Exit-Gründerin Adesuwa Reiterer: "Bevor wir angefangen haben, war Menschenhandel überhaupt kein Thema in der Öffentlichkeit, vor allem nicht Menschenhandel aus Nigeria. Er wurde ignoriert."

Foto: Joadre

Nach zehn Jahren NGO-Arbeit zieht sie Bilanz: "Das Thema wird jetzt ernster genommen. Polizei und Innenministerium haben sich sehr engagiert."

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2015 gründete Joana Adesuwa Reiterer das Unternehmen Joadre. Näherinnen produzieren in Nigeria für einen fairen Lohn afrikanische Mode.

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Eben von einer Nigeria-Reise zurück, mitten in der Büroumsiedelung, und die "Afrika-Tage" auf der Donauinsel rücken näher: Joana Adesuwa Reiterer scheint das Chaos gelassen zu nehmen. Die Gründerin des Vereins Exit ist es gewohnt, viel um die Ohren zu haben. Der 30. Juli ist der Internationale Tag gegen Menschenhandel, und Joana Adesuwa Reiterer engagiert sich seit vielen Jahren im Kampf gegen die Ausbeutung von Menschen. Mit ihrer Organisation Exit betreut sie Frauen, die aus Afrika nach Europa kamen und sexuell ausgebeutet werden.

Von Lagos nach Wien

Adesuwa Reiterer wird in Nigeria geboren. 2003 kommt sie mit ihrem Ehemann nach Österreich. Im neuen Land merkt sie schnell, dass ihr Mann mit Menschen handelt und Frauen nach Österreich lockt. "Die ersten beiden Jahre in Österreich waren sehr schwierig für mich", erzählt sie. Adesuwa Reiterer trennt sich von ihrem Mann und versucht, selbst Fuß zu fassen. Zunächst arbeitet sie als Stubenmädchen. In dem Land, in dem sie noch niemanden kennt, versucht sie sich ein Netzwerk aufzubauen. Die Sprache lernt sie schnell.

Vor zehn Jahren dann, im Jahr 2006, gründete sie den Verein Exit. "Bevor wir angefangen haben, war Menschenhandel überhaupt kein Thema in der Öffentlichkeit, vor allem nicht Menschenhandel aus Nigeria. Er wurde ignoriert." Bislang konnte Exit an die 260 Frauen beraten und betreuen.

Fehlender Schutz

Nach zehn Jahren Arbeit zieht die NGO-Gründerin Bilanz: "Das Thema wird jetzt ernster genommen. Polizei und Innenministerium haben sich sehr engagiert." An den konkreten Hilfsmöglichkeiten für Frauen habe sich aber nicht viel geändert. Sie haben Angst, nicht gleich geschützt zu werden. Viele melden sich daher nicht und zeigen auch ihre MenschenhändlerInnen nicht an. Bei einer Klientin habe es sechs Jahre gedauert, bis sie erst kürzlich ihren Aufenthaltstitel bekam, erzählt Adesuwa Reiterer. Die Wartezeit und die damit verbundene Unsicherheit schreckt viele der Betroffenen ab.

Bis heute führt Adesuwa Reiterer die Erstgespräche selbst. Eigentlich wolle sie das gar nicht mehr unbedingt, doch: "Die Frauen, die zu uns kommen, denken von mir: 'Ich bin schwarz, ich komme aus Nigeria, ich verstehe sie besser.' Dabei habe ich Kolleginnen, die sensibler sind als ich."

Viele Täterinnen

Es sei aber wichtig, dass zuerst sie die Gespräche führe. Denn es gab bereits Fälle, bei denen Täterinnen selbst zur NGO kamen. Auch sie erhofften sich Aufenthaltstitel: "Ich bemerke Lügengeschichten aber sehr schnell. Erstens komme ich selbst aus Nigeria und kenne mich aus. Zweitens arbeiten wir auch mit vielen lokalen Organisationen dort zusammen und können Angaben überprüfen", sagt die Menschenrechtsaktivistin.

Die meisten TäterInnen sind laut Adesuwa Reiterer Frauen. Es gebe zwar auch viele Männer, die aktiv Menschenhandel betreiben oder die Frauen bei der Arbeit überwachen. Aber sehr oft sind es Frauen, die selbst Opfer von Menschenhandel wurden, die dann andere Frauen zur Prostitution oder zum Drogenhandel schicken. Die sogenannten Madames haben meist selbst jahrelang als Prostituierte gearbeitet. Sie sprechen weder die Sprache des Gastlandes noch verfügen sie über eine Ausbildung. "Sie sparen Geld, geben das einem Schlepper, der wiederum eine Frau für sie holt", beschreibt sie die Lage.

Faire Mode aus Nigeria

Um Ursachen von Menschenhandel wie die Armut in vielen Ländern zu bekämpfen, gründete die heute 35-Jährige im Jahr 2015 das Unternehmen Joadre – Näherinnen produzieren in diesem in Nigeria afrikanische für einen fairen Lohn. Verkauft werden die Taschen und Kleider über den Onlineshop und in ein paar Geschäften österreichweit. In den kommenden Monaten werden weitere Produkte die bisherige Modelinie ergänzen.

"Jo-ad-re" – das sind jeweils die ersten zwei Buchstaben der Namen der Unternehmerin. "Und es klingt so auch Französisch", lacht Adesuwa Reiterer. Aber eigentlich soll der Name für die Vereinigung verschiedener Kulturen stehen: Joana für das englische Kolonialerbe Nigerias, Adesuwa als afrikanischer Name, abgerundet mit dem waldviertlerischen Reiterer.

Feministin: Jein

Die zweifache Mutter fragt sich manchmal selbst, warum sie immer noch in diesem oft belastenden Bereich weiterkämpft. "Ich bin stur", sagt sie. "Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann ziehe ich das durch."

Ob sie sich selbst als Feministin sieht? Schwierig, sagt sie, Feminismus sei mittlerweile ein Wort mit verschiedenen Definitionen. Es gebe die Richtung, in der frau sich nicht schminke, keine Stöckelschuhe trage und kein Dekolleté zeige. "Ich bin nicht ganz von dieser Sorte", schmunzelt sie. "Mir sind auf jeden Fall die Menschen und ihre Rechte wichtig. Egal ob Frauen oder Männer – ich will, dass alle die gleichen Rechte haben." (Milena Österreicher, 30.7.2016)