In der peruanischen Hauptstadt Lima gingen letzten Samstag über 50.000 Menschen auf die Straßen, um gegen die anhaltende Gewalt gegen Frauen und die Straflosigkeit der Täter zu protestieren. Im vergangenen Jahr registrierten die peruanischen Behörden 95 Frauenmorde, heuer sind es bereits 54 sowie 118 Mordversuche. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, da Frauenmorde oft als Suizid oder andere Gewaltverbrechen vertuscht oder gar nicht erst angezeigt werden.

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Rund 50.000 Menschen demonstrierten in der peruanischen Hauptstadt Lima gegen Gewalt an Frauen.
Foto: REUTERS/GUADALUPE PARDO

"Ni una menos"

Chile, Uruguay, Kolumbien, Brasilien: Seit vergangenem Sommer gibt es immer wieder Massendemonstrationen in lateinamerikanischen Ländern. Unter dem Motto "Ni una menos" (Nicht eine weniger) protestieren die Menschen gegen die Gewalt. Den größten Protest gab es bis dato im Juni 2015 mit etwa 300.000 TeilnehmerInnen in Argentinien.

Brutale Fälle von Gewalt gegen Frauen schockten damals die argentinische Öffentlichkeit: Ein Mann schnitt seiner Exfrau vor den Augen ihrer Kinder die Kehle durch, eine Frau wurde von ihrem Exfreund am helllichten Tag auf der Terrasse eines Cafés ermordet, eine schwangere 14-Jährige wurde von ihrem zwei Jahre älteren Expartner totgeschlagen und dann mithilfe von Angehörigen im Garten vergraben.

Auch der argentinische Fußballstar Lionel Messi solidarisierte sich letztes Jahr mit den Protesten in seinem Land.

Tödliche Länder

Eine Studie der Schweizer NGO Small Arms Survey aus dem Jahr 2012 zeigt, dass von den 25 Ländern, in denen weltweit die meisten Frauenmorde begangen werden, 14 lateinamerikanische Staaten sind. Angeführt wird die traurige Statistik vom zentralamerikanischen El Salvador. Warum ist in Lateinamerika mehr als die Hälfte der für Frauen "tödlichsten" Länder?

Neben dem gesellschaftlich stark verwurzelten "machismo" – der Macho-Kultur, in der der Mann dominiert und die Frau als seinen Besitz wahrnimmt – ist auch die organisierte Kriminalität charakteristisch für die Region. "Der Drogenhandel und die dazugehörigen Banden sind ein großes Problem in Lateinamerika", sagt Maria Teresa Medeiros Lichem, die an der Universität Wien zu Literatur und Genderfragen in Lateinamerika lehrt. Die Drogenbanden hätten brutale Rituale, zu denen auch Frauenmorde zählten. Junge Männer müssten sich beweisen, um in einer Bande aufgenommen oder in der Rangfolge höher aufzusteigen.

"Es gibt nun auch mehr Bewusstsein für dieses Thema", erklärt Medeiros Lichem. Frauen wissen jetzt besser über ihre Rechte Bescheid. Soziale Bewegungen und NGOs trugen besonders in den letzten 50 Jahren zur Bewusstseinsbildung bei. "In anderen Regionen ist die Gewalt gegen Frauen sicher auch weit verbreitet, aber vielleicht noch mehr als Dunkelziffer versteckt."

Femizid als Straftatbestand

Von Femizid oder Feminizid wird gesprochen, wenn Männer Frauen aufgrund ihres Geschlechts töten. Meist werden Frauen von ihnen nahestehenden Männern wie Partnern, Exfreunden, Vätern oder Liebhabern getötet. Oft werden sie zuvor brutal misshandelt.

Staaten duldeten in vielen Fällen die Verbrechen. Traurige Berühmtheit erlangten in den 1990er-Jahren die Frauenmorde in der nordmexikanischen Stadt Ciudad Juárez. Schätzungen zufolge wurden dort 700 Frauen entführt, misshandelt und ermordet. Nach zwanzig Jahren sind die meisten dieser Morde immer noch ungeklärt.

Mehrere lateinamerikanische Länder – darunter Argentinien, Bolivien, Brasilien, Nicaragua und Peru – haben mittlerweile Femizid gesetzlich als eigenen Straftatbestand eingeführt. In Argentinien wird Mord mit zwölf bis 25 Jahren Gefängnis bestraft, der Tatbestand Frauenmord wird mit lebenslanger Haft geahndet.

Wenn höhere Strafen für Morde an Frauen zur Diskussion stehen, melden sich auch schnell die KritikerInnen. Medeiros Lichem entgegnet: "Das Leben einer Frau ist natürlich nicht mehr wert als das eines Mannes. Aber das große Problem der weit verbreiteten Gewalt gegen Frauen wurde so lange ignoriert, dass nun diese Gesetze mit Abschreckungswirkung notwendig sind."

Hohe Straflosigkeit

Ein großes Problem – trotz der bestehenden Gesetze – ist die immer noch weit verbreitete Straflosigkeit. In Bolivien veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft Anfang Juli 2016 entsprechende Zahlen: Nur zwei von zehn Femizid-Prozessen enden mit einer Verurteilung. Es gibt "freundschaftliche" außergerichtliche Einigungen. Die Prozesse werden hinausgezögert. Viele Opfer kommen aus armen Familien. Ihre Angehörigen können sich die Prozesskosten nicht leisten und müssen so nach einer Zeit aufgeben.

Der Mord an Frauen ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Damit verbunden sind häusliche Gewalt und allgemein strukturelle Gewalt gegen Frauen. "Es ist kein Wunder, dass 'machismo' ein spanisches Wort ist", sagte die kolumbianische Frauenrechtlerin Catalina Ruiz-Navarro in einem Al Jaazeera-Interview. "Wir LateinamerikanerInnen gelten als heißblütig." So werde es als normal angesehen, dass der Mann die Frau zum Beispiel aus Eifersucht töte, weil er sie eben so leidenschaftlich liebt. Auch die Medien würden dazu beitragen, wenn sie zum Beispiel "Liebesmord aus Eifersucht" titulieren und den Totschlag als großes Liebesdrama inszenieren.

Keine mutigen Machos

"Wir müssen aufhören, den Macho-Mut zu glorifizieren", meint auch Maria Teresa Medeiros Lichem. Schon von klein auf werde den jungen Buben gesagt, sie dürften nicht weinen. Im Kindergarten bekommen sie Plastikpistolen in die Hand gedrückt. "Es muss gezeigt werden, dass es feig ist, einer Frau Gewalt anzutun", sagt die gebürtige Bolivianerin. Denn das sei in den betroffenen Gesellschaften für Männer oft das Schlimmste: wenn ihnen gesagt wird, dass sie feig sind. (Milena Österreicher, 19.8.2016)