Alvis Hermanis verteidigt sein Recht auf freie Meinungsäußerung: "Ich habe verstanden, dass in Deutschland automatisch jeder Künstler links ist. Sorry, ich nicht."

Foto: SF/Anne Zeuner

STANDARD: Bei Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten" ließen Sie echte Pferde aufmarschieren. Nun stehen Elefanten im Bühnenmodell. Gibt es bei der "Liebe der Danae" heuer echte Elefanten?

Hermanis: Nein, aber sie werden echt aussehen. Am Ende wird allerdings ein echter Esel auftreten. Manchmal pissen und scheißen Esel – ich hoffe, unserer macht es, wenn, dann musikalisch (lacht). Ich liebe die Musik, sie ist eine Art legale Droge, legales LSD. Wenn Franz Welser-Möst dirigiert, wird das ein ganz starkes LSD.

STANDARD: Und wie inszenieren Sie dieses starke LSD?

Hermanis: Die griechischen Götter besuchen Syrien, deshalb spielt die Oper in einem orientalischen Setting mit farbenprächtigen Kostümen. Für mich war von Anfang an klar, dass das Stück zur Jugendstilästhetik und -mentalität gehört, wo orientalisch-dekorative Ästhetik und Folklore auf die Moderne trifft.

STANDARD: Die Oper hätte 1944 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt werden sollen, aber wegen des Hitler-Attentats wurde die Premiere abgesagt. Nur eine öffentliche Generalprobe war erlaubt ...

Hermanis: ... und Strauss sagte damals den berühmten Satz: "Vielleicht sehen wir uns in einer bessren Welt wieder." Der Entstehungskontext ist der Zweite Weltkrieg, doch Danae hat nichts mit dieser Realität zu tun. Ganz offensichtlich wollte Strauss der Wirklichkeit entfliehen. Und das ist auch meine Intention: Es gibt kein politisches oder gesellschaftliches Statement, nicht einmal ein Psychodrama. Wir versuchen nur, ein visuell und musikalisch schönes Märchen zu erzählen.

STANDARD: Kunst als Rückzugsort, als Fluchtpunkt?

Hermanis: Exakt. L'art pour l'art! Ich bin ein altmodischer Künstler, Kunst ist für mich in erster Linie Schönheit und Poesie. In der europäischen Tradition schufen Künstler über Jahrhunderte hinweg Fantasiewelten. Das Konzept, dass Kunst von Politik handeln muss, entstand erst im 20. Jahrhundert. Ich glaube übrigens, dass sich Strauss mit Jupiter identifizierte, dem Gott, der die Menschen nicht wirklich verstand, nicht wusste, wie er sie behandeln sollte. Ein trauriger Gott. Ich glaube, so fühlte sich Strauss.

STANDARD: Wenn Sie "Gott" durch "Politiker" ersetzen, ist es dann nicht doch ein aktuelles, sehr politisches Stück?

Hermanis: Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass politische Ideologen ziemlich verwirrt sind. Links, rechts: Die Gesellschaft nach diesen Kategorien einzuteilen, macht längst keinen Sinn mehr. Die Arbeiterklasse wählt in vielen Ländern linke Parteien ab; die Vorstellungen und Klischees, die Politiker von der Gesellschaft haben, stimmen nicht mehr. Insofern kann man Politiker tatsächlich mit den Göttern vergleichen, die nicht imstande waren, die einfachen Menschen zu verstehen.

STANDARD: Im Herbst legten Sie eine Regiearbeit am Hamburger Thalia-Theater nieder, weil Sie dessen Haltung in der Flüchtlingsfrage missbilligten. Wie sehen Sie diesen Schritt aus heutiger Sicht?

Hermanis: Ich wollte nicht als Teil eines Theaters wahrgenommen werden, das sich als Refugees-Welcome-Center positioniert. Ich zahlte 10.000 Euro aus meiner Tasche, um angefallene Produktionskosten abzudecken, schrieb dem Intendanten mehrere Mails und bat, mich aus privaten Gründen aus der Produktion zu entlassen. Ich wollte diesen Rückzug nie öffentlich machen. Aber eine, sagen wir, moralisch verkrüppelte Person denunzierte mich, indem sie aus den privaten E-Mails Sätze aus dem Zusammenhang riss, daraus einen Brief bastelte und damit an die Öffentlichkeit ging. Und die deutschen Zeitungen warfen die Propagandamaschinerie an.

STANDARD: Überraschte Sie der daraufhin einsetzende Shitstorm?

Hermanis: Ja und nein. Es war eigentlich ein Déjà-vu. Die schmutzigen Tricks kenne ich aus der Sowjetunion, wo ich einen Teil meines Lebens unter kommunistischer Herrschaft gelebt habe. Auch da durften nur die Künstler arbeiten, die der offiziellen Mainstream-Ideologie entsprachen. Die anderen wurden wegen ihrer politischen Haltung diskriminiert und disqualifiziert. Ich habe verstanden, dass in Deutschland jeder Künstler automatisch links ist. Sorry, ich nicht.

