Petra Reski: "Die Anti-Mafia-Bewegung ist verschwindend gering, die Mafia ist wieder unsichtbar geworden, sie stört nicht und fällt nicht auf. Das Gleichgewicht, das sie jahrhundertelang am Leben gehalten hat, ist wieder hergestellt, ein System, von dem ganz viele profitieren."

Foto: Droemer Knaur Verlag/Paul Schirnhofer

„Alles, was ich über die Mafia weiß, verdanke ich Petra Reski", sagt Donna Leon über die gebürtige Deutsche, die seit 1991 in Italien lebt. Reski ist Journalistin und Buchautorin und gilt als eine der renommiertesten Mafia-Experten. Im Gespräch mit derStandard.at spricht sie über den neu aufgerollten Prozess rund um die Ermordung der italienischen Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Sommer 1992 und erklärt, warum die Politik die Mafia auch weiterhin unterstützen wird.

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derStandard.at: 17 Jahre nach den Mafia-Anschlägen auf Falcone und Borsellino sind die Ermittlungen zu den Mordanschlägen neu aufgenommen worden. Geheimdienstagenten und Mafiabosse sollen Informationen ausgetauscht haben. Wie neu ist diese Erkenntnis?

Petra Reski: Die Entwicklung ist grundsätzlich natürlich positiv zu bewerten. Es ist nichts Neues, dass die Hintergründe der Ermordung der beiden nie richtig aufgeklärt worden sind. Das Neue ist, dass Massimo Ciancimino, Sohn des Mafiabosses und Ex-Bürgermeisters von Palermo Vito Ciancimino, behauptet, er verfüge über den "Papello" - die Reihe von Anforderungen, die die Mafia dem italienischen Staat gestellt hatte, damit die Anschlagsserie von 1991/92 aufhören würde. Bisher hat er allerdings noch nichts vorgelegt.

derStandard.at: Abgesehen davon, dass juristische und politische Untersuchungen in Italien grundsätzlich schleppend verlaufen: Inwiefern hängt der lange Zeitraum damit zusammen, dass es um Dinge geht, die für Politik und Wirtschaft höchst unangenehm sein könnten?

Petra Reski: Mit der Langsamkeit hat das hier nichts zu tun. Das hängt damit zusammen, dass politische Drahtzieher hinter den Mafia-Attentaten vermutet werden - und das ist das Delikateste und Gefährlichste überhaupt. Es gab bereits Ermittlungen dazu, die aber wieder eingestellt wurden, weil keine Beweise vorgelegt werden konnten. Der "Papello" beinhaltet natürlich Dokumente über Politiker, die ihnen sehr gefährlich werden könnten.

derStandard.at: Wem konkret könnte dieses Archiv gefährlich werden?

Petra Reski: Den Teilen des Geheimdienstes, den die Italiener "deviato" nennen, der sozusagen "fehlgeleitete Teil des Geheimdienstes", der für die Morde mitverantwortlich sein soll. Vermutungen, dass auch der Geheimdienst dahinter steckt, gibt es ja bereits seit vielen Jahren. Die Mafiosi haben ein großes Interesse daran, die Beteiligung des Geheimdienstes offenzulegen, weil ihre Verantwortung damit gemindert werden würde.

derStandard.at: Nicola Mancino, Vizepräsident des Obersten Richterrates, hat inzwischen eingeräumt, dass es eine Kontaktaufnahme von Cosa Nostra-Vertretern gab, dass entsprechende Verhandlungsangebote aber sofort zurückgewiesen worden seien. Wie schätzen Sie das ein?

Petra Reski: Ich bin da inzwischen pessimistisch. Ich vermute einmal, dass sie sehr wohl auf die Bedingungen eingegangen sind. Die Bedingungen sind ja zum Teil bekannt, weil Mafiosi darüber geredet haben: Abschaffung der Hochsicherheitshaft und der lebenslänglichen Haftstrafe, keine Beschlagnahmung von Mafia-Gütern, geringere Strafen. Die meisten Gesetze, die unter Falcone und Borsellino eingeführt wurden, wurden in den vergangenen Jahren wieder rückgängig gemacht. Viele Bedingungen sind also sehr wohl erfüllt worden. Da fragt man sich natürlich, warum das passiert ist, wenn es nicht zu diesen Verhandlungen gekommen sein soll.

derStandard.at: Die inhaftierte, langjährige Nummer Eins der Cosa Nostra, Salvatore "Totò" Riina, dem die Attentate zur Last gelegt werden, bestätigte laut der Tageszeitung "La Repubblica", dass die Geheimdienste bei den Anschlägen die Finger mit im Spiel gehabt hätten. Bisher hat er sich nie konkret zu dem Fall geäußert. Warum jetzt?

