Geldgeber und Großinvestor: Seine Feinde sitzen beim Präsidenten, sagt der Banker Zwetan Wassilew. In Bulgarien ist politische Übergangszeit.

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STANDARD: "Mafia und Oligarchen" nutzen die gegenwärtige politische Übergangsphase in Bulgarien, um nach der Macht zu greifen, behauptet ein namhafter bulgarischer Politikwissenschaftler. Er meint wohl auch Sie.

Wassilew: Ich habe keinen Grund, gegen eine Regierung vorzugehen. Erst recht nicht gegen eine Interimsregierung, deren Aufgabe es ist, die Lage auf der Straße zu beruhigen und Neuwahlen vorzubereiten. Ebenso wenig konnte ich ein Interesse daran haben, Proteste gegen die Regierung des ehemaligen Premiers Boiko Borissow zu organisieren; schließlich hat man mich ja beschuldigt, dieser Regierung so nahe zu stehen.

Rosen Plewneliew, der Präsident, der diese Übergangsregierung ernannte, kann mich offensichtlich nicht leiden. Die Wahrheit aber ist: Kreise, die diesen Präsidenten ausgewählt haben, sind daran interessiert, die Macht zu übernehmen. Das Problem ist nicht, dass der Präsident Freunde hat. Das Problem ist, dass dieser Präsident ein Produkt der Kreise um die Wochenzeitung Kapital ist, mit denen er in der Vergangenheit Geschäftsinteressen hatte, aber auch eines Systems von NGOs, darunter dem Open Society Institute. Ognyan Mintschew, der Politologe, den Sie erwähnten, aber ebenso andere "Meinungsführer", die sich hinter der Fassade von Unterstützern einer demokratischen Gesellschaft verstecken, verteidigen deren Interessen.

STANDARD: Dieser Präsident ist vom bulgarischen Volk gewählt worden.

Wassilew: Dank dem Charisma Borissows. Setzen Sie Plewneliew an die Spitze einer Partei und Sie werden das Ergebnis sehen. Dieser Präsident vertritt Unternehmerinteressen, nicht die Interessen der Nation. Doch auch wenn ich das sage, würde ich niemals etwas gegen den Staat oder die Regierung unternehmen. Ich tat es auch nicht in der Vergangenheit. Als Mehrheitseigentümer einer der größten Banken in Bulgarien und Investor in verschiedenen wichtigen Bereichen bin ich an Stabilität interessiert. Nicht an Straßenprotesten. Diese Ereignisse mögen Leuten wie Ivo Prokopiew helfen (Bulgarischer Unternehmer, der unter anderem den Economedia-Verlag führt, Anm.)

STANDARD: Sie gelten als einer der mächtigsten Männer im Land. Was heißt mächtig sein in Bulgarien?

Wassilew: Die Geschäfte, die ich führe, sind sehr umfangreich. Aber gibt es ein Land auf der Welt, wo bedeutende Geschäfte nicht auch wichtig für die Politik wären? Ich habe niemals an der Bildung von Regierungen teilgenommen. Doch die Hälfte der Regierung des früheren Premiers Boiko Borissow, insbesondere ihr Wirtschafts- und Finanzteil, auch der damalige Infrastrukturminister Plewneliew, wurden von denselben Kreisen ausgesucht, die ich zuvor erwähnte.

STANDARD: Die Corporate Commercial Bank wird in Bulgarien oft als inoffizielle "Bank des Staates" porträtiert.

Wassilew: Die CCB ist bei der EU-Kommission angeschwärzt worden wegen angeblicher Begünstigung durch den Staat. Die Kommission fand keinen Beweis dafür, der Fall ist geschlossen. Doch meine Gegner taten ihr Bestes, um die Untersuchung gegen den bulgarischen Staat und meine Bank in die Länge zu ziehen. Sie drängen auch nun den Präsidenten und die Interimsregierung, die Angriffe fortzusetzen.

STANDARD: Es scheint, als seien Sie verfolgt von der Idee dieser Kreise um das Verlagshaus Economedia.

Wassilew: Schauen Sie, der erste Vorschlag für die Nominierung eines Wirtschaftsministers der Regierung Borissow im Jahr 2009 war der Ex-Generaldirektor von Economedia, Biser Bojew. Dessen Tante zufälligerweise Kristalina Georgiewa ist, Bulgariens EU-Kommissarin in Brüssel; und dessen Studienkollege Simeon Djankow war, der frühere Finanzminister. Bojew wurde nicht Minister, weil die Öffentlichkeit reagierte. Als Ersatz wählten sie Traitschko Traikow, einen Studienfreund von Djankow,  als Wirtschafts- und Energieminister. Ironischerweise versuchen die Kreise um Kapital und die EU-Kommissarin nun, sich von der Politik des Finanzministers zu distanzieren.

STANDARD: Erklären Sie das näher.

