Mode der Nachkriegszeit: Oben das Titelblatt der ersten Modezeitschrift der Nachkriegszeit, die 1945 mit sowjetischer Lizenz veröffentlicht wurde. Unten ein "Flickenkleid" während der ersten Modenschau im November 1945 in Berlin.

Foto: Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin

Die Mode spielte in vielen Filmen der deutschen Nachkriegszeit eine zentrale Rolle. "Man sieht hier oft Frauen vor einem Spiegel stehend sich selbst mit Wohlgefallen betrachten", so die bulgarische Germanistin und Filmhistorikerin Mila Ganeva. Feministische Filmwissenschafterinnen sehen in solchen Szenen gewöhnlich den voyeuristischen männlichen Blick gespiegelt. Nicht so Ganeva. "Ich nehme solche Szenen eher als ein narzisstisches Spiel wahr, in dem es nicht um den nackten, sondern um den kreativ eingekleideten weiblichen Körper geht", betont die Wissenschafterin. Im Zuge ihrer Forschungsarbeit, die sie zurzeit am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien (gehört zur Kunstuni Linz) durchführt, hat sie zahlreiche Nachkriegsfilme analysiert, um die Motive hinter deren auffallender Verbindung zum Thema Mode zu ergründen.

So setzt zum Beispiel der Film Martina aus dem Jahr 1949 die Darstellung konsequent fort. Die Titelheldin hat ein starkes Interesse an Mode und kleidet sich, als wäre sie einem der neuesten Frauenmagazine entstiegen. Tatsächlich wird in einer Szene gezeigt, wie Martina mithilfe eines Modejournals aus einem alten Kleid ein neues, schickes Outfit schneidert.

In den narzisstischen Spiegelszenen scheint es also nicht nur um das eigene Aussehen der Heldinnen zu gehen, sondern auch um die kreativen Prozesse, durch die sie ihre Erscheinung gestalten: "Viele der Protagonistinnen schneidern sich aus Stoffresten, alten Uniformen, Tischdecken und Vorhängen modische Kleider, die sie sich anders niemals leisten könnten", so Ganeva. "Für das Kinopublikum, das zum größeren Teil aus Frauen bestand, waren diese Filme zum einen also ein Modejournal mit bewegten Bildern, zum anderen ein Anstoß zum Selbermachen unter dem damals propagierten Motto ,Aus Alt mach Neu'".

Neben der vielleicht eskapistischen Lust am Anblick schöner Kleider inmitten einer zerstörten Welt hatte diese Darstellung von Recyclingmode inklusive ihrer Produktionsbedingungen auch eine sehr praktische Seite: "Man brauchte Kleidung - auch wenn das nötige Geld und das Angebot fehlten", sagt Ganeva.

"Frivole" Lust an der Mode

Was lag also näher, als aus der Not der Frauen - die sich um die Versorgung ihrer Familien, also auch um deren Einkleidung kümmern mussten - eine Tugend mit beträchtlichem Lustgewinn zu machen? Wobei die Lust an dieser Tugend von manchen Leuten damals durchaus mit gemischten Gefühlen betrachtet wurde, wie aus zeitgenössischen Mediendebatten hervorgeht: "Ist es nicht frivol, sich mit Mode zu beschäftigen, wenn die Welt in Schutt und Asche liegt?" Das Bedürfnis nach Normalität war stark. Man wollte "keine Verdoppelung des Alltagselends auf der Leinwand", wie es Anfang 1947 im Spiegel hieß.

Der Wunsch nach Ablenkung und Unterhaltung führte auch zu einem enormen Aufschwung der Modepresse unmittelbar nach Kriegsende. Bereits 1945 wurden in Berlin die ersten Modejournale mit Lizenzen der Besatzungsmächte gegründet. Auch die neuen illustrierten Wochenmagazine widmeten einen großen Teil ihrer Ausgaben der Modeberichterstattung, und sogar in den Wochenschauen durfte das geliebte Kleiderthema nicht fehlen.

"Bereits wenige Monate nach Kriegsende, am 8. September 1945, fand in der Wohnung eines Berliner Designers die erste Modeschau in Nachkriegsdeutschland statt", weiß Mila Ganeva. Einer der ersten Wirtschaftszweige, die im zerstörten Berlin eine Wiedergeburt erlebten, war also die Modeindustrie. Verglichen mit anderen Sektoren war sie relativ einfach wieder in Gang zu setzen, da keine großen Investitionen in Infrastruktur erforderlich waren: Die Arbeit erledigten vor allem Schneiderinnen in Heimarbeit.

Produktion für den Export

Da sich in Deutschland diese Kleider niemand leisten konnte, wurde hauptsächlich für den Export produziert. Die Berlinerinnen konnten sie zumindest in den Auslagen der Modegeschäfte bewundern. "Am Kurfürstendamm gibt es wieder die ersten Schaufenster, klein, aber schmuck und sauber und geschmackvoll. Ein Labsal für das Auge. (...) Es ist die begreifliche Lust, wieder einmal etwas Ganzes zu sehen, etwas Sauberes, etwas Schönes", schreibt Max Frisch in Städte 1945: Berichte und Bekenntnisse.

Die Schattenseite dieser Modeeuphorie der späten 1940er-Jahre ist allerdings ihr Hang zum Vergessen: "Die sowohl in West- als auch in Ostdeutschland feststellbare Tendenz, Zuschauerinnen durch eskapistische Bilder von Mode und Konsum einzunehmen, ging einher mit der Ausblendung einer beschämenden Vergangenheit aus den Mediendiskursen, etwa der Arisierung der jüdisch dominierten Konfektionsindustrie", erinnert Ganeva an einen weniger erfreulichen Aspekt der Lust an schönen Hüllen. Keine dunkle Rückseite lässt sich dagegen beim aktuellen Revival der Re- und Upcycling-Philosophie der Nachkriegszeit finden. Außerdem ist es heute nicht mehr materielle Not, die Menschen zu dieser Form der Kreativität motiviert, sondern ökologisches Gewissen. (Doris Griesser, DER STANDARD, 28.5.2014)