Altbekannt, doch völlig neu in Form gebracht – die preisgekrönte Pinzette und ihr Entwerfer Clemens Auer.

Foto: Leonhard Hilzensauer

Auch über die Leiter hat Clemens Auer viel nachgedacht und ihr eine neue Form verpasst.

Foto: Clemens Auer

Es gibt ruhmreichere Dinge, als mit dem Entwurf einer Pinzette einen Platz in der Designgeschichte zu ergattern. Doch vor diesem Mann gehört der Hut gezogen. Erstens zeigt die Pinzette von Clemens Auer, dass Design wirklich jeden auch noch so haarigen Bereich des Alltags betrifft. Zweitens hat er es mit seiner Pinzette geschafft, einen über Jahrzehnte und länger gängigen Archetyp neu zu denken und zu erschaffen. Und drittens ist das runde Ding wirklich schräg, im besten Sinne.

Das weiß auch die Lifestyle-Obergazette "Wallpaper", die den 1982 in Amstetten geborenen Auer mit dem Award für das beste Männerprodukt 2015 auszeichnete. "Dabei funktioniert sie natürlich genauso gut für Frauen", sagt Auer und zuckt mit den Achseln. Egal, Auszeichnung ist Auszeichnung. Für den German Design Award 2016 ist der Haarausreißer übrigens bereits auch nominiert.

Foto: clemens auer


Designklassiker

Auer lebt und arbeitet in Wien. Die Wohnung, in der er auch an seinen Entwürfen tüftelt, liegt im Dachgeschoß eines Hauses im 4. Bezirk unweit des Hauptbahnhofs. Eine Wand ist rosa gestrichen, eine andere türkis. Vor einer blanken Ziegelmauer steht ein schnittiges Rennrad. Und sonst? Fast schon klischeehaft, aber halt doch sehr fesch, versammelt sich hier einiges an Designklassikern: Eames, Herman Miller, Mies van der Rohe, sogar die Leuchte "Arco" von Achille Castiglioni spannt ihren einzigartigen Bogen.

Und im Küchenregal, ganz unschuldig zwischen anderem Gerät, Philippe Starcks Orangenpresse. Im Gegensatz zu der spinnenbeinigen Ikone des Franzosen funktioniert die Pinzette von Auer bestens. Doch dazu später.

Das Wesen der Leiter

Zeitgenossen, die behaupten, im Design sei bereits alles dagewesen, straft Auer ein Stück weit Lügen. Wenn man sich seine Pinzette genauer ansieht, ahmt die diese eine Geste nach, nämlich die des natürlichen Zwickens. Der Daumen wird zum Zeigefinger geführt, dabei entsteht die charakteristische Rundung, die es benötigt, um zu zwicken oder zu reißen. So einfach? So einfach. Überhaupt sind es die Gesten, die es Auer angetan haben. Mit ihnen beschäftigt sich der Gestalter, er studiert ihren Charakter, fragt sich, was man von einer Gießkanne abschauen kann, wenn es darum geht, eine Karaffe zu entwerfen. Dann beschreibt Auer die Geste eines sich verbeugenden Dieners, die er in die Form einer Leseleuchte transferierte. "Auch die Leseleuchte dient", sagt der Designer, dem es um den Ausdruck eines "eingefrorenen Wesenszustandes" geht.

Auch das Wesen der Leiter hat Auer erforscht. "Im Ernst, wer will schon eine Leiter vom Baumarkt vor seiner Bibliothek stehen haben", erklärt er die Motivation, sich einem Gegenstand zu widmen, von dem man glauben könnte, er wäre in ausreichender Form bedacht worden. "Mitnichten, als ich mit meiner Recherche anfing, hab ich gerade mal eine wirkliche Alternative von Marc Newson gefunden", sagt Auer, dessen Objekte man über seine Website beziehen kann.

Das Besondere an seiner dezent organisch wirkenden Leiter aus dreifach verleimter Esche ist vor allem ihre auf den ersten Blick irritierende Sprossenführung. "Sieht man sich das Emporsteigen auf einer herkömmlichen Leiter an, gleicht die Bewegung einer vertikalen Hinkbewegung. Mir schwebte die Fortbewegung auf Stufen vor, oder das Klettern auf einen Baum. Auf meine Leiter steigt man 'links vor, rechts vor', das heißt, es kommt zu zwei gleichwertigen Schrittsetzungen", erklärt der Designer die Form der skulpturalen Kletterhilfe, deren Holz in Thonet-Manier gebogen wird. "Von 20 Tischlern fand ich nur einen, der mir das umsetzen konnte", setzt Auer nach.

Starcks Presse

Um den Charakter des Umbruchs, des Umsturzes ging es dem Gestalter bei seinem Garderobenentwurf. Mit Umbrüchen meint er zum Beispiel das Ausziehen aus der elterlichen Wohnung, das Wegziehen aus einer Wohngemeinschaft oder die einschneidende Erfahrung einer Trennung. Seine Garderobe, bestehend aus vier bunten Objekten, funktioniert an einer Stange hängend als Einheit, aber auch in Form von einzelnen Elementen, die nach einer Trennung auch alleinstehend funktionieren, hängend ebenso wie auf dem Boden stehend.

Foto: clemens auer

Angesprochen auf Starcks Zitronenpresse in der Küche fällt schnell der Begriff Skulptur. Auch Auer will Skulpturen schaffen, aber Skulpturen, die funktionieren. Mit Kunst will er nichts am Hut haben. Wäre auch verwunderlich, schließlich ist Clemens Auer, der eine Zeitlang im Salär des Wiener Teams rund um die Designer Rudolf Greger und Christoph Pauschitz stand, Absolvent der FH Joanneum Graz. Und bei den Designern dort hat der Begriff Kunst so viel verloren wie auf einer Messe für Landwirtschaftsmaschinen. Es geht Auer darum, die Balance zwischen Skulptur und Funktion zu schaffen. Darin erkennt er auch das Geheimnis von Objekten, die das Zeug zum Klassiker haben.

Auf einem Spiegel über Auers Arbeitstisch steht "Lebe Deinen Traum". Ob er seinen Traum lebt? "Ich denke schon. Ich mache einen Job, hinter dem ich wunderbar stehen kann. Was will man mehr?", sagt er und spielt ins Narrenkastl blickend mit einer seiner Pinzetten, umgeben von Miller, Eames, Castiglioni – und Starck. (Michael Hausenblas, Rondo, 9.9.2015)

Ein Regal aus Hütchen.
Foto: clemens auer
Eine Leselampe, die an einen Kran erinnert.
Foto: clemens auer