Wassilew: Ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Sie haben es nicht geschafft, mit den Auswirkungen der globalen Finanzkrise und später der Euro-Schuldenkrise auf Bulgarien fertig zu werden, weil sie einfach nur einer Politik der Austerität gefolgt waren. Ohne in Betracht zu ziehen, dass der Großteil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt. Deshalb scheint es mir auch nicht angemessen, wenn der Präsident nun bei der Vorstellung der Interimsregierung sagt: Dies ist ein Neustart. Was für ein Neustart? Es sind dieselben Leute im Hintergrund.

STANDARD: Wenn in Bulgarien eine große öffentliche Ausschreibung in einem strategisch wichtigen Sektor stattfindet, ist es wahrscheinlicher, dass Sie die Ausschreibung gewinnen und nicht verlieren. Wie funktioniert so etwas?

Wassilew: Die Finanzkrise hat uns mehr Chancen verschafft als anderen Banken, die konservativer wurden und ihre Aktivitäten auf dem bulgarischen Markt zurückfuhren. Wenn wir an Ausschreibungen teilnehmen, machen wir in der Regel das beste Angebot. Aber ich werde für alles beschuldigt, was ich tue. Zum Beispiel für den Kauf von Vivacom, einem der Führer auf dem Telekom-Markt. Im vergangenen Jahr wählten die Kapitalgeber von Vivacom eines meiner Unternehmen zusammen mit VTB Capital aus, weil wir das beste Angebot zur finanziellen Restrukturierung vorlegten. Sie müssen dabei bedenken, dass die Privatisierung von Vivacom, der früheren staatlichen bulgarischen Telekommunikationsgesellschaft, 2004 zu einem lächerlich niedrigen Preis mit der Vermittlung von Bulbrokers, einem Unternehmen von Prokopiew, vorgeschlagen und ausgeführt worden war.

STANDARD: Es gibt beständig Vorwürfe, Ihre Bank würde einen enormen Teil an Staatsgeldern bunkern. Was ist daran richtig?

Wassilew: Erst einmal gibt es einen Unterschied zwischen Staatsgeldern und dem Geld staatlicher Unternehmen. Die Anschuldigungen über die angebliche Konzentration von Einlagen staatlicher Unternehmen – sie stammen auch aus den Zirkel um Kapital – bezieht sich auf das Geld von Unternehmen aus dem Energiesektor. Dabei gibt es einige hundert staatlicher Unternehmen, die in anderen Sektoren tätig sind; die Mehrheit von ihnen sind nicht Kunden der Corporate Commercial Bank.

Wir sind eine Bank, die sich auf Infrastruktur und Energie spezialisiert hat. Wir tun das seit nun zwölf Jahren. In diesem Sektor gibt es nun einmal vorwiegend staatliche Unternehmen, mit denen wir arbeiten, denen wir Kredite geben – ebenso wie deren Angestellten. Wenn wir ein öffentliches Unternehmen als Kunden gewinnen, dann ist dies das Ergebnis einer öffentlichen Ausschreibung. Unsere Konditionen sind einfach gut. Für Guthaben auf Girokonten zahlen wir 1,5 Prozent Jahreszins. In Österreich bekommen Sie vielleicht 0,1 Prozent. Derzeit stammen nicht mehr als acht Prozent unserer Bankeinlagen aus Staatsbetrieben. Wir gewähren ihnen allerdings eine beträchtliche Zahl von Krediten.

STANDARD: Was Sie hier beschreiben, ist ein Kampf von Geschäftsleuten um Macht in Bulgarien.

Wassilew: Es ist kein Kampf um Geschäftsinteressen. Ich leihe diesen Leuten kein Geld, ich schulde ihnen auch keines. Hier geht es um Geschäftsleute, die versuchen, in die Politik zu kommen. Warum hat Ivo Prokopiew auch das Verlagshaus Economedia? Als Instrument, um Interessen zu steuern. Warum kaufte der Pharma-Mogul Ognyan Donew die Zeitungen des WAZ-Konzerns in Bulgarien? Weil sie so viel Profit abwerfen? Nein, weil er sie für seine politischen Ambitionen nutzen wollte.

STANDARD: Ognyan Donew sagt, er tat es, um ein Gegengewicht zu dem Einfluss zu schaffen, den Sie durch die Finanzierung der New Bulgarian Media Group (NBMG) gewonnen haben.

Wassilew: Ich habe nie Zeitungen benutzt, um andere Geschäftsleute oder Konkurrenten anzugreifen.

STANDARD: Die Medien der NBMG haben allerdings begonnen, den bulgarischen Präsidenten anzugreifen.

Wassilew: Sie kritisieren ihn, Unternehmerinteressen zu dienen und nicht den Interessen der Nation. Der Präsident ist keine heilige Kuh. Er kann kritisiert werden.

STANDARD: Sie haben Sie nicht ermuntert?

Wassilew: Wie? Wir sollten Journalisten nicht unterschätzen. Sie haben ihre Meinungen, die ja durchaus unterschiedlich sein können und nicht mit der offiziellen Position eines führenden Regierungsmitglieds übereinstimmen. Ich rufe niemanden an, ich erscheine nicht in TV 7, dessen Eigentümerverhältnisse sich im übrigen geändert haben.

