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Die Festplattenabgabe erhitzte jahrelang die Gemüter.

Foto: Reuters/Diefenbach

Das Kabel durchschneiden: In den USA sind diese Worte zum Schlachtruf gegen überhöhte Tarife für Fernsehpakete geworden. Tatsächlich sind die Preise für US-Kabelfernsehen nicht mit Österreich zu vergleichen: Durchschnittlich zahlen US-Haushalte mit TV über 100 Dollar pro Monat, um Kabelfernsehen abzurufen. In Österreich kostet Kabelfernsehen meist um die 25 Euro – ohne Zusatzpakete; dazu kommen je nach Bundesland GIS-Gebühren von 20 bis 26 Euro. Dennoch: Auch 50 Euro sind ein stolzer Preis. Vor allem, wenn man das Produkt kaum nutzt.

Ist es in Österreich möglich, seine "Fernseh"-Gewohnheiten beizubehalten, ohne Kabelfernsehen zu nutzen oder illegale Inhalte abzurufen? Diese Frage ist die Ausgangsbasis für diesen Selbsttest. Mein Setup war bislang: Ein nicht wirklich smarter Fernseher mit zwei HDMI-Eingängen, wobei einer für UPC-Box, der andere für eine PlayStation 4 verwendet wurde. Am Tag der Kündigung meines Fernsehvertrages wurde die UPC-Box durch Googles Chromecast ersetzt, wobei hier auch Alternativen wie Amazons Fire TV oder Apple TV infrage gekommen wären.

Einfaches Set-up

Das Set-up der smarten TV-Sticks oder Boxen geht einfach. Beim Chromecast können Inhalte etwa auf dem Smartphone ausgewählt und dann an den Fernseher oder Monitor "gecastet" werden. Das unterstützen die wichtigsten Streaming-Anbieter und Mediatheken, etwa der ORF, Netflix, Sky, ZDF, ARD, Arte oder Dazn. Amazon liegt hingegen mit dem Chromecast im Clinch: Auf Amazon kann Googles TV-Stick nicht bestellt werden, weil Amazon seine eigene Hardware pushen will – und auch Amazon Video ist nur über Tricks abrufbar.

Der Chromecast vernetzt nicht so smarte Fernseher problemlos.
Foto: Standard/Apo

Netflix, Sky und Co

Wer bereits trotz Fernsehvertrag überwiegend streamt, wird in seinem Nutzungsverhalten keine großen Unterschiede merken. Ich habe in den vergangenen Wochen etwa überwiegend Sky Ticket ("Game of Thrones", "Silicon Valley", "Westworld", "The Deuce") und Netflix ("Orange is the New Black", "The Confession Tapes") abgerufen. Das geht mittels Chromecast problemlos, auch wenn es möglicherweise etwas gewöhnungsbedürftig ist, das Smartphone zur Fernbedienung zu machen. Die iPhone-Apps der beiden Streaming-Dienste sind übersichtlich gestaltet, einzig bei Sky Tickets gibt es ab und zu kleinere Bugs beim "Casten".

Livestreams der Fernsehsender

Bald darauf folgt jedoch der Lackmus-Test des Fernsehpaket-Verzichts: Es stehen zwei der Dinge an, die ich noch live regulär im TV verfolgt habe – einerseits politische Berichterstattung, also Wahlkonfrontation, andererseits Fußballspiele. Es geht nun also darum, live zu streamen statt Inhalte aus einer Mediathek abzurufen. Beides funktioniert in der ORF-TVThek problemlos. Die Spitzenkandidaten werden in hoher Auflösung "gecastet", Ruckler oder andere Verzögerungen gibt es nicht. Mit meinen Interessen bin ich kein Sonderfall, wie mir ORF-Onlinechef Thomas Prantner erklärt: "Ganz besonders hoch ist die Livestream-Nutzung bei großen politischen Ereignissen, TV-Events wie Eurovision Song Contest oder Dancing Stars und bei Sportevents." Die Top-3-Livestreams waren beim ORF etwa die EM-Spiele des österreichischen Frauenteams.

Streaming-Dienste wie Sky Ticket machen einen Großteil meines Fernsehkonsums aus.
Foto: Sky Ticket

Geoblocking beim ZDF

Doch während der ORF hier punktet, lassen mich ausländische Sender im Stich. Als ich vom eher faden Champions-League-Match RB Leipzig gegen Monaco im ORF zum laut sozialen Medien ungleich spannenderen Tottenham gegen Dortmund wechseln will, blockiert mich die ZDF Mediathek. Livestreams sind dort aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Das gilt nicht nur für Fußball, sondern für nahezu alle Inhalte. Diese können nun im Nachhinein abgerufen werden. Das ZDF reagierte auf Nachfragen dazu vorerst nicht.