Petra Reski: Er hätte auch mit der Staatsanwaltschaft sprechen können, ohne dass etwas an die Öffentlichkeit geht. Seine Aussagen hat er an bestimmte Stellen gerichtet: an Geheimdienste oder Politiker oder wer auch immer sich dahinter verbirgt. Das ist als Drohung gedacht. Er möchte nicht als der einzig Verantwortlicher herangezogen werden und möchte auch sehen, dass die Bedingungen geklärt werden.

derStandard.at: Um was für Bedingungen geht es?

Petra Reski: Von den Mafia-Anwälten, die im Laufe der Zeit als Abgeordnete ins Parlament eingezogen sind, hat die Mafia erwartet, dass sie sich als Allererstes um die Haftbedingungen der Mafiosi kümmern. Was zum Teil auch geschehen ist. Bereits 2002 hat die Mafia auf die Forderungen im "Papello" hingewiesen und gesagt, die Mafia sei es leid, dass sich die Haftbedingungen für Mafiosi nicht verbessern würden. Mit seiner Aussage hat er zu verstehen gegeben: Wenn ihr nicht etwas für uns tut, lassen wir euch hochgehen. In seinem Fall wäre das beispielsweise die Bedingung, dass er aufgrund seiner schweren Krankheit seine Haft Zuhause bei seiner Familie absitzen darf.

derStandard.at: Laut "La Repubblica" ließ Riina über seinen Anwalt Luca Cianferoni ausrichten, er sei es "müde der Blitzableiter zu sein". Wird er mit der Justiz zusammenarbeiten?

Petra Reski: Nein, definitiv nicht. Es geht um die gemeinsamen Interessen zwischen Politik und Mafia und den Deals zwischen ihnen. Kronzeugen gibt es kaum mehr. Aus der Mafia auszusteigen, zahlt sich nicht mehr aus, seitdem die Strafmilderung für Kronzeugen nach Falcone und Borsellino wieder herabgesetzt wurde.

derStandard.at: Antonio Ingroia, Staatsanwalt in Palermo, hat eingeräumt, dass bezüglich des Mordes "mit Sicherheit Interessen gab, die mit denen der Mafia übereinstimmten" ...

Petra Reski: Die Mafia kann in Italien und der ganzen Welt nur weiterbestehen, solange sie Teil der Gesellschaft und der Politik ist. Sie vertritt die Interessen der Politik, die Politik wird also immer die Mafia unterstützen. Dass dahinter nicht nur die Mafia steckt, war von Anfang an klar und die Politiker werden versuchen, das ganze so schnell wie möglich zu vertuschen. Seine Aussage ist unkonkret. Staatsanwälte und Polizei müssen sich irgendwie einreden, dass es besser geworden ist. Ich sehe überhaupt keine Fortschritte, im Gegenteil: Der Mafia geht es so gut wie vor mindestens 20 Jahren.

derStandard.at: Sie hat also auch wieder die Zustimmung unter der Bevölkerung, die sie nach den Attentaten auf die beiden verloren hatte?

Petra Reski: Der soziale Konsens, den die Anschläge damals zerstört haben, ist leider zu hundert Prozent wieder hergestellt. Die Anti-Mafia-Bewegung ist verschwindend gering, die Mafia ist wieder unsichtbar geworden, sie stört nicht und fällt nicht auf. Das Gleichgewicht, das sie jahrhundertelang am Leben gehalten hat, ist wieder hergestellt, ein System, von dem ganz viele profitieren. Das einzige Problem, das der Mafia in Sizilien zu schaffen macht, ist dass sie im Drogenhandel nicht mehr die Nummer Eins ist, nachdem sie nach den Morden unter Beobachtung stand und sich die Camorra und die N'Drangheta weiterentwickeln konnten. Aber ansonsten geht es der Mafia überall bestens - so gut wie seit Jahren nicht. (Anna Giulia Fink, derStandard.at, 27.7.2009)