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Diese lichtmikroskopischen Aufnahmen zeigen ein Gebiet im Hippocampus einer Person, die an Demenz leidet.

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Krems - "Es schaut finster aus" - Der Neurologe Michael Brainin von der Donau-Universität Krems findet klare Worte für die Zukunft der österreichischen Altenpflege. "Alzheimer ist die Krankheit, die unser Gesundheitssystem aushebeln wird". Seine düstere Prognose stützt sich auf neueste Zahlen: Weltweit kommt es laut Welt-Alzheimer-Bericht alle sieben Sekunden zu einem neuen Fall von Demenz. Allein in Europa verursacht die Krankheit jährlich über hundert Milliarden Euro an Kosten.

Der Hauptgrund dafür ist die immer höhere Lebenserwartung der Menschen in westlichen Industrienationen. In Österreich liegt sie derzeit bei durchschnittlich 81 Jahren, laut der Bevölkerungsprognose der Statistik Austria wird es bis 2060 doppelt so viele Menschen über 65 geben wie heute. Mit ihnen wird auch die Zahl an Demenzerkrankungen zunehmen. Für die Versorgung der Betroffenen bedürfte es daher völlig neuer Konzepte, sagt Brainin.

Einer der wichtigsten Faktoren sei die Früherkennung, betont Stefanie Auer, klinische Psychologin an der Donau-Uni. "Das größte Problem ist, dass sich die Menschen genieren, zurückziehen und ihre Erkrankung möglichst lange verbergen", sagt Auer. Dabei könne man gerade in den frühen Stadien von Demenz das Fortschreiten der Krankheit stark verzögern. Es bräuchte daher in Österreich viel mehr niederschwellige Anlaufstellen, an die sich Menschen wenden könnten, die erste Symptome der Demenz wie etwa Gedächtnisstörungen bei sich vermuten.

"Wenn es damit gelingt, den Ausbruch der Erkrankung um drei bis vier Jahre zu verschieben, wäre das ein enormer Fortschritt", sagt Brainin. Den Menschen müsse klargemacht werden, dass die Diagnose Demenz kein Todesurteil darstellt, sondern bei rechtzeitiger Behandlung eine hohe Lebensqualität möglich ist.

Große Defizite gebe es jedoch auch bei der Ausbildung der Pflegekräfte in Österreich, sagt Auer. Denn die verschiedenen Stadien der Demenz erforderten völlig unterschiedliche Maßnahmen. So würden gerade zu Beginn der Erkrankung den Menschen zu viele Aufgaben abgenommen, die sie noch selbst erledigen könnten. "Die langweilen sich zu Tode", beschreibt Auer die Situation in vielen Pflegeheimen.

Schulung für Angehörige

Dabei trage gerade die Förderung der Selbstständigkeit und das Trainieren der vorhandenen Fähigkeiten zu einem langsameren Fortschreiten der Erkrankung bei. In späteren Stadien benötigen Demenzkranke hingegen in vielen Bereichen Hilfe. Die veränderten Bedürfnisse rechtzeitig zu erkennen und darauf einzugehen sei eine der größten Herausforderungen für die Pflegekräfte, sagt die Psychologin. Aber auch Angehörige müssten besser geschult werden, schließlich würden achtzig Prozent der Betreuung im Familienkreis stattfinden. Gemeinsam mit allen Beteiligten sei es wichtig, ein neues, positives Lebenskonzept für den Demenzkranken zu erarbeiten.

Um diesen Ausbildungsdefiziten entgegenzuwirken, wurden mit dem Wintersemester 2013/ 2014 an der Donau-Universität Krems gemeinsam mit der MAS-Alzheimerhilfe verschiedene Lehrgänge eingerichtet, darunter die berufsbegleitenden "Demenzstudien", deren Leitung Auer übernommen hat. Kostenpunkt für den sechssemestrigen Lehrgang, der mit dem akademischen Grad Master of Science abgeschlossen wird: 7000 Euro.

Ziel sei es, Experten für die speziellen Bedürfnisse von Personen mit Demenz auszubilden. Neben der Entwicklung theoretischer und praktischer Konzepte für deren Betreuung sollen die hier Ausgebildeten aber auch Forschung betreiben, "denn wir wissen noch viel zu wenig über die Bedürfnisse von Demenzkranken", sagt Auer.

Effektive Früherkennung

Zudem biete die MAS-Alzheimerhilfe auch die Ausbildung von "Trainern" an, die in der Lage sein sollen, Menschen mit Demenz im Alltag zu begleiten. Besonders für die Pflegeheime sei das von Bedeutung, sagt Auer, denn hier hätten achtzig Prozent der Patienten kognitive Defizite, aber nur zwanzig bis dreißig Prozent davon seien medizinisch diagnostiziert und würden entsprechende Zuwendung erhalten. Multiple Interventionen, zu denen die individuell angepasste Betreuung sowie eine effektive Früherkennung gehören, seien der einzige Weg, um der steigenden Zahl an Demenzpatienten zu begegnen, meint auch Brainin. "Von der Entwicklung eines Heilmittels ist keine Rede, Impfungen haben nichts gebracht".

Zwar konnten in den seit vielen Jahren laufenden Experimenten mit Impfstoffen gegen Alzheimer durchaus Erfolge erzielt werden: Forschern gelang sowohl im Tierversuch als auch beim Menschen die Immunisierung gegen den Eiweißstoff Beta-Amyloid, der bei Alzheimerpatienten für den Abbau der Nervenzellen im Gehirn verantwortlich gemacht wird. Doch obwohl man diese Eiweiße stark reduzieren konnte, änderte sich der klinische Zustand der Patienten dadurch nicht. Was bleibt, ist, den Verlauf der Krankheit möglichst lange hinauszuzögern, sind sich die Experten der Donau-Universität einig: Dazu müsse man Betroffene in einen interessanten und fordernden Alltag integrieren und ihre Selbstständigkeit so lange wie möglich erhalten. (Wolfgang Däuble, DER STANDARD, 11.3.2015)