Am nächsten Tag streikt jedoch auch Puls 4, das das Europe League-Spiel Austria Wien gegen AC Milan überträgt. Ein mobiler Stream ist "aus rechtlichen Gründen" nicht möglich, man solle doch auf Spox.com wechseln, heißt es in der App. Die hat aber wiederum Probleme, gecastet zu werden. Bis ich den Laptop aufgebaut habe, um dort über Browser und HDMI-Verbindung auf den Fernseher zu streamen, hat Mailand schon drei Tore geschossen. Angenehmer Fernsehgenuss sieht anders aus. Puls 4 erklärt, dass momentan eine "Zusammenarbeit mit dem Sportportal Sportnet.at besteht", ab 2018/19 wird der Livestream auf Puls4.com funktionieren.

Fülle an Mediatheken

Nach einigen Tagen stelle ich fest, dass sich mein Konsum von Inhalten traditioneller Fernsehsender durch den Verzicht auf klassisches TV kurioserweise erhöht hat. Vor dem Kauf des smarten TV-Sticks konnte ich über die UPC-Box zwar ORF und ATV demanden, das war allerdings äußerst mühsam. Für die PS4 gibt es keine Apps der TV-Sender. Am Smartphone ist hingegen jeder große Sender vertreten. So entdecke ich auf Arte etwa jene Doku über den Vietnam-Krieg, die in den USA momentan für Furore sorgt. Auch andere Mediatheken, etwa ARD, ZDF oder die Zappn-App, die Puls 4, Pro7 und ATV zusammenfasst, kommen regelmäßig zum Einsatz.

"Zappn ist Österreichs erstes kostenfreies Livestream und Video on Demand-Produkt", sagt Markus Bacher, Geschäftsleitung Digital und Distribution bei ProSiebenSat1Puls4. Die App sei so konzipiert, dass jederzeit andere Sender aufgenommen werden können. Dabei stehe eine "Einladung an alle Programmveranstalter" aufrecht.

Eine weitere Beobachtung: Die Nutzung von YouTube steigt stark an. Dort können etwa viele Inhalte von US Late Night Shows abgerufen werden, beispielsweise Clips der Sendungen von Stephen Colbert, Samantha Bee, Jimmy Fallon oder John Oliver.

53 Millionen Minuten in der ORF TVthek

In der ORF-TVthek sorge ich im August für ein gutes Dutzend der 1,986 Millionen Nettoviews beim Live-Streaming. Insgesamt verbrachten Nutzer dort mit Livestreams über 53 Millionen Minuten. "Die mobile Nutzung der Videos, die der ORF online anbietet, ist inzwischen sehr hoch", sagt Prantner. Sie soll bei rund 40 Prozent der Views aller Endgeräte liegen. Das sorgt natürlich auch dafür, dass laufend die Bandbreite erhöht werden muss. Beim Super G in Kitzbühel wurden laut Prantner etwa 60.000 gleichzeitige User gemessen das führte zu einer maximalen Bandbreite von 90 Gbit/s.

ORF-Onlinechef Thomas Prantner präsentierte 2009 die ORF-TVthek.
Foto: ORF/Leitner

Eigene Formate

Auch wenn die Preise für Kabelfernsehen im Vergleich zu anderen Ländern noch moderat sind, wird die Zahl der rein streamenden Nutzer künftig zunehmen. Die BBC entwickelt etwa bereits eigene Inhalte für ihre iPlayer-Mediathek. Dem ORF ist das laut ORF-Gesetz noch verboten, dort setzt man etwa auf Langfassungen von Interviews. Eine drängende Frage wird dann wohl auch die Ausweitung der GIS-Gebühren sein. Momentan wird reines Streaming nicht erfasst, wer also über einen Monitor schaut, der nicht TV-fähig ist, muss dafür keine Gebühren entrichten. Das möchte ORF-Chef Alexander Wrabetz allerdings ändern.

Mein persönliches Fazit nach drei Wochen ohne Kabelfernsehen: Ich denke nicht, dass ich je wieder einen Kabelfernseh-Vertrag abschließen werde. Streaming ist eindeutig die Zukunft, und mittlerweile sind dafür auch genügend Kapazitäten vorhanden. Waren etwa Fußballspiele vor ein, zwei Jahren noch ein digitaler Graus, funktionieren Dazn (wo nächstes Jahr die Champions League läuft), Sky Sport oder ORF-Livestreams mittlerweile hervorragend. Wie es nicht geht, zeigt hingegen Eurosport vor – der Weg zu einem umfassend feinen Streaming ist also noch steinig, aber machbar. Wer ein paar Mühen in Kauf nimmt, sollte sich den kompletten Umstieg auf Streaming jedenfalls überlegen. (Fabian Schmid, 25.9.2017)