Idylle kann trist sein. Besonders an einem nasskalten, grauen Wintertag in Klein-Neusiedl unweit des Flughafens Schwechat. Biegt man auf der Höhe des kleinen Adeg-Geschäfts links ab, begegnet man steinernen, schlafenden Löwen.

Ein paar Meter weiter wachen zerbröckelnde Sphingen. Ihre Häupter tragen Frisuren aus Efeu. Auch die beeindruckenden Gebäude hinter dem Empfangskomitee waren schon besser in Form, zum Beispiel als hier das Papier für die k. u. k. Notenbank gedruckt wurde.

"Ein Stück aus der Möbelserie "Chandigarh". Diese wurde vom Architekturbüro "Mostlikely" konzipiert. Sie entsteht in der Werkstatt von "Nut und Feder".
Foto: Tina Herzl

Nach zwei, drei Kurven, vorbei am ehemaligen Werkskanal, ist ein Baumhaus zu sehen, besser gesagt sein trauriges Gerippe. Wann mag die letzte Kinderbande dort hinaufgeklettert sein, fragt man sich am Eingang zu jener Halle, in der die Werkstätten von Nut & Feder untergebracht sind.

Hier werden von Geflüchteten auf gut 350 Quadratmeter Möbel aus heimischen Materialien gefertigt, Kleinere nach modernen Entwürfen von Designbüros wie Mostlikely oder Pøl oder auch größere für die Stadt- oder Gartenmeublage. Die Stücke für den Mensagarten der FH Campus Wien entstanden zum Beispiel bei Nut & Feder – auch die Objekte für verschiedene temporäre, sogenannte Grätzeloasen und die Dachterrassen-Möbellandschaft von T-Mobile.

Je nach Auftragslage sägen, hämmern und bohren unter diesem Dach bis zu 15 Menschen aus Syrien, Tschetschenien, Westafrika und anderswo. Sie heißen Soleiman, Bernd, Ugochukwu oder auch René.

Niemand von der Nut-&-Feder-Crew bemerkt es, wenn man den Raum mit den großen, eisernen Kastenfenstern betritt. Eine Maschine, die Kanten von Holztüren abrundet, klingt wie der Bohrer eines Zahnarztes zum Quadrat. Der Mann, der sie bedient, trägt grasgrüne Kopfhörer, die gut zu den roten Schraubzwingen passen – und zum Braun der Häufchen aus Sägespänen.

Paradies für Pumuckl

Ein Paradies für Pumuckl. Doch der lässt sich nicht blicken. Es wäre ihm hier ohnehin zu kalt. An seiner statt warten Bernd Huterer und Jack Drinkwater. Sie sind sogenannte Arbeitsanleiter, Tischler, die den Geflüchteten auf die Finger schauen und darauf, dass diese auch dranbleiben. "Manch einer von ihnen hatte noch nie einen Akkuschrauber" in der Hand, erzählt Huterer, nachdem er die Maschine abgestellt hat, um in einem Raum weiter eine Schraube zu suchen.

Möbel aus der Serie "Chandigarh".
Foto: Tina Herzl

Dort werkelt Abderazek Daikhi, ein 34-jähriger Algerier, der im Jahre 2000 seine Heimat verlassen hat. Bevor er in Österreich landete, brachte ihn seine Flucht in die USA, nach Russland, Griechenland und in einige Länder mehr. Liebevoll poliert er eine ganze Menge Schranktüren, tunkt immer wieder einen blauen Lappen in eine große Dose Möbelöl.

Die Türen sind für Kästen in einer Waldorfschule in Wien bestimmt. Zuvor arbeitete Daikhi als Gärtner, Erntehelfer, auch in einem Tierheim fand er Beschäftigung. Nachdem ihn ein Gehirntumor für ein halbes Jahr aus der Bahn warf, kam er über Bekannte zu Nut & Feder, die früher in der Wiener "Creau" untergebracht waren.

"Ein Jahr bin ich jetzt dabei", erzählt er. "Hier ist es super. Wissen Sie, ich fühle mich frei. Wirklich frei. Keiner schafft mir etwas auf ungute Weise an, und ich lerne jeden Tag dazu. Ich bin sehr dankbar für diese Chance."

