Rapper Dogan (Mitte) mit Kollegen Mustafa und Oguzhan: kreuzkonservative Ziele im "Ghetto".

Foto: Standard/Christian Fischer

Was ist los in den Parks und Jugendtreffs der Ausländerviertel?

Wien – Einmal Abklatschen, dann ein Stoß mit den Fingerknöcheln: So begrüßt Dogan seine Kumpels. Er trägt einen grünen Parker, Schlabberjeans und klobige Nike-Turnschuhe, zieht sich oft Kapuzen über den geschorenen Schädel. Halbe Nächte streift Dogan allein um die Wohnblocks. Im Jugendzentrum, wo er abhängt, nennen ihn manche "Steppenwolf".

Abenteuerliche Geschichten bringt Dogan aus den Häuserschluchten mit. Von Tschetschenengangs, die serbische Rivalen "meier machen", erzählt er, oder von Junkies, die gestohlene Handys verchecken. Mit gestreckten Mittelfingern posiert er auf seiner Homepage, in einem Song rappt er zu düsterem Beat: "Tag ein, Tag aus, wieder auf der Straße, ohne Cash in der Tasche, weiß, was ich tu – und was ich besser lasse."

Der 19-Jährige kokettiert gern mit dem Image des Ghetto-Kids – es wird ihm ja auch oft genug umgehängt. Junge Türken spielen die Hauptrolle, wenn "Schwabos" – wie Dogan und seine Freunde Ur-österreicher nennen – in den Medien wieder einmal die Zustände in den Ausländervierteln entlang des Wiener Gürtels beklagen. Von einer verlorenen Generation ohne Job und Bildung ist dann die Rede, vom Vormarsch des Islam oder von in Beschlag genommenen Parks, aus denen die Einheimischen vertrieben würden.#

"Viel Wut" habe sich laut Jugendzentrumsleiterin angestaut

"Ich will nichts beschönigen", sagt Christa Preining, Leiterin des Jugendzentrums Back on Stage in Hernals, das zu 80 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund frequentieren. Seit 1992 arbeitet sie in dem Metier – leichter ist der Job nicht geworden. "Viel Wut" habe sich bei ihren Schützlingen angestaut, erzählt Preining, und diese suche ein Ventil – nach innen oder nach außen. Immer mehr Kids mit psychischen Problemen registriert die Sozialarbeiterin, aber auch beklemmende Gewaltausbrüche. Dass Burschen sogar noch mitfilmen, wenn jemand niedergetreten wird, hat sie ebenso erlebt wie organisierte Handyraubzüge einzelner Cliquen.

"Manche suchen aus tiefer Langeweile den Kick", sagt Preining, doch vor allem sei es grassierende Armut, die ihre Klienten in eine "Abwärtsspirale" ziehe: "Wir hatten noch nie so viele Jugendliche, die Hunger haben. Ständig machen wir Kochaktionen." Hauptursache ist für sie die ungerechte Verteilung in der Gesellschaft – dass in der Debatte ständig nach Herkunft unterschieden wird, geht ihr auf den Geist: "Wenn einer 100 Bewerbungen schreibt und nur Absagen bekommt, steigt der Frust ins Unermessliche – egal ob Österreicher oder Türke."

Zahl der fehlenden Lehrstellen haben sich verdreifacht

In Wien ist die Jugendarbeitslosigkeit im abgelaufenen Jahrzehnt von sechs auf mehr als zehn Prozent gestiegen, die Zahl der fehlenden Lehrstellen hat sich verdreifacht. Zwei Drittel aller Jobsucher bis 21 haben Migrationshintergrund, fand das Arbeitsmarktservice heraus. Gerade die Türken fallen in der Schule ab, drei Viertel der Erwerbstätigen schafften maximal die Pflichtschule. Die alten Gastarbeiterposten sind keine Lebensversicherung mehr: Selbst von Hilfsarbeitern wird heute oft fehlerloses Deutsch verlangt.

Dogans Deutsch schlägt sein Türkisch um Längen, doch auch nach 19 Jahren in Wien kommt es ihm nicht ganz flüssig über die Lippen. Die Hauptschule hat er in der letzten Klasse geschmissen, weil ihn "die Aufgaben nie interessiert haben". Danach suchte er vier Jahre eine Arbeit, ehe sich eine Leihfirma erbarmte. Derzeit werkt er beim Zigarettenhändler Tabaccoland – in der Hoffnung, einmal eine fixe Stelle zu ergattern, Geld zu sparen und zu heiraten.

Kreuzkonservative Ziele hätten die jungen Zuwanderer, erzählt Laurin Levai: "Doch ständig werden sie enttäuscht." Der Streetworker kennt die meisten der Burschen, die durchs Grätzel streunen, beim Namen. Fast täglich klappert Levai übel beleumundete Parks westlich des Hernalser Gürtels ab. Nur dass er mit aufgepumpten, tätowierten Oberarmen und tief sitzender Camouflagehose tatsächlich oft die verwegenste Figur ist, die sich dort herumtreibt.

"Früher habe ich mich als Österreicher gefühlt. Jetzt fühle ich mich als Türke."

Vom Zorn über die FPÖ-Plakate berichtet Levai, und von jungen Türken, "die sich drei Stunden vor dem Spiegel aufstylen, um dann von 20 Discos abgewiesen zu werden". Bei den Jobs kämen ohnehin Einheimische zum Zug, ergänzt der Käfigfußballer Emre, Stammgast im "Neuner"-Park in Hernals: "Früher habe ich mich auch als Österreicher gefühlt. Jetzt fühle ich mich wieder als Türke."

Aber ist immer nur die Diskriminierung schuld? Schotten sich Immigranten nicht auch aus Eigenantrieb ab, motiviert von Tradition und Religion? "Den Rückzug gibt es", sagt Levai, "was zuerst da war, ist eine Henne-Ei-Frage." Zu denken gibt den Streetworkern, dass sie zum Großteil mit Burschen zu tun haben. Die Mädels verschwinden im Alter von 13, 14 aus den Parks – und damit aus der Reichweite der Sozialarbeiter.

Dogan rollt mit den Augen, wenn er an die Ideen seiner Eltern denkt. Lieber heute als morgen wollen sie ihn unter die Haube bringen – eine Braut aus der Großfamilie hätten sie bereits ausgesucht. Dogan will sie nicht mal kennenlernen, die Türkei wird ihm allmählich fremd. Doch seine Zukünftige sähe er, wenn geht, schon lieber mit Kopftuch: "Damit nur ich sie anschauen kann."

"Mein Kopf ist vollgeladen, wie eine Handfeuerwaffe, mit 1000 Fragen", rappt Dogan. Er will weg aus Wien, für ein paar Monate, um Ordnung in das Durcheinander seines Lebens zu bringen. Für die Rückkehr hat er sich etwas vorgenommen: "Beten gehen in die Moschee." (Gerald John, DER STANDARD-Printausgabe, 20./21.11.2010)