtube, wo die vorgeschlagenen Videos immer extremistischer werden und dich radikalisieren können. Aber wir müssen darauf achten, wenn wir die Branche ausbauen.

Frage: Radio Public bietet mehr als dreihunderttausend Podcastfolgen an. Wie behaltet ihr Überblick darüber, was hochgeladen wird und ob es euren Standards entspricht?

Shapiro: Unsere Nutzungsbedingungen geben uns auch das Recht, etwas zu löschen, wenn es nicht unseren Standards entspricht oder Hassrede oder andere problematische Inhalte enthält. In der Praxis tun wir das aber nur, wenn etwas gemeldet wird. Wir haben nicht die Ressourcen, proaktiv den Katalog zu kontrollieren. Aber da andere Anbieter ähnliche Inhalte löschen und wir mit vielen Vereinbarungen haben und unsere Indexe synchronisieren, denke ich, dass wir als Community schon schaffen, das zu überwachen. Sobald Sprachdetektoren besser entwickelt werden, werden wir bessere Kontrollmöglichkeiten haben. Man sieht, wie problematisch das auf anderen Plattformen ist, also sollten wir da schnell vorankommen, auch wenn Audio generell etwas weniger problematisch ist. Die Hemmschwelle, etwas im Audioformat zu verbreiten, ist in vielen Fällen höher als bei Foto oder Video. Also gab es nicht so viele Anreize, Hassrede zu verbreiten, aber ich bin sicher, das wird sich ändern, weil das Publikum immer größer wird und deswegen mehr Anreize bietet.

Frage: Am Anfang einer Podcastproduktion kann es sehr schwierig sein, genug Geld damit zu verdienen. Was kann jemand, der beginnen will, einen Podcast zu produzieren, machen, um die Zeit mit wenig Publikum zu überbrücken?

Shapiro: Das stimmt auf jeden Fall. Es ist schwer, einen Podcast zu starten. Es ist schwer, einen Podcast aufrechtzuerhalten. Es ist schwer, Geld mit einem Podcast zu machen. Das ist nicht anders als für andere offene Medien, beispielsweise für Musiker, Filmemacher und Schriftsteller. Commitment, unternehmerisches Können und die Bereitschaft, eigene Schritte zu setzten, um seine Arbeit zu vermarkten – das alles ist auch die Wirklichkeit für unabhängige Podcaster. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, durch die du Geld machen kannst. Radio Public bietet jetzt zum Beispiel ein Programm namens Paid Listens an. Jeder Aufruf des Podcasts wird von uns bezahlt – sogar wenn du nur einen hattest. Die Größenordnung der Bezahlung beträgt 20 US-Dollar pro tausend Aufrufe. Ich glaube, Crowdfunding, beispielsweise über Patreon und Kickstarter, kann auch vielversprechend sein. Selbst eine kleine Gruppe an Fans, so hundert Leute, die deine Arbeit lieben und bereit sind, dafür fünf, zehn oder zwanzig Dollar zu zahlen, können schon für relevante Einkünfte sorgen. Es ist schwieriger, sich am Anfang mit Werbung zu finanzieren, weil man dafür ein größeres Publikum braucht. Aber wir sehen immer mehr Finanzierungsmöglichkeiten durch Werbung und Crowdfunding und Abofunktionen, die schön langsam jedem und jeder helfen, die ihren Podcast ernsthaft angehen will.

Frage: Radio Public gibt die Möglichkeit, Podcasts mit Spenden zu unterstützen. Wie viele User nutzen diese Möglichkeit, und wie groß ist der Anteil im Vergleich zur Finanzierung durch Werbung?

Shapiro: Ja, wir haben ein neues Feature namens Tipping. Es gibt den Zuhörern die Möglichkeit, direkt Geld zu spenden. Optional kann man auch einen Prozentsatz davon an Radio Public abgeben, um die Transaktionskosten abzudecken. Momentan hat diese Funktion noch wenig Bedeutung. Es kommt auf den Podcaster und seiner Beziehung zu den Zuhörern an, wie viel das genutzt wird. Und ob sie auch aktiv dazu aufrufen, sie so zu unterstützen. Ich denke, das kann schon wesentliche Einkünfte bringen. Unser Ziel ist es jedoch, eine Plattform bereitzustellen, die Podcastern die Wahl gibt, wie sie ihr Geschäftsmodell verwalten möchten. Ob sie mehr werbefinanziert sein wollen oder Fanfinanzierung, Exklusiv- und Bonus-Angebote und Abonnements anbieten möchten. Die Idee ist, die Finanzierung zu erleichtern, ohne ein einzelnes Modell für alle Podcaster und Hörer zu erzwingen. Wir glauben, dass Podcasting hinsichtlich der Geschäftsziele und Zielgruppenverwaltung zu vielfältig für nur eine Lösung ist.

Frage: Wie stellst du dir die Zukunft von Podcasting vor?

Shapiro: Ich bin sehr optimistisch, dass wir uns noch in den Anfängen befinden, ein gesundes Ökosystem digitaler Medien rund um Podcasting aufzubauen, in dem die journalistische Qualität und die des Geschichtenerzählens und die Vielfalt der Macher dazu führt, dass wir zum ersten Mal eine Chance haben, dass sowohl das Geschäftsmodell als auch die Qualität und das Handwerk hochgehalten werden und nachhaltig sind. Ein Ökosystem, in dem Podcasts nicht mehr hauptsächlich durch Werbung oder Plattformen betrieben werden. Das ist meine optimistische Einstellung. Ich denke, es könnte auch dazu kommen, dass Podcasts dem gleichen Muster wie Videos folgen. Hier sehen wir eine Reihe von Abo-Großanbietern wie Netflix, Hulu und Amazon Prime. Ähnlich könnte es für Podcasting zukünftig sein. Ich glaube aber, wir werden eher ein gemischtes Modell haben, bei dem das meiste weiterhin auf großen Plattformen offen und frei zugänglich sein wird, aber neue Plattformen wie Luminary bezahlte Abonnements für bestimmte Arten von Genres oder Premiuminhalte anbieten. Das ist sinnvoll, da für einige davon größere Investitionen erforderlich sind, als ein von der Werbung unterstütztes Modell tragen kann. Wir sind auf jeden Fall vom weltweiten Wachstum begeistert. Die USA mögen in der Podcast-Industrie weiter sein, aber ich denke, da es über das Auto, Kopfhörer und andere Technologien immer mehr Möglichkeiten gibt, auf digitales Audio zuzugreifen, wird es bald überall groß sein. Wenn Podcasting kreativ, offen und vielfältig bleibt, kann es für viele Jahre ein echter Motor sein. (Emilia Garbsch, 5.4.2019)