STANDARD: Was sind Sie: rechts?

Hermanis: Ich bin konservativ – und stolz darauf. Ich will meine politische Meinung nicht diskutieren, aber ich lehne es ab, dass Künstler nach ihrer politischen Haltung beurteilt werden. Steuerzahler, die mit ihren Steuern Theater und Opernhäuser erhalten, kommen aus allen politischen Lagern, also sollte man das auch für Künstler akzeptieren, die an diesen Institutionen arbeiten. Ich möchte die Salzburger Festspiele nicht als Plattform für politische Grundsatzerklärungen missbrauchen, sondern nur mein Recht verteidigen, vom offiziellen linken Mainstream abzuweichen.

STANDARD: Sie haben auch aus Protest gegen die russische Okkupation der Krim eine Inszenierung in Moskau abgesagt.

Hermanis: Ich veranstalte keine Pressekonferenzen, um wegen meiner politischen Freakness berühmt zu werden. Die Inszenierung in Moskau sagte ich ab, weil mich die Okkupation daran erinnerte, wie die Sowjets 1940 die baltischen Staaten besetzten. Und ich sagte am Thalia-Theater ab, weil ich bei dem Welcome-Getue nicht mitmachen wollte. Es scheint, dass nicht mitzumachen bereits ein großes Verbrechen ist.

STANDARD: Gab es nach Ihrer Absage am Thalia-Theater auch Solidaritätsbekundungen von Künstlerkollegen?

Hermanis: Ich bekam viele zustimmende E-Mails von deutschen Künstlern, auch solchen vom Thalia-Theater. Aber sie wollten sich alle nicht öffentlich äußern, um keine beruflichen Nachteile zu haben. Ich glaube allerdings, dass die deutschen Theater größere Probleme haben, als Hermanis zu bekämpfen. Was mit der Volksbühne passiert, ist eine Tragödie. Ebenso wenig, wie die Deutschen imstande sind, ihre Frauen auf den Straßen zu beschützen, sind sie imstande, ihr kulturelles Erbe zu bewahren.

STANDARD: Klingt ziemlich kulturpessimistisch.

Hermanis: Ich weiß, nur eingelegte Gurken verändern sich nicht. Doch wie sich die Welt derzeit verändert und entwickelt: Das sind tektonische Verschiebungen, die unsere Vorstellungskraft bei weitem übertreffen. Als Vater von sieben Kindern sorge ich mich – wie vermutlich alle Eltern – um Gegenwart und Zukunft. Als junger Künstler will man zertrümmern und dekonstruieren. Wenn man älter und erwachsener wird, will man das wieder zusammenfügen, Ordnung und Harmonie herstellen. Ich sehe, dass Europa ähnliche Herausforderungen hat. In meinem Theater in Riga werde ich demnächst Michel Houellebecqs Roman Die Unterwerfung auf die Bühne bringen. Er gibt eine Ahnung davon, wie sich die Gesellschaft entwickelt.

STANDARD: Wann haben Sie sich dazu entschlossen? Nach dem Eklat in Hamburg?

Hermanis: Nein, sofort nach der Veröffentlichung und lange vor der Flüchtlingskrise. Damals fragte ich mich, ob es überhaupt sinnvoll ist, das Stück in Riga zu machen, denn zu der Zeit hatte kein Lette je einen Flüchtling gesehen. Der Roman handelt übrigens nicht vom Islam, sondern von der westlichen Gesellschaft. Gefahr droht Europa nicht von den Muslimen, sondern von Europa selbst: Die große Bedrohung für westliche Zivilisationen ist die technische Revolution, durch die immer mehr Menschen ihre Jobs verlieren. Es ist offensichtlich, dass Globalisierung und technische Entwicklung nur einer kleinen Elite dienen und nicht der wahlentscheidenden Mehrheit.

STANDARD: In Ihrer "Danae"-Inszenierung wandern die griechischen Götter nach Syrien aus, sind quasi Emigranten. Beeinflussen, bereichern oder beschädigen sie die syrische Kultur?

Hermanis: Diese Thematik der Emigration ist ein unglaublicher Zufall, das Konzept für die Inszenierung entwickelte ich bereits vor zwei Jahren, als es die Flüchtlingsproblematik noch gar nicht gab. Zur Klarstellung: Ich bin nicht gegen politische Flüchtlinge, sondern gegen offene Grenzen. Es gibt vermutlich Milliarden Menschen, die gern in Salzburg oder Wien leben würden. Ich glaube nicht, dass ich radikal bin, die Mehrheit der Europäer denkt wie ich.

STANDARD: Sind Sie ein eskapistischer Künstler?

Hermanis: Ich wäre es gern. Aber es scheint, ich bin diesbezüglich nicht sehr erfolgreich (lacht). (Andrea Schurian, 26.7.2016)