Wir vergeben alljährlich unseren Modepreis unter den Studenten der Wiener Angewandten. Agnes Varnai (vorn) ist die heurige Preisträgerin des mit 3.000 Euro dotierten Preises. Hinter ihr Model Leo Mandel in einem ihrer Outfits.

Foto: Raidt-Lager

Details der Siegerkollektion von Agnes Varnai:

Die Schultern kerzengerade.

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Auf der Brust Bildnisse von Putin, Orbán und Berlusconi.

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Die Schuhe öffnen sich zu einem zähnebleckenden Maul.

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"The psychopath test" ist in kleiner Schrift auf einen der Sakkoärmel gedruckt. Gleich neben einem überdimensionalen Messer. Die Schultern des Anzugs sind wie mit einem Lineal gezogen, die dazu entworfenen Schuhe öffnen sich vorne zu einem zähnebleckenden Maul.

Ein Anzug als Hingucker. Und einer, der die Kunst der klassischen Herrenschneiderei mit dem Kostümarsenal von Fantasyfilmen verbindet. Entworfen hat ihn Agnes Varnai, eine zierliche 23-Jährige, die ein bisschen verloren wirkt, steht sie neben dem Model, das ihren Anzug trägt. "Ich liebe Horror- und Zombiefilme", sagt sie und erklärt dann, warum die Hosen, die sie entworfen hat, wie von Messern aufgeschlitzt sind.

Macht und Menschen

"Es geht um die Stiche, die man sich selbst zufügt – und um jene, die einem von anderen zugefügt werden." Wobei es in ihrer Kollektion weniger um ein "man" als um eine recht klar definierte Personengruppe geht: Porträts von Viktor Orbán, Silvio Berlusconi und von Wladimir Putin "zieren" Varnais Kollektion. Ihr geht es um Macht und darum, was diese aus Menschen macht. Und natürlich auch darum, in welcher Form man dieses Thema in einer Modekollektion aufgreifen kann.

Ansonsten wäre die in Dunaujvaros in Ungarn geborene Studentin der Wiener Universität für angewandte Kunst ja auch nicht Modedesignerin geworden. "Mein Vater ist Künstler, meine Großmutter Schneiderin", erzählt sie. Es scheint ein bisschen so, als wollte sie selbst beides vereinen. Den konzeptionellen Denkansatz des Vaters. Die Liebe zu Stoffen und Schnitten der Großmutter.

Nach zwei Jahren Modeausbildung in Budapest wechselte Varnai vor nunmehr drei Jahren nach Wien – und begann hier ein Modestudium unter Bernhard Willhelm – einem Designer, der gleichermaßen für seine radikal ästhetischen Zugriffe wie für seine kritischen Zugänge zu Gesellschaft und Politik bekannt ist.

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Psychopathen im Vorstand

Davon ist auch bei Varnai einiges hängengeblieben. Als sie im Vorfeld der Kollektionsvorbereitungen Jon Ronsons Bestseller "The Psychopath Test" las und den dazugehörigen Film anschaute, wusste sie, dass sie ihr Thema gefunden habe. Der Autor entwickelt darin die Psychogramme von Menschen, die weder zu Liebe noch zu Empathie fähig sind, und findet diese genauso in Hochsicherheitsgefängnissen, Vorstandsetagen oder in Parteizentralen. Vor allem mit Letzteren beschäftigt sich Varnai in ihrer "Power" betitelten Kollektion. "Es beunruhigt mich sehr, was derzeit in Ungarn passiert. Victor Orbán ist einer der wichtigsten Referenzpunkte meiner Arbeit."

Ein digital verfremdetes Porträt des ungarischen Ministerpräsidenten ziert eines der Hemden, auf Hosen sind Rasierklingen abgebildet, das Innenfutter ist mit einem Sinnbild politischen Handelns bedruckt: mit sich schüttelnden Händen.

Traditionelle Materialien

So speziell die Oberflächengestaltung ist, so klassisch gibt sich Varnai grundsätzlich in ihren Schnitten. "Ich habe eine große Hochachtung vor der klassischen Herrenschneiderei." In ihrer Kollektion greift sie auf traditionelle Materialien wie Wolle und Baumwolle zurück, jedes einzelne der sieben Outfits wurden von ihr per Hand genäht.

Statt an der weichen italienischen oder englischen Schnittführung orientiert sich die junge Designerin, die noch zwei Jahre bis zum Ende ihres Studiums vor sich hat, allerdings am Powerdressing der 1980er-Jahre. Wer sich in eines ihrer Outfits wirft, der steht wie ein Rammbock in der (politischen) Landschaft. Ob man das möchte, ist natürlich wieder eine andere Frage. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 6.6.2014)