STANDARD: Lassen Sie uns einen Blick auf die Medien in Bulgarien werfen. Wir haben einen Banker, der die NMBG unterstützt, einen Parlamentsabgeordneten und dessen Mutter, dem die NMBG gehören, einen großen Pharmahersteller und einen Multi-Unternehmer, der sich zeitweise in Singapur sicherer fühlte als in Sofia. Im Ernst: Wieviel Medienfreiheit kann es unter diesen Umständen geben?

Wassilew: Sie zeichnen ein seltsames Bild. Wir haben vielleicht sogar zu viel Freiheit in den Medien. In Bulgarien kann jeder einfach alles sagen und schreiben ohne Respekt oder Beachtung ethischer Regeln. Das Kriterium für Objektivität, das in diesem Land gilt, ist, wie aggressiv Medien die Macht angreifen - die Regierung, den Präsidenten. Zeitungen haben aber nicht so viel Einfluss auf die öffentliche Meinung in Bulgarien. Das Fernsehen ist viel wichtiger und das Internet mit seinen Nachrichtenportalen. Der größte Teil dieser Webseiten gehört übrigens Economedia und wird von der Ehefrau des Präsidenten gemanagt. Sie war lange Zeit auch eine Direktorin im Economedia-Verlag.

STANDARD: Würden Sie sich als Oligarchen bezeichnen?

Wassilew: Wenn man unter einem Oligarchen jemanden versteht, der wohlhabend ist und eine Reihe von Geschäften führt - ok, dann  bin ich ein Oligarch. Aber dann sind auch Bill Gates, Warren Buffet, Richard Branson und Bernard Arnault Oligarchen. Wenn Oligarch aber definiert wird als  ein Geschäftsmann, der mit einem Fuß in der Regierung steht und seine politischen Kontakte nutzt für  sein Business, dann bin ich mit Sicherheit kein Oligarch.

STANDARD: Wo stehen Sie politisch?

Wassilew: Ich bin keine Gerb-Bank oder eine Bank der BSP oder  der DPS (frühere Regierungspartei, Sozialisten, Partei der türkischstämmigen Minderheit, Anm.). Für mich ist Stabilität am wichtigsten. Ich unterstütze jede vernünftige Regierung, die die nationalen Interessen vertritt. Meine Aktivitäten sind groß genug, um viel zu verlieren im Fall einer Instabilität, eines Zusammenbruch des Währungsboards (der bulgarische Lev ist seit der Hyperinflation von 1997 an den Euro gebunden, Anm.) oder anderen Ereignissen.

STANDARD: Wo steht Bulgariens Demokratie, fast 25 Jahre nach dem Fall des Kommunismus?

Wassilew: Die Menschen sind enttäuscht nach diesen 24 Jahren. Sie haben erwartet, dass sich alles leicht ändert, was nicht der Fall ist. Einige hängen noch mit Nostalgie dem Kommunismus nach. Die Aufgabe der Politiker hier, genau so wie in Brüssel, glaube ich, ist, Wege zu finden, um Länder wie Bulgarien stärker zu machen. Der Weg aus der Krise führt über die Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung. Das lässt sich vor allem dadurch bewerkstelligen, indem unsere Exportressourcen und unsere nationale Produktion gefördert werden.

STANDARD: Was denken Sie über Protestbewegung in Bulgarien? Können Sie nachvollziehen, warum diese Leute auf die Straße gegangen sind?

Wassilew: Es begann mit Menschen, die am Rand des Existenzminimums leben. Mit Leuten, die sehr enttäuscht waren. Wie immer natürlich haben einige politische Parteien diese Bewegung auszunutzen versucht, aber auch einige Kriminelle, die gegen das ganze politische System vorgehen wollen.

STANDARD: War es klug von Boiko Borissow, kurz vor den regulären Wahlen zurückzutreten?

Wassilew: Er wollte die Spannungen auf der Straße verringern. Richtig oder falsch - die Neuwahlen werden es zeigen. Ich glaube, wäre er an der Macht geblieben, wäre mehr Blut vergossen worden.

STANDARD: Sieht es nicht dennoch ein bisschen aus, als ob er sich aus der politischen Verantwortung geschlichen hat?

Wassilew: Es ist leicht ihn zu kritisieren, wenn man nicht in seinen Schuhen steckt. Die Dinge sind vielleicht ein wenig komplexer. Die Menschen auf der Straße zu beruhigen, war wohl ein Teil seiner Überlegung. Ein anderer könnte die Strategie für die kommenden Wahlen gewesen sein.

Sein Rücktritt belebte jedenfalls wieder die Machtgelüste des Kapital-Zirkels. Jetzt haben wir eine Interimsregierung, die das Land führt und die vom Präsidenten gebildet wurde. Es sieht aber so aus, als ob diese Interimsregierung hofft, das Steuer auch nach den Neuwahlen zu halten. Es könnte nämlich sehr schwierig werden, eine Koalitionsregierung zu bilden, die durch das Parlament gebilligt wird. Umfragen zeigen, dass viele der großen Parteien an Unterstützung verloren haben, und dass keine der Parteien eine Chance hat, die Mehrheit der Stimmen zu gewinnen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 25.3.2013)