Auch Huterer, der immer noch in einer Lade voller Schrauben herumstierlt, schätzt die Vielfältigkeit des Jobs. "Wir fertigen gutdesignte Möbel und leisten auch Zimmermannsarbeit. Darüber hinaus zeigt das Ganze auch einen politischen und sozialen Aspekt auf. Die Essenz ist der integrative Gedanke. Wir arbeiten gegen das Abstumpfen von Menschen, die keine Beschäftigung haben. Ein Dach über dem Kopf und Grundversorgung sind zu wenig. Das Projekt bedeutet Psychohygiene für alle Beteiligten", erzählt der wuchtige Mann und schnaubt. Wahrscheinlich deshalb, weil er noch immer nicht die passende Schraube gefunden hat.

Wischiwaschi

Ob es auch Bröseln gebe? "Natürlich", sagt der Handwerker. "Man muss teamfähig sein. Das kennen manche nicht, weil sie nie die Gelegenheit hatten, es zu lernen." Also wird auch mal auf den Tisch gehaut? "Ja, aber mit Respekt. Ich halte nichts von der Wischiwaschi-Willkommenskultur und dem 'Armen-Hascherl-Image' von Flüchtlingen. Es geht um klare Aussagen. Und darum, diesen Menschen eine Möglichkeit zu geben, aus ihrer Lethargie auszubrechen."

Abderazek Daikhi, Lamin Danso und Bernd Huterer (v. li.) bei der Arbeit.
Foto: Daniel Kovacs

Christian Penz, Geschäftsführer von Nut & Feder und früher unter anderem bei Ute Bock beschäftigt, bringt es auf den Punkt: "Uns geht es um nachhaltige Integration für Geflüchtete am Arbeitsplatz. Ziel ist es, ein unabhängiges Social Business am Arbeitsmarkt zu werden."

Seine Schützlinge kommen über die Caritas, Freunde, Sozialarbeiter, den Flüchtlingsverein Ute Bock etc. Gearbeitet wird zudem mit Designern und Architekten. Mittlerweile sind 80 bis 90 Prozent der Kunden Unternehmen", sagt Penz, der neben den erwähnten Arbeitsanleitern auch auf die Mithilfe zweier ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und einer Grafikagentur zählen darf.

Als Initialzündung für sein ambitioniertes Projekt bezeichnet Penz das Berliner Projekt Cucula, das wie Nut & Feder Geflüchtete im Rahmen von Handwerksprogrammen unterstützt. "Ich dachte mir, wenn das in Berlin geht, funktioniert es bei uns auch."

Ausgezeichnet

Dass sich Nut & Feder nicht nur auf einem guten, sondern auf dem richtigen Weg befindet, zeigte vor kurzem der Gewinn des Next Award, eines Preises für Social Business, der von der Bank Austria finanziert und von der Wirtschaftsuniversität Wien organisiert wird.

Und wie geht es weiter? "Zurzeit sind wir auf der Suche nach einem neuen Quartier. Es ist einfach umständlich, hierher nach Klein-Neusiedl zu kommen. Vor allem für unsere Mitarbeiter.

Die Möbel verweisen auf Entwürfe von Le Corbusier und Pierre Jeanneret für die indische Stadt Chandigarh.
Foto: Tina Herzl

Auch deshalb wurde ein Crowdfunding (Infos unter www.raumpioniere.at) initiiert. Bis zum 21. Dezember gibt es im Rahmen dieser Aktion die Möglichkeit, Nut & Feder zu unterstützen. "Wobei wir uns nicht nur über Geld oder Sachspenden, sondern auch über Wissen und Ideen freuen würden", sagt Penz, während Abderazek Daikhi noch immer Kastentüren poliert.

Es scheinen ziemlich viele Schränke zu sein. Huterer ist verschwunden, er dürfte seine Schraube gefunden haben. Zum Abschied sagt Daikhi "Arrivederci" und streckt einem seinen Ellenbogen entgegen, denn seine Hände sind voller Öl. Eines möchte er noch loswerden, sagt er. Das wäre? "Der Job hier ist nicht wie arbeiten, er ist eher wie spielen. Es macht Freude." Arrivederci. (Michael Hausenblas, RONDO, 15.12.2018)