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Ein Patriarch hat schwer zu tragen: Esteban Trueba (August Diehl) mit seiner Schwester Ferula (Dörte Lyssewski).

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Wien - Die Tochter einer chilenischen Familie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts reagiert auf das in "Schmerz, Blut und Liebe" getränkte Leben ihrer Sippe mit übernatürlichen Fähigkeiten. Sie kann Salzstreuer am Tisch zum Wandern bringen oder Menschen zum Schweben. Auch Todesfälle sieht sie voraus. Einerseits also kein Wunder, wenn das Theater auf den magischen Stoff in Isabel Allendes Bestsellerroman Das Geisterhaus (1982) zu sprechen kommt. Am Akademietheater hat sich noch dazu ein halber Chilene der Sache angenommen: Regisseur Antú Romero Nunes ist 1983 in Freiburg als Sohn einer Chilenin geboren.

Andererseits blieb bei der Uraufführung der von Nunes mit Dramaturg Florian Hirsch erstellten Bühnenfassung am Donnerstag ausgerechnet die Mitte leer. Es war kein Giebelstein zu finden, der dieses obszöne Patriarchen-Epos irgendwo oben in den grauen Dreieckssäulen der hochaufragenden Bühne (Florian Lösche) zusammengehalten hätte. Das Epos rekapituliert den Verfallprozess der feudal-patriarchalen Familie Trueba, die die politische Spaltung Chiles am eigenen Leib erfährt. Esteban Trueba (in zwei Altersversionen: August Diehl und Ignaz Kirchner), Ehemann von Clara (Caroline Peters), herrscht über seine Familie wie ein Tyrann über sein Land.

Experimentierfreudig gezimmerte Szenen treiben das Jahrzehnte umfassende Geschehen voran - etwa eine Stummfilmnummer mit Geburtstagstorte im Schnellvorlauf -, bis nach dreieinhalb Stunden Schluss war, und Patron Esteban, der jähzornige Selfmademann und Vergewaltiger seiner Mägde, Großgrundbesitzer und konservative Politiker, vor den Trümmern seiner privaten wie beruflichen Laufbahn steht.

Nunes hat sich für eine märchenhafte Erzählweise entschieden, in der Slapstick und Tragik Hand in Hand gehen. So schlagen Hochgefühle (z. B. Hochzeit) unversehens in Trauer (um den toten Hund) um: Just zum Ringtausch am Traualtar stolpert der gelynchte wuschelige Vierbeiner herein und macht klar: Hier hat alles eine höhere Bedeutung! Solche einzelnen Momente waren schön anzuschauen, doch sie bildeten schlussendlich nur die Ränder eines fehlenden Kerns.

Nunes hat sich insbesondere im ersten Teil, der wertvolle Zeit mit ausuferndem Herumsteh-Erzähltheater vergeudet hat, außerordentlich verzettelt. Zudem hält die Prosaform auf Distanz, es gelingt den Figuren nur schwer, für ihre Anliegen einzutreten. Das ändert sich im zweiten Teil, der sich mehr auf Spiel und Dialoge konzentriert und in dem auch der politische Kontext durchsickert. Das erzeugt Sogkraft.

Der feministischen Lesart des Geisterhauses folgend ist auch fabelhaft verkapptes "Weibsvolk" (Monty Python) anwesend. Unter Bärten und Kurzhaarschnitten stecken jene Frauen, an deren gestählter Vernunft dann in anderen Szenen Jähzorn und Sturheit des Machtmenschen Trueba abprallen (neben Peters: Dörte Lyssewski, Adina Vetter, Jasna Fritzi Bauer, Sabine Haupt und Aenne Schwarz). Nunes, der sein Burg-Debüt vor zwei Jahren mit Einige Nachrichten an das All gab, versteht sich, wie er im Standard-Interview einmal sagte, als Handwerker. Davon hat man an diesem Abend - im Verhältnis zur Interpretation, zur gedanklichen Spur - geradezu zu viel gesehen. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 1./2.2.2014)